„Wir haben Angst vor langer Isolation“

von Redaktion

Ingeborg Glupp über den Corona-Ausbruch im Pflegeheim und die Stimmung bei den Senioren

Ingeborg Glupp lebt im Maria-Stadler-Haus in Haar im Kreis München. Dort gab es vor wenigen Tagen einen Corona-Ausbruch. Seitdem ist der Alltag für die ohnehin schon sehr isolierten Senioren noch etwas trister geworden. Natürlich sei die Stimmung bedrückt, berichtet die 88-Jährige. Aber das Lachen ist im Heim noch nicht verloren gegangen.

In Ihrem Heim sind knapp 50 Bewohner positiv auf Corona getestet. Dürfen Sie Ihr Zimmer aktuell noch verlassen?

Ja, ich wohne im zweiten Stock. Bei uns gibt es noch keinen Corona-Fall. Im dritten und im ersten Stock aber gleich mehrere. Dort sind jetzt alle in Quarantäne und müssen in ihren Zimmern bleiben. Sogar das Essen bekommen sie dorthin geliefert. Wir alle dürfen nicht mehr mit dem Aufzug in ein anderes Stockwerk fahren. Mit der Hausverwaltung sind wir nur noch telefonisch in Kontakt. Und sobald es auch auf meinem Stockwerk einen Corona-Fall gibt, wird auch bei uns alles dicht gemacht.

Haben Sie Freunde im Heim, die in Quarantäne sind?

Ja, eine gute Freundin von mir lebt im Parterre. Sie ist 98 – und liebt die Gedichte, die ich schreibe. Die kann ich ihr jetzt nur noch per Bote schicken. Natürlich können wir auch telefonieren. Aber es wird noch dauern, bis wir uns wieder sehen können.

Wie vertreiben Sie sich die Zeit?

Es gibt eine kleine Bücherei, wo wir uns etwas zum Lesen ausleihen können. Oder Spiele. Bisher haben wir das sehr intensiv genutzt. Wir haben sozusagen einen Zockdown eingeführt. Mit einer Freundin spiele ich nur „Mensch ärgere Dich nicht“. Manchmal 30 Spiele in zwei Stunden. Wir haben die meisten Zuschauer. Das geht ja nun aber leider nicht mehr. Außer wir finden einen Weg, das telefonisch fortzuführen.

Wie groß ist Ihre Angst vor dem Virus?

Eigentlich habe ich keine Angst vor Corona. Ich fühle mich hier im Heim wirklich gut aufgehoben und sicher. Man tut alles, was man kann, um uns vor dem Virus abzuschirmen. Das hat das ganze Jahr über hervorragend funktioniert. Wir hatten keinen einzigen Fall und waren sehr stolz darauf. Aber es war wohl einfach eine Frage der Zeit, bis es uns auch erwischt.

Und nicht mal jetzt machen Sie sich Sorgen, dass Sie sich infizieren?

Wissen Sie, ich bin 88 Jahre alt und habe ein wunderbares Leben geführt. Ich weiß, dass es unwahrscheinlich ist, dass wir hier im zweiten Stock völlig ungeschoren davonkommen. Ich würde gerne über 90 werden – aber wenn es nicht so sein soll, dann bin ich einfach dankbar für alles, was ich hatte.

Es gibt aber sicher Senioren, die große Angst haben, oder?

Ja, natürlich, die gibt es. Einige ziehen sich aus Angst immer mehr zurück. Aber es ist nicht nur die aktuelle Situation, die uns gerade beschäftigt. Wir haben alle Fernseher und verfolgen die Nachrichten sehr genau. Und natürlich haben wir auch vor der neuen Virus-Variante aus Großbritannien gehört. Die ist in unseren Köpfen bereits angekommen.

Wie ist die Stimmung bei den Bewohnern gerade?

Sie ist natürlich sehr gedrückt. Ich habe noch niemanden weinen gesehen, aber ich kann mir gut vorstellen, dass Weihnachten einige Tränen fließen werden. Unser Sozialbetreuer Horst wird einen kleinen Gottesdienst für die Bewohner auf unserem Stockwerk machen. Es werden Kerzen angezündet, die Krippe wird leuchten, vermutlich wird auch Weihnachtsmusik gespielt. Dann werden sicher viele auch ein bisschen traurig werden, dass sie dieses Jahr nicht bei ihren Familien sein können.

Wie gehen Sie mit dieser Isolation um?

Ich komme ganz gut damit klar. Meine Tochter ist ein ähnlich positiver Mensch wie ich. Natürlich macht sie sich Sorgen, aber wir telefonieren ja viel. Sie weiß, dass ich Weihnachten auch in diesem Jahr gut rumkriegen werde. Ich höre zurzeit viele Bewohner von früher erzählen, sie flüchten sich in ihre Erinnerungen – gerade was Weihnachten betrifft. Und dann erzählen sie natürlich auch heitere Geschichten.

Wird im Heim noch gelacht?

Ja, natürlich. Die Heimleitung, die Pfleger und Betreuer tun ja auch alles dafür, dass hier etwas weihnachtliche Stimmung aufkommt. Alles ist wunderschön dekoriert. Wir müssen jetzt einfach das Beste aus der Situation machen und zusammenhalten. Wer weiß, was noch alles auf uns zukommt.

Was ist Ihre größte Sorge?

Die neue Variante des Virus macht mir schon Sorgen. Den anderen Senioren im Heim auch. Wir können nicht einordnen, was das bedeutet. Und wir fürchten natürlich, dass alles noch ewig so weitergehen wird und wir unsere letzten Lebensjahre so isoliert verbringen müssen. Das ist unsere große Angst. Viele von uns können sich schon gar nicht mehr vorstellen, irgendwann wieder in einem Supermarkt einzukaufen. Wir waren ja schon wochenlang nicht mehr aus dem Haus. Einige von uns schon monatelang nicht mehr.

Die Menschen in den Pflegeheimen werden unter den Ersten sein, die eine Impfung bekommen. Ein Lichtblick für Sie?

Auch über das Impfen machen wir uns viele Gedanken. Die meisten hier möchten sich impfen lassen. Aber sie würden gerne vorher noch mal in Ruhe mit ihrer Familie darüber sprechen. Ich habe das bereits mit meiner Tochter besprochen. Wir wollen uns beide auf jeden Fall impfen lassen.

Sind Sie schon informiert worden, wann die Impfungen in Ihrem Heim beginnen?

Nein, wir haben noch gar nichts gehört. Natürlich haben wir schon nachgefragt, wann es losgehen wird. Es heißt immer, man wisse noch nichts. Auch die Testungen nach dem ersten Corona-Ausbruch waren aber nicht angekündigt. Zwei Wochen später kamen noch einmal Mitarbeiter des Gesundheitsamtes und haben uns noch mal alle getestet. Mehr Tests gab es nicht. Nicht einmal jetzt.

Freuen Sie sich trotz allem auf Weihnachten?

Ja, natürlich. Grade heute habe ich wieder so unerwartet ein schönes Geschenk bekommen. Die Kinder der Konrad-Grundschule hier in Haar haben uns allen persönliche Briefe geschickt. Für jeden Bewohner einen. Auf meiner Karte klebt ein Schneemann. Ich habe ihm gleich ein Gesicht gemalt. Drinnen stand: „Liebe Ingeborg. Ich wünsche Dir frohe Weihnachten, viele Geschenke und viel Schnee. Deine Maria“ Ist das nicht nett? Solche Kleinigkeiten sind für uns alle gerade wertvoller denn je.

Interview: Katrin Woitsch

Artikel 2 von 6