Kleiner Auftakt, große Erleichterung

von Redaktion

München – Theresia von der Grün hat Humor. „Jetzt wird serviert“, sagt die 100-Jährige, als die ersten Spritzen auf einem Tablett hereingetragen werden. Dann geht es schnell. Pulli hochziehen, Oberarm desinfizieren, „genau zielen und beherzt reinstechen“, wie Dr. Dirk Wiepcke sagt. Die Stimmung im Seniorenzentrum Unterföhring ist bestens an diesem Sonntagvormittag. Um 9.20 Uhr fahren die Busse mit dem Impfstoff vor – exakt eine Stunde später ist Theresia von der Grün geimpft. Es ist ein Moment, auf den viele Heimbewohner sehnsüchtig gewartet haben. Ein Moment der Hoffnung auf eine Rückkehr ins normale Leben.

Ob Theresia von der Grün die erste Bayerin ist, die den Biontech/Pfizer-Impfstoff bekommt, genau weiß man es nicht. In ganz Bayern ist Impfstart – und jeder legt los, sobald es geht. Offizieller Auftakt ist in Germering. Gesundheitsministerin Melanie Huml ist ins Seniorenheim Curanum gekommen, begleitet von den Medien. Die wahren Stars sind aber auch hier die Senioren. Unter dem Blitzlichtgewitter der Fotografen und dem Applaus von Pflegern bekommen Helga und Kurt Klingseisen die erste Impfdosis. Die 83-Jährige und ihr 91-jähriger Mann nehmen den Rummel tapfer hin und beantworten vor dem Heim Fragen der Journalisten. Helga winkt in die Menge, als sie rauskommt, und sagt: „Das ist ein kleiner Pieks und fertig.“

88 Bewohner und zwei Mitarbeiter des Curanum können am Sonntag geimpft werden. Für mehr reicht der Impfstoff nicht. Ganz Bayern muss sich 9750 Dosen teilen. Huml spricht von einem „bewegenden Moment“ – und verspricht mehr Impfstoff. Schon heute sollen 97 000 weitere Dosen eintreffen, am Mittwoch noch mal 107 000.

Nicht überall in Bayern läuft der Impfstart wie geplant. In den oberfränkischen Landkreisen Coburg, Lichtenfels, Kronach, Hof, Wunsiedel und Kulmbach gibt es Probleme mit der Kühlkette – Start verschoben, weil unklar ist, ob der Impfstoff Schaden genommen hat. Auch im Landkreis Augsburg platzt der Impfstart am Vormittag wegen Unstimmigkeiten im Kühlprotokoll der Transportboxen. Später gibt Biontech doch grünes Licht. Der Impfstoff sei in Ordnung, es könne losgehen.

Die komplizierte Kühlung ist eine Schwachstelle des Biontech-Impfstoffs. Er muss bei minus 70 Grad gelagert werden. In den Impfzentren kann das Vakzin in ungeöffnetem Zustand nach Firmenangaben in den Lieferboxen oder auch in herkömmlichen Kühlschränken bis zu fünf Tage bei zwei bis acht Grad aufgehoben werden. Bis zwei Stunden vor dem Spritzen kann das Präparat laut Biontech sogar bei bis zu 30 Grad gelagert werden. Die Impfung könne dann bei Zimmertemperatur erfolgen.

Wie empfindlich der Impfstoff ist, zeigt sich auch in Unterföhring. „Da ist größte Sorgfalt gefragt“, erklärt Dr. Dirk Wiepcke. Wie der Impfstoff vorzubereiten ist, ist genau festgelegt. Geheimagent James Bond würde ihn „geschwenkt, nicht geschüttelt“ bestellen, denn das Serum mag es nicht grob. „Den darf man auf keinen Fall schütteln – er muss zehn Mal vorsichtig geschwenkt werden“, erklärt der Arzt. Ansonsten zerspringe die Proteinhülle, die den Impfstoff ummantelt. „Das ist ein ganz fragiles Molekül!“ So dauert es auch ein wenig, bis am Sonntag die Spritze für Theresia von der Grün fertig aufgezogen ist.

Das diffizile Prozedere wurde vorab in Schulungen geübt. Und so läuft es unter dem Strich ganz gut in Bayern. Im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen werden rund 70 Personen im Tölzer Pflegeheim Josefistift geimpft – zwei Drittel der 95 Heimbewohner sowie einige Mitarbeiter. Im Landkreis Dachau wird dem früheren Kreisgeschäftsführer des Roten Kreuzes, Horst Oschmann, die Ehre der ersten Impfung zuteil. „Für mich war von Anfang an klar, dass ich mich impfen lasse“, sagt der 92-Jährige. „Ich bin davon überzeugt, dass nichts auf den Markt kommt, was nicht ganz sicher ist.“ 20 Personen im BRK-Heim Dachau sowie 80 in Pflege- und Altenheimen im Landkreis werden von den mobilen Teams geimpft.

Im Landkreis Freising landet die erste Impfmarge im Seniorenzentrum in Zolling. Auch Intensivpersonal des Klinikums bekommt 25 der 100 Dosen ab. „Die Impfbereitschaft ist sehr groß“, freut sich Albert Söhl, Kreischef der Roten Kreuzes. „Das ist der Schritt nach vorne, den wir jetzt dringend brauchen, um wieder zurück zur Normalität zu kommen.“

Im Landkreis Erding findet der Auftakt in einer Schulturnhalle statt. Hier reicht es nur für zehn Impfungen, ab Dienstag soll mehr Impfstoff kommen und das Impfzentrum spätestens am Mittwoch unter Volllast arbeiten.

Im Kreis Miesbach werden die ersten 100 Dosen Impfstoff Bewohnern und Mitarbeitern des Seniorenzentrums „Der Schwaighof“ in Tegernsee gespritzt, im Kreis Ebersberg sind die mobilen Teams in einem Seniorenheim in Poing zugange, in Oberhaching im Kreis München in zwei Seniorenheimen. Mehrere Impfwillige müssen abgewiesen werden. Sie sind ohne Termin gekommen – und noch nicht dran.

In Krailling im Kreis Starnberg dient der Saal des Altenheims Maria Eich als Impfstation. Eine 83-Jährige macht den Anfang. Es gibt Applaus, die Erleichterung ist spürbar. „Ich freue mich, dass es losgeht und sich das Leben in unserem Haus wieder ändert“, sagt Heimleiterin Diana Sturzenhecker. Zwar gebe es auch Bedenken und Unsicherheit bezüglich des Impfstoffs. Aber die Skepsis werde mit jedem Geimpften kleiner, ist sie sich sicher.

Theresia von der Grün wird derweil genau beobachtet. Es geht ihr gut. Körpertemperatur normal, keine Ausfallerscheinungen. Die 100-Jährige betrachtet das Geschehen um sich herum, mit der komplizierten Dokumentation der Impfung. „Papiere, Papiere, Papiere“, sagt sie amüsiert.

MARTIN BECKER, TOBIAS GEHRE, STEPHEN HANK, ANDREAS STEPPAN, NIKOLA OBERMEIER, HELMUT HOBMAIER, TIMO AICHELE, MICHAEL ACKER, ANDREAS SACHSE, MARTIN SCHULLERUS, WOLFGANG HAUSKRECHT

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