„Normalerweise würden hier über 20 000 Menschen jubeln“

von Redaktion

An der Olympiaschanze laufen die letzten Arbeiten – aber der Schnee auf den Zuschauerrängen kann liegen bleiben. Ein Ortsbesuch.

Garmisch-Partenkirchen – Ein kalter Wind pfeift um die Ohren, obwohl die Sonne scheint. Die ehrenamtlichen Helfer stehen auf der Olympiaschanze in Partenkirchen und drapieren Schnee an den Seiten der Schanze – denn da kommt die Raupe nicht hin. In schwindelnder Höhe kniet auch Thomas Scheck. Der 61-Jährige ist der Sport-Ressortleiter des Organisationskomitees und verbaut gerade zwei kleine Kameras neben den Skispuren auf der Schanze. „Die zeigen den Sportler direkt nach dem Sprung in den Live-Übertragungen“, erklärt er euphorisch. Seit elf Jahren dreht sich ab Oktober für Scheck alles um die Vorbereitungen für die Vierschanzentournee. „Mitte Oktober wird der Abrieb aus dem Eisstadion hertransportiert“, sagt er. Mit den Eis-Resten wird die Anlaufspur präpariert. Das perfekte Material.

Der Blick von der 149 Meter hohen Schanze nach unten flößt einem Respekt ein. Doch von Schwindelgefühlen ist bei den Arbeitern nichts zu spüren. Voller Begeisterung machen sie den letzten Schliff, damit die Profis ab Donnerstag sicher und möglichst weit im Stadion landen können. „Wir geben jedes Jahr alles, damit ein Springer den bisherigen Rekord brechen kann“, sagt Scheck mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Bei 143,5 Metern liegt er derzeit. Eine der Standardvorbereitungen fällt heuer aber aus: Auf den Zuschauerrängen liegt Schnee. Und der muss nicht weg. Sitze wurden keine montiert. Denn es kommt keiner, der dort Platz nehmen könnte. „Das ist wirklich schade. Normalerweise würden hier über 20 000 Menschen sein, jubeln und Deutschlandfahnen wehen“, sagt Scheck mit einem wehmütigen Blick in die Tiefe. Dennoch: „Aus sportlicher Sicht bleibt alles gleich. Und das ist das Wichtigste.“

149 Meter tiefer ist die Stimmung gedämpft. Das Wirtspaar Gabi und Stefan Leiner steht vor seinem geschlossenen „Leiners Bistro“ gegenüber der Schanze. Das Gefühl, zu dieser Zeit durch ein menschenleeres Partenkirchen zu schauen, sei „beinahe schon gruselig“, sagt Gabi Leiner. Normalerweise hätten sie einen Bierwagen, ein DJ-Pult und eine große Outdoor-Bar am Vorplatz aufgebaut. „Das sind die zwei besten Tage im Jahr, der Ort ist voll und überall tolle Stimmung“, sagt ihr Mann. „Jetzt bleibt nur eine seltsame Leere.“

Leere herrscht nicht nur in den Straßen und Kneipen, sondern auch in den Beherbergungshäusern. Das Hotel „Riessersee“, in dem sich um diese Zeit für gewöhnlich 340 Gäste aufhalten, wird für zwei Tage öffnen. „Wir beherbergen sechs Mannschaften“, erklärt Geschäftsführerin Dörte Mäder. Mit Ausnahme von Bar und Spa wird für 60 Sportler der Hotelkomplex aus dem Lockdown geweckt. Alles laufe kontaktlos ab. „In den Speisesälen stehen die Tische weit auseinander, mit Plexiglas getrennt. Die Getränke werden auf dem Tisch bereitstehen und es gibt ein Buffet. Also kein Service-Kontakt.“ Auch die Reinigungskräfte werden erst nach Abreise die Zimmer der Sportler betreten.

„Wirtschaftlich rentiert sich das nicht. Wir sind aber Partner vom DSV und da läuft es wie in einer Ehe – in guten wie in schlechten Zeiten“, sagt Dörte Mäder. „Es macht mich traurig, in dieser Leere hier zu stehen.“ Durch den Wegfall der Gäste fehle vieles. „Sport verbindet. Sonst hat in diesen Tagen jeder im Ort in eine Richtung gesehen.“ Genau wie in Oberstdorf, wo beim Auftaktspringen der Tournee gestern die Springer durch die Lüfte flogen, begleitet von Stille statt dem Jubel der Fans – aber immerhin mit einem deutschen Sieg. FELICITAS BOGNER

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