München – Anfang November herrschte noch Jubelstimmung in Brüssel. Man habe sich „den bisher vielversprechendsten Impfstoff“ gesichert, verbreitete Ursula von der Leyen. Das sei die „beste Chance, das Coronavirus zu besiegen. Und, so verkündete die Kommissionspräsidentin: „Wir sind fast am Ziel.“
Fast. Inzwischen sind die Hurra-Meldungen über jenen Vertrag mit dem deutschen Hersteller Biontech auffällig verstummt. Die EU-Kommission hat nämlich mit „bis zu 300 Millionen“ Dosen eine zu kleine Menge geordert. Bisher liefert Biontech den einzigen zugelassenen Impfstoff, andere Länder wie Israel haben sich davon aber viel früher mehr gesichert und impfen nun in Windeseile ihre Bevölkerung durch. In Europa, vor allem in Deutschland, braut sich enormer Ärger zusammen – über Brüssel, aber auch innenpolitisch.
Zu den Fakten: Die EU-Kommission hat bei Biontech und fünf weiteren Firmen zwei Milliarden Impfdosen für die 450 Millionen EU-Bürger bestellt. 160 Millionen Dosen soll Moderna liefern (Zulassung naht), bei Astrazeneca (400 Millionen Dosen) und Janssen Pharmaceutica (für 400 Millionen Patienten) haben die Prüfungen erst begonnen. Daneben gibt es Verträge mit Sanofi-GSK (300 Millionen Dosen, weit hinterherhinkend) und Curevac (405 Millionen). Was geliefert ist, wird fair verteilt.
Aber reicht das? Vor allem aus Deutschland kommt der zornige Ruf, Brüssel hätte gleich mehr bei Biontech ordern statt sich zum Beispiel von französischen Sanofi-Versprechungen einseifen zu lassen. „Grobes Versagen der Verantwortlichen“, sieht die Leopoldina-Neurologin Frauke Zipp. Es habe im Sommer Angebote für mehr Dosen gegeben, im Spätsommer von Biontech. Es sei zu wenig von Biontech und Moderna geordert worden, sagt der streitlustige SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Und CSU-Chef Markus Söder schimpft: „Offenkundig war das europäische Ankaufverfahren unzureichend.“ Die EU habe „zu wenig bestellt und auf die falschen Hersteller gesetzt“. Brüssel agiere zu bürokratisch und „kleinteilig“.
Von der Leyen mag sich nun, wo es Probleme gibt, nicht mehr selbst äußern. Sie schickt eine Kommissarin mit der Botschaft vor, man habe nicht alles auf eine Karte setzen wollen, aber Biontech sogar mit einem 100-Millionen-Euro-Darlehen unterstützt. Man bemühe sich nun schrittweise um Verbesserungen. Aus der CDU kommt Rückendeckung. Von „nachträglicher Besserwisserei“ und „parteipolitischem Kleinklein“ spricht NRW-Ministerpräsident Armin Laschet. „Sensationell“ sei es gelaufen.
Innenpolitisch nimmt vor allem die SPD Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ins Visier. Auch die FDP klagt, Spahn hätte für Deutschland zusätzlich schneller weitere Dosen von Biontech auftreiben sollen. Spahn selbst wies Kritik zurück: „Es läuft genauso, wie es geplant war.“ Im Januar könnten alle Pflegeheim-Bewohner geimpft werden. CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER