Böses Erwachen bei Corona-Hilfen

von Redaktion

VON MARTIN PREM

Irschenberg – Der Platz ist ein Sehnsuchtsort. Bei Föhn kann man den Blick weit nach Österreich schweifen lassen. Millionen Touristen machen am Irschenberg Rast. Beliebter Treffpunkt ist die Kaffeerösterei Dinzler mit 200 Mitarbeitern. 500 Gäste finden hier zu normalen Zeiten Platz. Jetzt herrscht gähnende Leere. Auch die Rösterei, die im Jahr rund 1200 Tonnen Kaffee röstet und zum großen Teil an Gastronomen liefert, ist im Lockdown gefangen. „Wir rechnen mit dem Schlimmsten“, sagte der Vorstandsvorsitzende Franz Richter unserer Zeitung.

Dabei sollte gestern ein großer Tag werden. „Die Bewilligung und Auszahlungshilfe beginnt am Dienstag, 12. Januar“, hatte am Montag Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger verkünden lassen. Die IHK für München und Oberbayern habe die Software von der Bundesregierung am Freitag erhalten.

Das Kleingedruckte

Ein Anruf bei der IHK ergab ein anderes Bild. „Die Software ist nicht da“, sagte ein Sprecher um 13 Uhr – zumindest keine funktionsfähige. „Wir rechnen aber stündlich damit.“ Am Nachmittag konnte es tatsächlich losgehen. „Die ersten Anträge sind bewilligt und werden ausgezahlt“, so der Sprecher. Seit Tagen rang die IHK, die Richter ausdrücklich in Schutz nimmt, um die Funktionsfähigkeit der Software, für die das Bundeswirtschaftsministerium verantwortlich ist.

Allerdings gibt es eine Reihe von Fällen, die bei den versprochenen unbürokratischen und existenzsichernden Hilfen leer ausgehen werden. Anfangs sah alles so gut aus für die Gastronomen. Bis zu 75 Prozent ihres gewohnten Umsatzes sollten ihnen die Novemberhilfen bringen. Viele, deren Betrieb zwangsweise eingestellt wurde, rechneten mit einem guten Monat. Blicke ins Kleingedruckte dämpften die Hoffnungen zunehmend: Da gibt es Obergrenzen. Und die Novemberhilfe plus für Großbetriebe. Nicht mehr nur der Umsatz ist Maßstab. Hilfe gibt’s nur, wenn man einen Verlust nachweisen kann.

Das Wort Hilfe will Franz Richter nicht mehr hören. Er sieht sich nicht durch eigene Schuld in Not geraten. Sein Betrieb wurde durch staatliche Anordnung stillgelegt. In Österreich heißen die Zahlungen korrekterweise „Umsatzersatz“. Es ist ja schließlich keine Hilfe, wenn man einem Nachbarn den Schaden ersetzt, nachdem man seinen Zaun umgefahren hat.

Betriebe gehen leer aus

Und dann gibt es Wirte und Hoteliers, die nach dem ruinösen Frühjahrs-Lockdown viel Geld in die Hand genommen haben, etwa, um in Hygiene-Konzepte zu investieren. Manche mit einem zinsgünstigen staatlichen KfW-Kredit. Ein Fehler. Denn auch zumindest KfW-Schnellkredite gelten als Beihilfe. Wenn der Beihilfe-Rahmen der EU, die Subventionen in der Corona Krise sind auf 800 000 Euro (unter Umständen kommen noch 200 000 Euro Kleinbeihilfen dazu) begrenzt, ausgeschöpft ist, geht ein Betrieb leer aus. Dann gibt es keine November-Hilfen und auch keine Dezember-Hilfen mehr – es sei denn, man zahlt das KfW-Geld vorher zurück. Doch das scheitert in aller Regel, weil die Banken aufgrund der Basel-3-Bestimmungen einen Überbrückungskredit verweigern müssen. Auch andere staatliche Leistungen werden auf die Novemberhilfen angerechnet. So schrumpft das üppige Absicherungspolster immer weiter zusammen.

Dabei sind viele Betriebe längst überschuldet. „Die Lage ist nicht nur bedrohlich, sondern existenziell“, sagt Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Branchenverbandes Dehoga. Drei Viertel der Betriebe kämpfen laut einer Umfrage des Verbands ums Überleben. Ein Viertel steht demnach vor der Entscheidung zuzumachen.

„Wir wollen keine Hilfe, wir wollen arbeiten“, sagt Dinzler-Chef Richter. Er beruft sich auf das Robert-Koch-Institut, das der Gastronomie nur minimale Ansteckungen zuordnen konnte. „Die Betriebe werden trotz der immensen Investitionen in Hygienemaßnahmen und Entzerrung des Betriebs geschlossen gehalten – und ohne schlüssige Argumentation, die über das Schüren von Ängsten und Panik hinausgeht.“

Neidisch auf Österreich

Auch Richter kann nicht viel erwarten: 10 000 Euro Abschlagszahlung sind geflossen. Eine Aufstockung auf 50 000 Euro wurde bisher nur versprochen. Ein Klacks angesichts der „Ertragseinbußen in Millionenhöhe“. Das Höchstmaß von 800 000 Euro werde bei großen Betrieben mit entsprechender Fläche und Mitarbeiterzahl schnell erreicht, sagt er. Keine Einnahmen, die Fixkosten aber laufen weiter: Zinsen, Mieten, Pachten, auch ein Teil der Löhne, weil man „den Mitarbeitern eine Perspektive bieten will“. Die Gebäude müssen erhalten und beheizt werden. Das kostet. So wandert der Blick vom Irschenberg sehnsüchtig Richtung Österreich. „Dort konnten Betroffene bereits am 6. November Ausgleichszahlungen beantragen“, sagt Richter. „Die sind zum großen Teil bereits bearbeitet und ausgezahlt.“

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