München – Es ist ein seltsam steriler Moment. Keine Blumen, keine Umarmungen, kein Bad in der Menge. Als das Wahlergebnis verkündet wird, breitet sich auf der verspannten Unterlippe von Armin Laschet ein erleichtertes Lächeln aus. Friedrich Merz steht zwei Meter von ihm entfernt, das Gesicht unbewegt. Zwei Mal nickt er kurz. Das war’s für ihn. Endgültig. Dann reicht Merz dem Kontrahenten die Ghetto-Faust – noch ehe der Beifall vom Band eingespielt wird.
In diesem Moment endet am Samstagmittag in der Berliner Messe ein gefühlt ewig währender Wettstreit über die Nachfolge von Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Partei hat gesprochen. Und doch fällt es aus der Distanz schwer, ihr den Puls zu fühlen. Klar wird nur: Merz ist nicht der einzige Verlierer des Tages.
Dieses Ergebnis war einigermaßen erwartbar gewesen, aller Umfragen zum Trotz: Merz galt zwar als Favorit der Basis, Laschet aber als Kandidat des Parteiestablishments – und das sind die meisten der 1001 Delegierten nun mal. Selbst das sehr achtbare Abschneiden von Norbert Röttgen hatte sich zuletzt abgezeichnet. Doch daneben hielt der Parteitag manche Überraschung bereit. Dass ausgerechnet Laschet die beste Rede halten würde. Und Merz die schwächste. Und dass am Ende mindestens fast noch mehr über Jens Spahn geredet würde.
Aber der Reihe nach. Es ist 9.45 Uhr, als Laschet am Samstag an das einsame Rednerpult tritt. Normalerweise kämpfen die Delegierten um diese Uhrzeit noch mit den Folgen des Delegiertenabends. Diesmal lässt der Innenpolitiker Armin Schuster, immerhin Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz, seine Follower via Twitter wissen, er sitze noch im Pyjama vor dem Tablet. Es komme ihm gegenüber den Kandidaten nicht fair vor.
Laschet aber ist ausgeschlafen. „Ich bin vielleicht nicht der Mann der großen Inszenierung“, sagt der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, was manch einer als Spitze gegen Markus Söder interpretiert. Tatsächlich wirkt es eher wie das Eingeständnis einer Schwäche. Denn hier hat sich einer offenkundig sehr, sehr viel Gedanken über die richtige Inszenierung gemacht.
Nein, ein richtig guter Redner ist er noch immer nicht. Doch Laschet hat eine Geschichte zu erzählen. Eine, die auch ganz gut in die SPD passen würde. Die vom Bergmannskind an die Spitze der Union. Sein Vater habe immer gesagt: „Wenn du unter Tage bist, ist es egal, wo die Kollegen her sind“, berichtet der 59-Jährige. Wichtig sei nur die Frage, ob man sich auf den Kollegen verlassen könne. So beginnt Laschet. Und er endet 15 Minuten später, indem er vom Rednerpult hervor tritt und die Bergmannsmarke seines Vaters in die Kamera hält. Den Delegierten will er sagen: Ihr könnt euch auf mich verlassen! Vertrauen. Das ist sein großes Thema.
Für einen, der sich nicht inszenieren kann, ist das ziemlich viel Inszenierung. Jedenfalls wird es das größte Show-Element bleiben, das diese spröde Digitalveranstaltung zutage fördert. Laschet, der oft und besonders gerne auch von der CSU Unterschätzte, hat alle überrascht. Nicht inhaltlich. Sondern weil er eine Geschichte zu erzählen hat. Fast ein wenig amerikanisch.
Das ist vielleicht der entscheidende Unterschied zu Friedrich Merz an diesem Tag. Auch der überrascht. Nur anders. Der 65-Jährige, der alles auf diese Karte setzt, will Parteichef werden. Jetzt oder nie. Vor zwei Jahren hielt er schon eine enttäuschende Rede beim Parteitag in Hamburg, als Annegret Kramp-Karrenbauer gewann. Mit einer guten Rede. Die von Merz bleibt auch diesmal seltsam hölzern. Dabei hatte es so gut ausgesehen. Die Umfragen, de Unterstützung der Jungen Union, zum Schluss sogar das Bekenntnis von Wolfgang Schäuble. Anders als Laschet spricht Merz nicht die Herzen an. Ihm geht es um die Reformagenda. „Ich werde mich persönlich fordern – Sie aber auch“, droht er den Delegierten.
Keiner kann letztlich sagen, welchen Anteil die Reden haben. In Hallen bekommt man bei Parteitagen manchmal ein Gespür, wie die Stimmung kippt. Im digitalen Raum ist das ungleich schwieriger. Klar ist, dass es nicht gut ankommt, wie Merz seiner schwachen Zustimmung unter Frauen begegnet. Er habe kein altes Frauenbild, verteidigt sich der Jurist. „Wenn das so wäre, hätten mir meine Töchter schon längst die gelbe Karte gezeigt und mich meine Frau vor 40 Jahren nicht geheiratet.“ Töchter und Ehefrauen als Kronzeuginnen für ein modernes Frauenbild – zumindest in den sozialen Netzwerken wird das als wenig überzeugend wahrgenommen.
So wird also gewählt. Merz und Laschet liegen im ersten Wahlgang gleichauf, Merz sogar fünf Stimmen vorne (385 zu 380). Norbert Röttgen bekommt für einen engagierten Wahlkampf und eine solide, wenn auch etwas nervöse Parteitagsrede beachtliche 244 Stimmen. Einem Platz im nächsten Bundeskabinett dürfte der als Außenseiter gestartete Außenpolitiker einen deutlichen Schritt näher gekommen sein.
Und doch reden zu diesem Zeitpunkt schon alle über einen ganz anderen. Jens Spahn. Dass Laschet – wie erwartet – in der Stichwahl die meisten Röttgen-Stimmen für sich deklariert und mit 521 zu 466 Merz dann doch klar bezwingt, ist nur der kurze Höhepunkt der Veranstaltung. Hinter den Kulissen herrscht Empörung über Spahn. Als Laschet seine kurze Dankesrede hält, dankt er dem Tandem-Partner mit keinem Wort. Ungewöhnlich.
Was ist geschehen? Spahn hat sich in der Aussprache nach den Reden zu Wort gemeldet. Man solle Fragen stellen, lautete die Ansage der Parteitagsregie. Doch Spahn hat keine Frage. Das dürfte auch Generalsekretär Paul Ziemiak, ein guter Freund, zuvor gewusst haben. Stattdessen lobt der Gesundheitsminister seinen Partner Laschet als einen, der sein Land „tatkräftig, entschlossen, besonnen durch die Pandemie geführt“ habe.
Nun sind kleine Co-Referate auf Parteitagen keine Seltenheit. Weil die Aussprache im digitalen Format aber dramatisch verkürzt ist und von 1001 Delegierten nicht einmal eine Hand voll „Fragen“ kommen, halten viele Spahns Werbeblock für deplatziert. Intern gibt es massive Kritik an der Parteitagsleitung. Nicht zuletzt aus dem Merz-Lager, das sich schon in der Vergangenheit vom Parteiestablishment ausgebremst fühlte. Wie groß der Unmut ist, zeigt sich bei der Wahl zu den Vizeposten. Spahn bekommt nur 589 von 965 Stimmen – mit Abstand das schlechteste Ergebnis. So endet an diesem Tag nicht nur für Friedrich Merz ein Traum. Einen Tag später entschuldigt sich Gesundheitsminister Spahn sogar: „Ich sehe im Nachhinein: Es war nicht das passende Format“, schreibt er am Sonntag auf Twitter: „Das bedauere ich.“
Das Geraune, Spahn sondiere hinter den Kulissen eine Kanzlerkandidatur, dürfte mit diesem Ergebnis verstummen.