Brüssel – Badeanzug, Handtuch und Corona-Impfpass einpacken und dann in diesem Sommer nach Mallorca, Madeira oder Mykonos? Gestern berieten die 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) bei einem Videogipfel über ein gemeinsames Dokument zum Nachweis von Corona-Impfungen. Dies soll, so verlautete am Abend vom Gipfel, aber nur ein medizinisches Dokument sein, kein Reisepass.
Auch auf mögliche konkrete Privilegien für Geimpfte einigte man sich dem Vernehmen nach nicht. (Der Gipfel dauerte bei Redaktionsschluss aber noch an)
Ein Impfpass ist grundsätzlich nichts Neues. Jeder kennt den gelben Impfpass der Weltgesundheitsorganisation, den man schon heute bei vielen Reisen zum Nachweis von Impfungen benötigt. Allerdings wird diskutiert, ob dieser Impfpass künftig in digitaler Form kommen könnte. (siehe Artikel rechts). Auch welche Daten erfasst werden und wie, soll genau diskutiert werden.
Tourismusländer sind die Speerspitze
International könnte es verschiedene Lösungen geben. In Israel zum Beispiel kann jeder, der die zweite Impfung bekommen hat (bisher knapp 700 000 Menschen), bereits einen sogenannten Grünen Pass beantragen. Ausgegeben wurde der Pass bisher aber nicht. Ebenso ist offen, welche Vorzüge mit dem Grünen Pass verbunden wären und wie lange er gilt. Denn noch weiß man nicht, wie lange eine Impfung schützt und ob Geimpfte zwar selber nicht mehr erkranken, aber weiter andere anstecken können – zentrale Fragen, wenn es um das Thema Urlaub geht. Zumindest könnte der Pass Erleichterungen im Inland bringen, etwa bei Kino- oder Konzertbesuchen.
Die Debatte in der EU neu angeheizt hat der Ministerpräsident des Urlauberlands Griechenland, Kyriakos Mitsotakis. Er plädiert für einen EU-weit gültigen Impfpass und fordert: „Die Personen, die geimpft sind, müssen frei reisen dürfen.“ Die EU-Kommission hat dazu einen Vorschlag gemacht, den die EU-Staats- und Regierungschefs jetzt prüfen: Bis Ende Januar sollen sich die 27 Länder auf ein gemeinsames Vorgehen bei „Impfzertifikaten“ einigen. Ob damit einfacheres Reisen oder andere Privilegien verbunden wären, ließ die Kommission bisher offen.
Es überrascht nicht, dass vom Tourismus stark abhängige EU-Länder die Speerspitze bilden. Auch Spanien ist für den Vorschlag. „Das könnte zur Wiederherstellung der Mobilität auf europäischer Ebene beitragen“, sagt Tourismusministerin Reyes Maroto. Portugal re- agiert ebenfalls positiv. Andere Länder zögern, auch Deutschland. Europastaatsminister Michael Roth hält ein Impfzertifikat zwar für wichtig. „So weit sind wir aber leider noch nicht.“ Noch seien zu wenige Menschen geimpft und zu viele Fragen offen – vor allem jene, ob Geimpfte andere trotz Impfung anstecken können.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zeigt sich offen für einen EU-Impfpass. „Wenn er funktioniert, ist das eine Idee. Gut wäre, wenn er dann fälschungssicher ist“, sagte Söder am Mittwochabend im Fernsehen.
Die Debatte wird kontrovers geführt
Über Privilegien für Geimpfte wird kontrovers diskutiert. Innenminister Horst Seehofer (CSU) vertritt die Auffassung, das könnte eine Impfpflicht durch die Hintertür bedeuten und die Gesellschaft spalten. Als Außenminister Heiko Maas (SPD) nun forderte, Geimpften den Besuch von Restaurants oder Kinos zu erlauben, schlug ihm viel Kritik entgegen. Die wichtigsten Argumente: Solange nicht jeder Zugang zur Impfung hat, wären Vorteile unfair. Zudem könne dies Vertrauen in die Politik untergraben, die immer wieder betont hat, Impfen sei freiwillig. Die FDP-Europapolitikerin Nicola Beer sieht es wie Maas: Man sollte die Grundrechte Geimpfter nicht unnötig lang einschränken.
Beim Thema Reisen ist die Debatte mit besonders vielen Fragen verknüpft. Eine davon ist, ob Veranstalter, Hotels und Fluggesellschaften Geimpfte bevorzugen dürfen. Oder andersherum ausgedrückt: ob sie noch nicht geimpfte Menschen von Reisen ausschließen dürfen.
Experten beantworten dies nicht eindeutig. Das hänge „von einer Vielzahl von Faktoren ab, über die zum jetzigen Zeitpunkt noch keine verlässliche Aussage getroffen werden kann“, heißt es im Bundesjustizministerium. Ministerin Christine Lambrecht (SPD) meint, bis zur Klärung der Frage, ob das Virus trotz Impfung weitergegeben werden kann, verbiete sich eine unterschiedliche Behandlung von Geimpften und Nicht-Geimpften. Sonderregeln gibt es allerdings bereits. „So werden schon heute häufig negative Corona-Tests von Reisenden gefordert – zum Beispiel von zahlreichen Kreuzfahrtunternehmen“, teilt der Deutsche Reiseverband (DRV) mit.
Auch wenn der Verband die Impfungen als „Licht am Ende des Tunnels“ sieht – von Rettung ist beim DRV nicht die Rede. „Es wird noch eine Weile dauern, bis alle, die sich impfen lassen möchten, geimpft sein werden“, so der Verband. Für die Übergangszeit müsse die Politik eine Strategie präsentieren, wie Reisen sicher möglich seien.
70 Prozent Geimpfte wären die Wende
Dass die Urlaubssaison 2021 ins Wasser fällt, muss nicht sein. Die EU-Kommission hält eine Impfrate von 70 Prozent der Erwachsenen in der EU bis zum Sommer für machbar – wobei „Sommer“ eine Spanne zwischen Juni und Ende August bedeutet. Die Frage für Reisende bleibt auch, wie viel die EU zu wagen bereit ist und was mit den Reisezielen außerhalb der EU ist, zum Beispiel der Türkei oder Ägypten. Als Risiko gelten zudem die neuen, hochansteckenden Virusmutationen, die die Impfungen zum Wettlauf mit der Zeit machen könnten. Wird eine Impfrate von 70 Prozent tatsächlich erreicht, wäre dies aus Sicht der Kommission aber die „Wende“ im Kampf gegen die Pandemie – und könnte auch den Sommerurlaub retten.