Landsberg – 2020 war, neben vielem anderem, auch das Jahr, in dem der Komet Neowise von der Erde aus mit bloßem Auge zu sehen war. Himmelsphänomene beschäftigen die Menschen seit jeher. Steht eine Sonnenfinsternis an, kaufen sie Brillen, Wettererscheinungen befeuern den Absatz von Ferngläsern, auch ein Blutmond ist ein fesselnder Anblick. In seinen Bilanzen kann Patrick Bosch am Ende eines jeden Jahres ablesen, was am Himmel so los war. Aber gegen Corona, sagt er, „haben all diese Effekte keine Chance“.
2020 ist ein unerwartet erfolgreiches Jahr gewesen für die Firma Nimax, die neben Globen, Weltkarten und Ferngläsern vor allem Teleskope vertreibt. Anfang März, als Deutschland allmählich im Chaos versank, war die Unsicherheit am Firmensitz in Landsberg noch groß, weil niemand so recht wusste, was die Pandemie für die Menschen und die Unternehmen bringen würde. Am Monatsende sah Geschäftsführer Bosch dann schon deutlich klarer: „Da sind Umsatz und Stückzahlen explodiert.“ In guten Monaten hat Nimax seitdem das Doppelte an Teleskopen verkauft wie vor Corona, manchmal mehr. Und es gab viele gute Monate. Unterm Strich konnte man vergangenes Jahr rund 50 000 Exemplare absetzen. Knapp die Hälfte blieb in Deutschland, viele gingen nach Frankreich, der Rest in andere europäische Länder.
Jede Krise hat ihre speziellen Opfer. Weil Corona zwischenmenschliche Kontakte so sehr mag, sind Nachtgastronomie und Eventbranche regelrecht ausradiert worden. Umgekehrt gibt es aber auch besondere Nutznießer. Und es gibt ein Muster: Videokonferenzen, Streamingdienste, Plexiglaswände, Kochboxen, Gartenmöbel – alles Produkte, die mit räumlicher Distanz oder dem Rückzug ins Private verbunden sind. Auf die Leidenschaft für Astronomie trifft beides zu. Man ist weit weg und kann sich doch die fernen Welten von zuhause aus ganz nah ranholen.
Ein Vorteil der Sternenkunde liegt für Bosch gerade in dieser schwierigen Zeit auf der Hand: „Es gibt kaum etwas Beruhigenderes als Himmelsbeobachtung.“ Im All herrscht keine Hektik, anders als auf der Erde, wo das ganze Leben aus den Fugen geraten ist. Dass tatsächlich allein Corona die Geschäfte befeuert hat, belegen die Zahlen. Beim Absatz von Ferngläsern gab es von 2019 auf 2020 nahezu keine Veränderung, bei den Teleskopen stieg der Absatz dagegen in buchstäblich astronomische Höhen.
Die Ware, die ursprünglich fürs Weihnachtsgeschäft vorgesehen war, haben sie in Landsberg schon im Oktober verkauft. Zu ihrem Glück hatten sie die Bestellungen im Sommer kräftig aufgestockt, trotzdem mussten sie in den letzten Wochen regelmäßig in ihrem Astroshop Kunden vertrösten, bis März. Gerade in der Mittelklasse zwischen 1000 und 2000 Euro, wo die Teleskope bereits motorisiert sind und der Benutzer eine Kamera anschließen kann, war der Spielraum gleich null für Bosch und seine Kollegen: „Die Geräte sind europaweit ausverkauft.“
Das Unternehmen ist kräftig gewachsen in den letzten Monaten. Mittlerweile hat man knapp 80 Angestellte. In manchen Bereichen, dem Kundenservice oder der Fachberatung, gibt es 50 Prozent mehr Mitarbeiter als vor einem Jahr. Ewig wird das nicht so weitergehen, das weiß auch der Geschäftsführer. Doch selbst, wenn der Alltag wieder normaler wird, ist sich Bosch sicher, „dass der Effekt nachhallen wird. Denn eine gewisse Verlangsamung des Lebens wird Bestand haben.“ Und das ist, um im Bild zu bleiben, schon auch eine beruhigende Aussicht. Irgendwann wird Corona vorbei sein, aber der Himmel und die Teleskope, die werden bleiben. MARC BEYER