München will vorerst nicht lockern

von Redaktion

VON JULIAN NETT UND WOLFGANG HAUSKRECHT

Weilheim – Mit ernstem Blick läuft Florian Lipp durch die verregnete Weilheimer Innenstadt. Am sonst so belebten Marienplatz reiht sich ein leer stehendes Geschäft an das nächste. „Es werden ständig mehr“, sagt der Vorsitzende des Weilheimer Vereins für Standortförderung. Beinahe täglich erhalte er verzweifelte Anrufe örtlicher Gewerbetreibender, die sich im Stich gelassen fühlen.

Seit Wochen weist der Kreis Weilheim-Schongau eine der niedrigsten Inzidenzen im Freistaat auf. Lange schwankte der Wert zwischen 30 und 40, ein Corona-Ausbruch mit 16 infizierten Mitarbeitern in einer Pähler Bäckerei ließ die Zahlen gestern wieder auf 50,9 schnellen. Ein Ausreißer, hofft man. Immer mehr Regionen unterschreiten die Inzidenz-Marke von 50, gestern auch die Stadt München (48,0). Trotzdem gelten hier die selben Regeln wie im Hotspot-Landkreis Hof (378,7).

Wann man wo und wie lockern könnte, darüber debattierte der Weilheimer Kreisausschuss Anfang der Woche – und entschied sich gegen einen Antrag auf lokale Lockerungen. Landrätin Andrea Jochner-Weiß stellte klar, dass dies bis zum 14. Februar, dem derzeit geplanten Ende des Lockdowns, auch so bleibe. Zu groß ist die Sorge, dass Menschen aus Regionen mit hohen Infektionszahlen nach Weilheim strömen und das Virus wieder mitbringen könnten. „Angesichts der aktuellen Lage wäre es jetzt das völlig falsche Signal, für den Landkreis Weilheim-Schongau Lockerungen zu beantragen“, sagte Jochner-Weiß mit Verweis auf die britische Virus-Mutation, die auch den Landkreis schon erreicht haben könnte. Derzeit werden Verdachtsproben auf die Mutante untersucht.

Florian Lipp, selbst Inhaber des Kaufhauses Rid in der Weilheimer Innenstadt, hat dafür kein Verständnis mehr. Eine Pleitewelle wie derzeit habe es im starken Wirtschaftsstandort Weilheim noch nie gegeben. Der 47-Jährige warnt: „Wenn mal zu viel Leerstand da ist, kommt das auch nicht mehr zurück.“ Lipp fordert die Öffnung des Einzelhandels. „Ich kann verstehen, dass das in München ein Problem ist, weil alle mit der U-Bahn kommen“, sagt er, „aber in vielen bayerischen Klein- und Mittelstädten werden Strukturen zerstört.“ Die Politik, glaubt er, schätze das Risiko falsch ein. „Herr Söder soll einen einzigen Fall nennen, bei dem sich jemand in einem Einzelhandelsgeschäft infiziert hat. Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, dass wir sicher sind.“

Marion Kergl, 49, sieht das ähnlich. „Ich kann es nicht mehr nachvollziehen. Wir haben ein super Hygienekonzept und ziehen das konsequent durch“, sagt die Inhaberin zweier Friseursalons in Weilheim. Auch sie stellt den Lockdown infrage. „Es ist richtig, dass etwas passiert ist, aber jetzt brauchen wir wieder eine Perspektive.“ Täglich rufen Kunden an, um einen Termin zu vereinbaren. Dass sie bald wieder schneiden darf, glaubt sie aber nicht. Eine Lockerung nach österreichischem Vorbild, wo ein Friseurbesuch ab Montag mit negativem Corona-Test wieder möglich ist, hält Marion Kergl für schwer umsetzbar. „Aber ich nehme jede Möglichkeit an, um wieder öffnen zu können.“

Münchner Händler gegen Schnellschuss

Auch in München hellt sich der Corona-Himmel auf. Erstmals seit Mitte Oktober hat die bayerische Landeshauptstadt eine 7-Tage-Inzidenz von unter 50 – exakt 48. München war die erste deutsche Großstadt, die den Wert gerissen hat, und ist jetzt die erste, die ihn wieder unterschreitet. „Es ist erfreulich, dass die unterschiedlichen Maßnahmen ganz offenbar wirken“, sagt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Das sei ein Schritt in Richtung mehr Normalität. Gefragt nach Lockerungen bleibt Reiter aber defensiv. Er will warten, ob der Wert die nächsten sieben Tage stabil bleibt. Dann könne man darüber sprechen – in Abstimmung mit der Staatsregierung. Also kein Alleingang.

Die Münchner Innenstadthändler unterstützen die vorsichtige Linie Reiters. Auch sie lechzen danach, ihre Geschäfte aufzusperren, aber: „Wir brauchen keine Hopplahopp-Öffnung – zwei Wochen auf und dann wieder zwei Wochen zu“, sagt Sprecher Wolfgang Fischer. Der Inzidenzwert müsse stabil sein. Fischer plädiert für behutsame, dafür nachhaltige Lockerungen – ohne das Thema zu verschleppen. Denn: „Die Situation der Händler in der Innenstadt wird Tag für Tag dramatischer.“

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