München – Als er am frühen Nachmittag in seinen neuen Porsche 550 Spyder einsteigt, ist James Dean noch ein aufstrebender Jungstar, der sich ein teures Spielzeug leistet. Der tragische Unfalltod des gerade einmal 24-Jährigen katapultiert ihn aber umgehend in die Sphären der unsterblichen Kinogötter. Es gibt einige junge Talente in jenen Jahren. Paul Newman, Montgomery Clift, Marlon Brando. Sie alle werden zu internationalen Superstars – aber nur James Dean wird ein Gesicht, das sogar Menschen kennen, die keinen seiner Filme benennen können.
Dazu tragen verschiedene Umstände bei. Zum einen ist Dean ein geradezu unwirklich gut aussehender Typ, ohne wie ein Schönling zu wirken. Er hat ein zugängliches Gesicht mit gewinnendem Lächeln und ist unfassbar fotogen. Und: Er kann nicht altern. James Dean bleibt für immer ein Mann in den frühen Zwanzigern.
Zum anderen ist Dean tatsächlich außergewöhnlich begabt. Mit erst 20 wird er an der berühmten Schauspielschule Actor’s Studio in New York aufgenommen – und fällt sofort auf. Das gerade in Mode gekommene „Method Acting“, also das Einverleiben einer Rolle, liegt Dean. Er hat eine natürliche charismatische Aura und spielt intensiv.
Das bringt ihm schnell erste Rollen. Es sind nur kurze Auftritte, aber sie reichen, um ihn in Hollywood ins Gespräch zu bringen. Gleich seine erste große Hauptrolle in der Literaturverfilmung „Jenseits von Eden“ wird ein Coup für Dean. Er stiehlt dem restlichen Ensemble regelrecht den Film. Allerdings machen Regisseur Elia Kazan die ausschweifenden Ausflüge Deans ins Nachtleben von Los Angeles einige Sorgen, also quartiert er den Jungen auf dem Studiogelände ein. Was wiederum dazu führt, dass sich das aufregende Nachtleben von L.A. fortan in Deans Studio-Behausung abspielt.
Überhaupt gibt sich Dean bei seiner ersten großen Chance alle Mühe, möglichst viele Menschen gegen sich aufzubringen. Das Studio-Personal, das jeden Morgen die Partyspuren beseitigen muss, aber auch die Schauspielkollegen, die Dean damit nervt, zu improvisieren und sich kaum je ans Drehbuch zu halten. Regieanweisungen zu folgen, sei keine Schauspielerei, sagt er frech. Kazan lässt Dean gewähren – der spielt ohnehin einen unverstandenen Außenseiter, und die Spannungen zwischen den Schauspielern, die man in vielen Szenen regelrecht mit Händen greifen kann, passen perfekt ins Konzept.
Als der Film im Sommer 1955 in die Kinos kommt und zum Erfolg wird, ist Dean auf dem Sprung zum Star. Gerade steckt er in den Dreharbeiten zu dem epischen Drama „Giganten“, in dem er an der Seite von Elizabeth Taylor und Rock Hudson auftreten darf. Davor hatte er bereits „… denn sie wissen nicht, was sie tun“ abgedreht, seinen besten Film, der ihm maßgeblich den Nachruhm sichert. Denn der Film um einen Teenager, der dazugehören will, aber in immer größere Schwierigkeiten gerät, startet wenige Wochen nach Deans tragischem Tod und wird sein Requiem.
Anfangs soll es ein billig produziertes Schwarz-Weiß-Teeniedrama um Jugendliche werden, die sinnlos Ärger machen. Aber ähnliche Streifen wie „Der Wilde“ mit Marlon Brando oder „Saat der Gewalt“ sind überraschend Kassenschlager geworden, weshalb man umplant und etwas Geld in das Projekt steckt – es könnte sich lohnen. Gedreht wird also in teurem Warner-Color und Edel-Regisseur Nicholas Ray inszeniert ein tiefgründiges Moralstück.
James Dean als orientierungsloser Jim Stark, der in roter Windjacke unsicher lächelnd seinen Platz in dieser Welt sucht, wird für die Jugend weltweit ein Vorbild. Und eine Projektionsfläche. Denn das Mysterium, das Dean dank seines frühen Todes umgibt, befördert natürlich seinen Ruhm. Jeder kann in dem jungen Mann sehen, was er möchte. Man weiß zu wenig über ihn und das, was später berichtet wird, trägt eher zur Verwirrung bei.
Um dem Militärdienst zu entgehen, gibt sich Dean als Homosexueller aus, so wie viele junge Männer, die nicht auf den Schlachtfeldern des Koreakriegs verbluten möchten. Im Kontrast zu den Gerüchten um seine Sexualität eilt Dean schon als Filmstudent der Ruf eines Partyhengsts voraus, der mit seinem sehnsuchtsvollen Blick einen Schlag bei Frauen hat. Das mit den Augen, sagt Dean einmal, sei ein Missverständnis. Er sei stark kurzsichtig und schaue deswegen immer so intensiv durch die Gegend.
Andererseits wird Dean oft als introvertiert und verträumt charakterisiert. Ein Junge, der gerne Skulpturen formt, liest, Stepptanz lernt und Geige spielt. Gleichzeitig ist Dean ein Sportfanatiker und Draufgänger, der gerne schnelle Motorräder fährt.
Tiefsinniger Denker oder oberflächliches Feierbiest? Oder beides? Hätte er noch Großes vollbracht oder wäre er früh ausgebrannt?
Es gibt keine Antwort und das macht Deans Zauber aus. Ein bemerkenswerter Bursche muss er allemal gewesen sein. Und ein schwieriger Zeitgenosse, wie er einmal selber zugibt. „Keine Ahnung, wie es Leute mit mir aushalten. Ich würde mich selber nicht ausstehen können.“ Als während der Dreharbeiten zu „Giganten“ seine erste große Szene mit Elizabeth Taylor ansteht, ist Dean nervös bis zur Beinahe-Ohnmacht. Taylor ist damals der größte Star der Welt – und eine beunruhigend schöne Frau. Dean geht vor der Szene zur Seite und pinkelt vor der gesamten Filmcrew. Danach befragt, was das sollte, sagt Dean: „Wenn ich vor allen pinkeln kann, überstehe ich auch die Taylor“.
„Giganten“ wird Deans Ticket in den Olymp der Traumfabrik. Er selber ist unzufrieden. Vor allem nervt ihn, dass er laut Vertrag keine Autorennen fahren darf, seine große Leidenschaft. Gleich nach dem letzten Arbeitstag im September sagt er ein Rennen im kalifornischen Salinas zu: am 1. Oktober 1955. Am Tag zuvor holt er seinen neuen Porsche ab – und will ihn einfahren. Das letzte Lebenszeichen: ein Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens gegen 15.30 Uhr. Das passt als letzter Gruß für einen, der frühreif formuliert: Leb so, als würdest Du heute sterben.“
Den Mythos James Dean zu beschädigen, das wagte niemand – bis zum Herbst 2019. Die zuvor herzlich unbekannten Filmemacher Anton Ernst und Tati Golykh sorgten mit ihrer Ankündigung, die Ikone für ihr Vietnam-Kriegsdrama „Finding Jack“ zu besetzen, für Furore. Der Plan, mit Computertechnik eine Figur zu erschaffen, die mit Deans Gesichtszügen agiert, klingt leicht abseitig – die Begründung für das Vorhaben noch skurriler: Man habe keinen passenden lebenden Schauspieler für die emotional komplexe Rolle gefunden. Deswegen also Tricktechnik aus dem Rechner?
Was Sinn ergibt: Anton Ernst ist es gelungen, den beiden letzten Rechteinhabern am Bild von James Dean, zwei Cousins, die Rechte abzuschwatzen – gegen finanzielle Entschädigung. Die Reaktion weltweit war eindeutig: ganz großer Schafsscheiß. „Captain America“-Star Chris Evans zum Beispiel äußerte sich hämisch. Demnächst würden Computerprogramme wohl neue Songs von John Lennon komponieren.
Anlaufen sollte der Film im November – stattdessen hat man lange nichts mehr von „Finding Jack“ gehört. Alles doch nur ein Witz? Oder ist den Produzenten aufgefallen, dass ein James Dean aus Bits doch nicht das kann, was der echte Dean konnte? Egal, was aus dem Projekt nun wird – Anton Ernst und Tati Golykh ist auf jeden Fall einer der größten Marketing-Coups der jüngeren Kinogeschichte gelungen. Und selbst, wenn das Projekt verwirklicht werden sollte: Einer wie James Dean wird auch die digitale Leichenfledderung überstehen.