München – Zwei Stunden nahmen sich Südafrikas Gesundheitsminister und diverse Experten am Sonntagabend Zeit, um die neuen Erkenntnisse in einer Liveübertragung zu erklären. Ihnen war klar, wie beunruhigend das klang, was die Universität Witwatersrand in Johannesburg gerade veröffentlicht hatte: Der Impfstoff von Astrazeneca, mit dem Südafrika in den kommenden Tagen seine Impfkampagne starten wollte, wirkt deutlich schlechter gegen die als Südafrika-Variante bekannte Corona-Mutante B1351, die als deutlich ansteckender gilt als die ursprüngliche Form des Sars-CoV-2-Virus.
In Südafrika gibt es offiziell bislang 48 000 Covid-19-Todesfälle. Rund 90 Prozent aller neuen Corona-Fälle gehen dort auf B1351 zurück. Nach einer harten zweiten Welle samt Lockdown ist die Sehnsucht nach Impfung groß. Doch die Regierung will warten, bis genauere Daten vorliegen.
Die Forscher aus Witwatersrand arbeiten mit der Universität Oxford, den Mitentwicklern des Astrazeneca-Impfstoffes, zusammen. Sie glauben: Die Wirksamkeit des Impfstoffes ist gegen die südafrikanische Variante deutlich geringer als gegen die ursprüngliche Form des Virus. Eine Studie mit dem Blutserum von 2000 geimpften Probanden hatte gezeigt, dass das Astrazeneca-Vakzin milde und mittelschwere Covid-19-Verläufe nach Ansteckung mit B1351 wohl deutlich schlechter verhindert als bei Infektion mit dem ursprünglichen Virus.
Genaue Zahlen sollen erst noch folgen und zu schweren Verläufen macht die Studie keine Aussagen. Die für Südafrika wohl gravierendste Erkenntnis ist aber, dass das Vakzin – es spielt auch im deutschen Impfplan eine Rolle – auch eine Übertragung von B1351 unter Geimpften schlecht unterbindet. Das heißt: Eine Impfung schützt zu selten vor Übertragung, um mit dem Astrazeneca-Vakzin die weitere Ausbreitung zu verhindern. Das Land hat aber vorerst kein anderes.
In größeren Mengen zum Einsatz kommt der Astrazeneca-Impfstoff in Großbritannien. Die Regierung dort warb am Montag um Vertrauen. Man gehe davon aus, dass der Impfstoff schwere Verläufe bei B1351-Infektionen sehr wohl verhindere, sagte Gesundheitsminister Nadhim Zahawi. Gegen das ursprüngliche Virus und die in Großbritannien weit verbreitete Variante B117 wirke der Impfstoff gut. Das gelte auch für die Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna.
Doch auch die Vakzine von Biontech/Pfizer und Moderna zeigen im Labor gegen die Südafrika-Variante eine abweichende Wirkweise. Eine gute (Biontech) oder zumindest ordentliche (Moderna) Wirksamkeit ist weiter anzunehmen. Doch beide Hersteller erklären schon mal, sie seien vorbereitet, um auf Mutationen zu reagieren.
Das wird auch nötig sein, glauben Experten weltweit. Wo sich das Virus vermehrt, verändert es sich. Der US-Chef-Immunologe Anthony Fauci etwa hält angesichts von Massenausbrüchen wie in Los Angeles eine US-Variante „nicht nur für möglich, sondern für wahrscheinlich“.
Viele genetische Veränderungen des Virus setzen sich gar nicht erst dauerhaft durch. Andere sind gravierend. So weisen die britische und die südafrikanische Variante Veränderungen am Spike-Protein auf, einem Stachel, der dem Virus als Schlüssel zu menschlichen Zellen dient, in denen es sich dann vermehrt. Passt der Schlüssel durch Mutation besser, können höhere Ansteckungsraten und schwerere Krankheitsverläufe folgen.
Gleichzeitig machen Veränderungen das Virus für die Immunabwehr schwerer zu erkennen, selbst wenn der Körper schon eine Infektion mit dem ursprünglichen Coronavirus durchgemacht hat. Zudem setzen die bisher verfügbaren Impfstoffe darauf, das Immunsystem genau auf das Erkennen des Spike-Proteins zu trainieren, das sich jetzt aber bei der britischen und der südafrikanischen Variante verändert hat.
Für Südafrika, wo weitere Studien mit ähnlichen Impfstoffen offenbar ähnliche Resultate brachten wie die Astrazeneca-Analyse, folgert Witwatersrand-Impfstoffforscher Shabir Madhi: „Die Resultate nötigen uns, den Fokus vom Ziel der Herdenimmunität auf den Schutz von Risikogruppen vor schweren Verläufen zu richten.“
Das lässt sich zwar nicht einfach auf andere Länder übertragen. In der EU etwa werden die höher wirksamen Impfstoffe von Biontech und Pfizer bald breiter verfügbar sein. Und noch ist unklar, wie stark sich B1351 überhaupt hier ausbreitet. Derzeit zeichnet sich aber weltweit ein Wettlauf ab zwischen der Verbreitung von Mutationen und der Fähigkeit, Impfstoffe massenhaft einzusetzen und schnell anzupassen.
Großbritanniens Gesundheitsminister Nadhim Zahawi plant bereits damit, dass Corona-Impfungen jährlich mit angepassten Vakzinen aufgefrischt werden müssen, weil das Virus in unterschiedlichen Varianten auch zukünftig zirkulieren werde.
Die Impfbereitschaft in Deutschland ist laut einer Umfrage der Universität Hamburg auf mittlerweile 62 Prozent gestiegen. Dass sich mit so einer Impfquote das Virus schnell ausrotten ließe, wird inzwischen bezweifelt. Professor Hartmut Hengel, Ärztlicher Direktor des Instituts für Virologie der Uniklinik Freiburg, sagte dem ZDF: „Wir können aktuell keine genaue Prozentzahl nennen, ab der es in Deutschland Herdenimmunität geben wird. Geschweige denn, wann.“
Was die Virusvarianten kurzfristig bedeuten, ist weiter unklar. Die Befürchtungen sind mit Blick auf die Ausbreitung in Südafrika, Großbritannien oder Dänemark groß. Doch fehlen für Deutschland klare Zahlen. Eine systematische Genomsequenzierung, die nötig ist, um Varianten überhaupt zu finden, gibt es in Deutschland erst seit wenigen Wochen. In fünf Prozent der untersuchten Proben vom Januar fand sich laut Robert-Koch-Institut (RKI) die britische Variante B117. Das sei der Ausgangswert, sagt RKI-Chef Lothar Wieler. Nun schaue man, wie schnell er steige. Die Südafrika-Variante wurde bisher vereinzelt entdeckt.
In den USA rechnet man schon mit einer eigenen Mutante
Der Plan einer Herdenimmunität wird verworfen