Bekommen Geimpfte das Virus nicht mehr?

von Redaktion

Einer neuen Studie aus Israel zufolge verhindert der Impfstoff von Biontech in neun von zehn Fällen eine Infektion mit dem Coronavirus. Das würde auch Ungeimpfte schützen – und den Weg zur Herdenimmunität ebnen. Allerdings gibt es noch Zweifel am Ergebnis der Forscher. foto: Getty images

VON FINN MAYER-KUCKUK, SARA LEMEL & VALENTIN FRIMMER

Berlin – Es ist die eine große Frage, an der so viel hängt: Schützen die Impfstoffe nur vor einer fühlbaren eigenen Erkrankung oder auch vor einer Infektion – und damit vor der Weitergabe des Virus an andere? Neue Daten aus Israel machen Hoffnung, dass zwei Dosen des Biontech-Impfstoffs tatsächlich in neun von zehn Fällen eine Infektion unterbinden können. Die Geimpften wären damit für das Virus nicht mehr erreichbar und bilden in der der Gesellschaft Mauern, die das Virus stoppen.

Die Daten, die Biontech und Pfizer zusammen mit dem israelischen Gesundheitsministerium erhoben haben, sind bisher weder veröffentlicht noch von Experten begutachtet. Wenn die Aussage zur Ansteckung durch Geimpfte aber vom Trend her stimmt, handelt es sich um eine außerordentlich gute Nachricht. Denn eine Impfung, die auch eine Infektion in den meisten Fällen verhindert, würde als starker Dämpfer für das Pandemiegeschehen wirken. Bei einer Impfung, die weiter Infektionen mit dem Virus zulässt, würde die Pandemie hingegen verdeckt weiterlaufen.

Herdenimmunität nur mit Biontech schwierig

Sars-CoV-2 verursacht im Naturzustand pro Wirt rund drei Neuinfektionen. Daher reicht es, wenn sich das Virus an zwei Dritteln der Bevölkerung die Rezeptoren ausbeißt, damit die Fortpflanzungsrate „R“ (im Fachterminus Reproduktionszahl) von selbst unter eins sinkt – ohne Lockdown, ohne Masken, bei offenen Geschäften, Schulen und Kinos. Allerdings: Auch wenn der Biontech-Impfstoff die erhoffte Wirkung hat, müssten für eine Herdenimmunität rund 70 Prozent der Bevölkerung geimpft sein. Bisher gibt es so viel Biontech-Impfstoff gar nicht. Und ob die Impfstoffe anderer Hersteller, die teilweise auf einem anderen Prinzip beruhen, auch vor einer Infektion schützen, ist weiter unklar. In Deutschland sind neben Biontech bisher die Impfstoffe von Moderna und Astrazeneca zugelassen. Weitere Impfstoffe befinden sich im Zulassungsverfahren.

Die neuen Daten aus Israel zeigen erneut die hohe Wirksamkeit von mRNA-Impfstoffen. Das Biontech-Vakzin verhindert nach Beobachtung der israelischen Forscher 99 Prozent der schweren Erkrankungen. Eine in der Fachzeitschrift „Lancet“ veröffentlichte Studie an geimpften Krankenhausmitarbeitern hatte bereits eine Wirksamkeitsrate – schon nach der ersten von zwei Dosen – von 85 Prozent ergeben. Damit könnte das Biontech-Produkt schon nach der ersten Spritze so wirksam sein wie manch anderes Präparat erst nach zwei Gaben.

Und nun also die hoffnungsvolle Nachricht, dass die Impfung auch vor dem Virus selbst schützt. Der Wirkstoff sei „hocheffektiv“ bei der Verhinderung von Infektionen mit Sars-CoV-2, schreiben die Autoren der israelischen Studie. Sie hatten die Daten von zehntausenden positiven Coronatests in Israel zur Verfügung und schauten, wie viele der Infizierten geimpft oder nicht geimpft waren. Das Ergebnis: Der Anteil der Menschen mit vollem Impfschutz, der in einem bestimmten Zeitraum positiv auf Corona getestet wurde, war wesentlich niedriger als der Anteil bei den Nichtgeimpften. Die Studienautoren schreiben in Bezug auf diesen Schutz von einer „Effektivität“ von 89,4 Prozent.

Israel war besonders gut für so eine Studie geeignet: Es gibt bereits viele Geimpfte (siehe Artikel unten), aber wegen hoher Infektionszahlen auch noch reichlich Gelegenheit, sich anzustecken.

Studie lässt Zweifel an Ergebnissen zu

Die Ergebnisse der Studie sind jedoch nicht so eindeutig, wie die nackte Zahl vermuten lässt. So geben die Autoren selbst zu bedenken, ihre Herangehensweise könnte dazu geführt haben, dass der Effekt der Impfung auf Infektionen überschätzt wird. Denn in Israel werden Ungeimpfte häufiger getestet als Geimpfte. Allein aus diesem Grund könnte es also schon mehr positive Tests in der Gruppe der Ungeimpften gegeben haben. Das israelische Nachrichtenportal „ynet“ schreibt zudem: „Im Gesundheitsministerium wurde klargestellt, dass die Daten zur Wirksamkeit gegen Infektionen im Vergleich zu den anderen Daten am wenigsten gewiss seien.“

Impf-Experte Sebastian Ulbert vom Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie (IZI) tat sich am Sonntag mit einer Beurteilung schwer. Er hält den Wert von 89,4 Prozent für wenig belastbar. So habe es bei der Untersuchung nicht zwei definierte Gruppen (Geimpfte und Ungeimpfte) gegeben, die in festgelegter Form regelmäßig getestet wurden. Stattdessen wurde auf Daten freiwilliger Tests zurückgegriffen, die Vergleiche nur schwer möglich machen. Laut Ulbert müsse man den wissenschaftlichen Begutachtungsprozess abwarten.

7-Tage-Inzidenz: Zahlen steigen wieder

Unterdessen haben die Fallzahlen am Wochenende eine beunruhigende Trendwende hingelegt. Nachdem sie am Freitag noch seitwärts liefen, sind sie am Wochenende wieder gestiegen (siehe Grafik). „Die dritte Welle beginnt jetzt“, twitterte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach. „Die Frage ist nur, wie schnell und wie stark.“

Laut Robert-Koch-Institut wurden zum Sonntag 1500 mehr Neuinfektionen gemeldet als eine Woche vorher. Als ein Grund gelten die Virus-Mutationen. Bis Sonntagabend stiegen die Zahlen abermals über die Werte der Vorwoche. Die Daten könnten Auswirkungen auf mögliche Lockerungen haben. Bund und Länder peilen eine stabile 7-Tage-Inzidenz von unter 35 an. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg.

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