München – Markus Söder sieht ein wenig zerknittert aus, als er am Mittag danach Bilanz zieht. „Ich glaube, dass wir daran arbeiten müssen, unsere prozeduralen Verfahren deutlich zu verbessern.“ Was Söder damit sagen will: Dieser Gipfel war ein ziemlicher Mist. Es könne nicht sein, dass „wesentliche Entscheidungen“ erst zwischen 1 und 3 Uhr morgens getroffen würden. Das berge auch die Gefahr, dass nicht alle Details geklärt würden. Man müsse sich auch besser vorbereiten. Und: „Ich plädiere für mehr Transparenz. Ich glaube, dass jede dieser Schalten besser gleich öffentlich wäre.“
Dieser Bund-Länder-Gipfel wird in die Geschichte der deutschen Corona-Politik eingehen. Vielleicht als die Nacht, an der das Bund-Länder-Format seinen Zenit überschreitet. Es ist 2.27 Uhr, als Angela Merkel mit Söder und dem Berliner Regierenden Bürgermeister Michael Müller vor die Presse tritt. 15 Stunden Gespräche liegen hinter ihnen – die Kanzlerin kennt das aus ihren Brüsseler Nächten. Auch diesmal hat sie sich irgendwie durchgesetzt, jedenfalls ein bisschen. Als die Ministerpräsidenten aus dem Norden am frühen Abend zu sehr auf Öffnungen für Urlauber gepocht hatten, drang sie auf 15 Minuten Pause. Es dauerte ein wenig länger. Wenn man genau sein will: sieben Stunden.
Es sind vielleicht die einzigen sieben Stunden in der einjährigen Geschichte dieser Treffen, in denen die Journalisten und damit das Land im Dunkeln tappen. Merkel, Söder und Müller besprechen sich mit Olaf Scholz (SPD) im ganz kleinen Kreis. Nichts dringt nach draußen. Umso größer ist die Überraschung, als der „Spiegel“ um kurz nach Mitternacht den Vorschlag vom harten Oster-Lockdown öffentlich macht. Auf so eine Idee hatte wenig hingedeutet. Im Gegenteil: In der ersten Fassung des Beschluss-Papiers war noch das vorbildliche Verhalten der Bevölkerung zu Weihnachten gepriesen worden – ein gemeinsames Osterfest sei deshalb möglich.
Die übrigen Ministerpräsidenten scheinen genauso überrascht wie die Beobachter. Es geht noch hin und her. Die unionsgeführten und die übrigen Länder beraten separat. Schließlich wird der Osterlockdown ein klein wenig aufgeweicht: Nun dürfen am Samstag wenigstens Lebensmittel verkauft werden.
Dass der Gipfel mitten in der Nacht eine solche Überraschung liefert, ist ein Novum. Normalerweise dringt alles nach außen. Wichtiges und Unwichtiges. Diesmal beispielsweise, dass vor allem Schleswig-Holsteins Daniel Günther und Sachsen-Anhalts Reiner Haseloff (beide CDU) auf konkrete Lockerungen beim kontaktlosen Urlaub drängen, während Söder und Merkel gemeinsam dagegenhalten. Aber eben auch, dass Gesundheitsminister Jens Spahn von der Kanzlerin mit einem Aufruf überrascht wird und gerade ein Duplo im Mund hat. Dazu kommt mit Bodo Ramelow (Linke) ein Ministerpräsident, der diesmal mit dem Spielen von „Candy Crush“ offenbar nicht ausgelastet scheint und mitten in der Nacht ein ausdauerndes „ÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄÄ“ twittert. Damit will er sich offenbar über den Kollegen Haseloff lustig machen, der zwei Tage zuvor versehentlich ein einzelnes Ä getwittert hatte – mit dem Handy in der Hosentasche.
Während die kleine Spitzenrunde also nach einer Lösung aus dem Corona-Dilemma sucht, scheinen andere akut gelangweilt. Staatskrise und Kindergarten liegen in dieser seltsamen Nacht sehr nah beisammen. MIKE SCHIER