Trendwende oder trügerische Feiertage?

von Redaktion

VON KLAUS RIMPEL, STEFAN REICH UND LISA FISCHER

München – Die Kanzlerin, Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, CDU-Chef Armin Laschet, Intensiv-Mediziner: sie alle fordern weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Dass die Ministerpräsidenten erst am kommenden Montag darüber beraten wollen, erscheint manchem zu spät. Gleichzeitig sinkt die 7-Tage-Inzidenz wieder. Ist das ein Trend oder nur ein Sondereffekt durch die Osterfeiertage? Vielleicht sogar nur eine statistische Verzerrung? Und wann hat die Politik wieder verlässliche Zahlen zur Verfügung, um sinnvolle Entscheidungen zu treffen?

Die Inzidenz

Die bundesweite 7-Tage-Inzidenz war bis zum 1. April auf 134,2 geklettert. Seitdem fällt sie. Gestern lag sie nur noch bei 105,7. Das Robert-Koch-Institut (RKI) verwies nach dem Osterwochenende darauf, dass die zurückgehenden Fallzahlen mit geringerer Testtätigkeit an den Feiertagen zu tun haben könnten. Anders formuliert: Die Zahl der bekannten Fälle sinkt zwar, dafür könnte die Dunkelziffer höher sein und bald wieder auf die Fallzahlen durchschlagen. Statistiker haben allerdings Zweifel, dass ein Ostereffekt alleine zur Erklärung des aktuellen Rückgangs ausreicht.

„Es gibt durch die Osterfeiertage sicher gewisse Verzerrungen“, sagte Helmut Küchenhoff, Statistiker an der Ludwig-Maximilians-Universität München, am Donnerstag. „Der Rückgang ist aber so deutlich, dass er allein damit nicht zu erklären ist.“ Eine leichte Abschwächung in der Infektionsdynamik sei schon vor Ferienbeginn zu erkennen gewesen. Es sei möglich, dass zumindest das exponentielle Wachstum für den Moment gebrochen sei.

Ostern und die Tests

Für die Woche vor Ostern liegt die Zahl der durchgeführten PCR-Tests, die von Laboren an das RKI gemeldet wurden, bei gut 1,4 Millionen – für die erste Woche der Osterferien um etwa 300 000 niedriger. Das kann heißen, dass weniger getestet wurde, etwa in Arztpraxen. Es kann aber auch am Meldesystem liegen. Die Meldung der Testzahlen an das RKI erfolgt freiwillig und teils mit deutlichem Zeitverzug. Bis einschließlich Dienstag hatten nur 188 Labore ihre Testzahlen für die erste Ferienwoche an das RKI gemeldet statt wie sonst üblich über 200.

Im Münchner Testzentrum auf der Theresienwiese wurde jedenfalls nicht weniger getestet, an manchen der Ferientage sogar mehr als sonst. Trotzdem sank die Inzidenz in der Stadt bis einschließlich Mittwoch immer weiter. Und positive Testergebnisse müssen den Gesundheitsämtern gemeldet werden. Die geben sie an die Landesbehörden weiter, die sie wiederum an das RKI weiterleiten. Diese Datenerfassung lief auch über Ostern. Verzerrungen durch Zeitverzug in dieser Meldekette schätzt das RKI derzeit als eher gering ein. Man habe durchgehend an die Behörden gemeldet, sagte auch eine Sprecherin des Münchner Gesundheitsreferats.

„Anfang nächster Woche“, glaubt LMU-Statistiker Küchenhoff, lägen „sicher Zahlen vor, die eine gute Grundlage für politische Entscheidungen darstellen.“

Die Positivquote

Betrachtet man die gemeldeten Zahlen bei den PCR-Tests, fällt auf, dass der prozentuale Anteil der positiven Ergebnisse in der ersten Ferienwoche mit 11,1 Prozent höher war als in der Vorwoche. Die Positivquote bei den PCR-Testungen steigt seit Wochen kontinuierlich.

Das kann verschiedene Ursachen haben, sagt Statistiker Küchenhoff. So könne etwa der zunehmende Einsatz der Schnell- und Selbsttests eine Rolle spielen. Vereinfacht gesagt: Wer beim Schnell- oder Selbsttest ein negatives Ergebnis erhält, geht gar nicht mehr zum PCR-Test. Die Zahl der negativen Ergebnisse sinkt dadurch, die Positivquote steigt – ohne dass man daraus viel über das Infektionsgeschehen ableiten könnte.

„Wichtig für eine möglichst gute Aufhellung der Dunkelziffer ist auch die Frage, wer getestet wird“, sagt Küchenhoff. Die Arbeitsstätten besser in den Blick zu nehmen, würde sich lohnen, glaubt er. Bisherige Analysen hätten gezeigt, dass Betriebe der Ausgangspunkt größerer Ausbrüche sein können. Auch wenn die Alten nun besser geschützt seien: Die Gruppe der etwa 50 bis 60 Jahre alten Menschen, die ja noch berufstätig sei, sei nach wie vor gefährdet.

Weniger Corona-Tote

Die Zahl der Todesfälle geht weiter zurück. In der vergangenen Woche wurden bundesweit 1189 Covid-19-Tote verzeichnet. Fast 40 Prozent waren 60 bis 79 Jahre alt. Auf über 79-Jährige entfiel noch knapp mehr als die Hälfte der Todesfälle. Nur rund acht Prozent gehörten der Altersgruppe unter 59 Jahre an.

In der zweiten Dezemberhälfte hatte die Zahl der Corona-Toten noch um ein Vielfaches höher gelegen. 5752 Tote meldete das RKI in der 52. Kalenderwoche, also kurz nach Weihnachten. Damals waren noch 72 Prozent der Verstorbenen 80 Jahre oder älter und nur drei Prozent 59 Jahre oder jünger.

Die Intensivstationen

Statistiker Küchenhoff analysiert auch die Lage auf den Intensivstationen. Bei den Neueinweisungen ist hier weiter ein leichter Anstieg zu verzeichnen. Das wird laut Küchenhoff auch noch einige Wochen so bleiben, selbst wenn die Neuinfektionen weniger werden sollten. Und mit der veränderten Altersstruktur steigt auch die Aufenthaltsdauer (siehe Interview unten). Von den 20 868 derzeit belegten Intensivbetten wurden am Donnerstag 4474 für Covid-19-Patienten benötigt. Der bisherige Höchststand bei der Belegung von Intensivbetten war am 3. Januar erreicht worden. Damals lagen 5762 Covid-19-Patienten auf deutschen Intensivstationen.

Die Schulen

Den Schulen messen die LMU-Statistiker beim Pandemiegeschehen eine eher geringe Bedeutung bei – zumindest für die Vergangenheit. In einer Veröffentlichung von Anfang April kommen sie zu dem Schluss, dass in der zweiten Welle vor dem Jahreswechsel zwar in einigen Wochen mehrere tausend Schüler und Lehrer in Bayern unter den Neuinfizierten waren, die wenigsten Fälle aber auf Ausbrüche in Schulen zurückzuführen gewesen seien. Dazu hätten Hygiene-Maßnahmen beigetragen und präventive Quarantänen für ganze Schulklassen. Neue, teils ansteckendere Virusvarianten wie die britische Mutante müsse man im Blick behalten. Was das für die Rolle der Schulen in der Zukunft bedeuten kann, dazu haben die LMU-Statistiker noch keine Prognose abgegeben.

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