München – Als die ganze Republik am Nachmittag auf ein Einigungssignal aus München wartet, ertönt stattdessen plötzlich politisches Indianergeheul. CSU-Vize Dorothee Bär meldet sich zu Wort in einer Schalte ihrer Parteispitze. „Das CDU-Präsidium sagt ,Hugh, ich habe gesprochen‘ – so geht das nicht!“
Nein, das ist nicht die Friedenspfeife, sondern eine Kampfansage, von wegen Blutsbrüder. Die CSU verzichtet vorerst nicht auf die Kanzlerkandidatur ihres Vorsitzenden Markus Söder. Mag sich auch die CDU-Führung, die enge und die erweiterte, für Armin Laschet aussprechen – in München wischen sie dieses Votum achselzuckend vom Tisch.
Ja, das kommt für viele überraschend. Weil es, nüchtern mathematisch, ein gewagtes Unterfangen ist. Die CDU aus den 15 Bundesländern hat sich hinter ihren Kanzlerkandidaten-Kandidaten Laschet gestellt, die CSU in Bayern hinter ihren Söder. Das war so erwartet worden, und numerisch ist die Sache damit recht klar. Zumal der Bayer am Vortag noch gesagt hatte, dass er ohne Groll Laschet unterstütze, falls die CDU seine Kandidatur nicht wünsche. Am Montag klingt dies irgendwie anders.
Bär lästert über das Indianer-Hugh, weitere Söderianer fordern die CDU auf, sie solle „noch mal in sich gehen“. Per SMS werden aus dem Zusammenhang gerissene Umfragedaten weitergeleitet: Ach, in NRW liege Söder für den Fall einer Direktwahl mit 68:20 Punkten vorn! Oh, bundesweit wünschten sich nur drei Prozent einen Kanzler Laschet! Und Söder selbst macht deutlich, dass er keinen schnellen Rückzug plant. „Die Entscheidung muss auf einer ehrlichen Basis ablaufen“, sagt er seinen Parteifreunden, „und kein Hauruck-Verfahren.“
Tag 1 nach der Verkündung der Parteichefs, sie stünden beide fürs Kanzleramt bereit, endet also nicht mit der erträumten klaren Entscheidung. Obwohl sie mehrfach telefonieren, die beiden Häuptlinge. Statt dessen wogt es hin und her.
Für Söder beginnt der Tag nicht gut. In den großen Zeitungen des Kontinents darf er lesen, dass er sich die Kandidatur abschminken kann. „Die Würfel sind gefallen“, titelt die „FAZ“. Die römische „La Repubblica“ spottet, Söder habe zwar „ein Ego, das so groß ist wie die Burgen Ludwigs von Bayern“, aber Laschet dürfe man nicht unterschätzen.
Es folgt die Sitzung von Laschets CDU-Präsidium. Kein einziger Präside macht sich dabei für Söder stark, alle umschmeicheln den CDU-Chef. Wolfgang Schäuble sagt glasklar, man lege sich auf Laschets Kandidatur fest. Schäubles Wort hat Gewicht, und er warnt: Umfragen könnten sich schnell ändern. Auch die Junge Union, Heimat vieler Söder-Fans, legt ein gummiartiges Statement vor, dass „der Armin“ nun ein klares Verhandlungsmandat brauche und am Ende selbst entscheiden müsse. Später verkündet Generalsekretär Paul Ziemiak jedenfalls: „Es geht um die Fähigkeit zu führen, aber es geht auch um die Fähigkeit zusammenzuführen.“ Wer mag, darf das als feine Spitze auf den breitbeinigen Franken verstehen.
Es wirkt fast etwas bitter, als mittags Söders engste Vertraute ein Foto aus der Bundestagskantine twittern: Auf dem Speiseplan steht Bratwurst – also wenigstens hier Nürnberger in Berlin.
Die Stimmung steigt allerdings im Lauf der Mahlzeit spürbar, denn aus der CDU dringen auch andere Töne. Gleich nach dem Präsidium tagt der nächstgrößere Führungszirkel, der CDU-Vorstand. Wieder viel Flausch für Laschet – aber nicht nur. Aus der dritten und vierten Reihe kommen Söder-Sympathien. „Wir müssen mal außerhalb dieses Gremiums auf Stimmungslagen schauen“, wird der Berliner Landesvorsitzende Kai Wegner zitiert. „Viele unserer Mitglieder haben sich über die Kandidatur von Söder gefreut“, sagt der Thüringer Kollege Christian Hirte. Wahrlich keine Promis. Aber genau auf diese Kategorie setzt Söder: Basis bis Mittelbau, Mandatsträger auch aus Regionen, wo der CDU das Wasser bis zum Hals steht – bringen sie seine Kandidatur noch durch, notfalls mit einem Aufstand in der Schwesterpartei?
Laschet scheint das gar nicht wahrzunehmen. Als er mittags staatstragend vor die Presse in Berlin tritt, ist dieser Söder erst mal kein Thema. Der Mann aus Aachen-Burtscheid hält eine kleine Regierungserklärung, wie er sich die Zeit nach Corona vorstellt: Kampf der Bürokratie, Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie, der multilaterale Ansatz in der Außenpolitik. Solche Sachen. „Mein Amtsverständnis vom Amt des Bundeskanzlers ist ein europäisches.“ Erst dann kommt er zum lästigen Kleinkrieg mit dem CSU-Chef, kündigt ein klärendes Telefonat an. „Alle wollen eine schnelle Entscheidung. Alle Fakten liegen auf dem Tisch“, verkündet er selbstbewusst.
Ob ihn die schlechten Umfragewerte nicht stören, wird er gefragt. Bei den großen inhaltlichen Fragen habe sich die Union nie von Umfragen leiten lassen, kontert er. Westbindung, Nachrüstung, Euro, Flüchtlingskrise. Über Söder lässt er fallen: „Wir sind unterschiedliche Typen, da setzt jeder einen anderen Schwerpunkt.“
Oh ja, arg unterschiedliche Typen. Söder reagiert auf die Empfehlungen der CDU-Spitze nämlich eiskalt. „Natürlich ist das ein wichtiges Signal“, sagt er vor Journalisten mit gönnerhaftem Unterton. Das werde „zur Kenntnis genommen“. Und er werde „pfleglich“ mit dem Armin umgehen. Er weist aber darauf hin, dass eine Kanzlerkandidatur nicht im CDU-Präsidium „von 10, 20 Leuten“ entschieden werde.
Söder und seine Leute versuchen erkennbar, die Entscheidung in größere Runden zu verschieben. Heute zum Beispiel tagt die gemeinsame Bundestagsfraktion – dort fürchten mehrere Dutzend Abgeordnete um ihre Direktmandate, sie hätten lieber den aktuell populäreren Kandidaten. Söder kündigt an, er werde an der Sitzung teilnehmen. Laschet hatte zuvor verkündet, die Fraktion werde sich nur mit inhaltlichen Fragen befassen: „Ich werde jedenfalls nicht da sein.“ Ob er Söder das Feld kampflos überlässt? Unwahrscheinlich.
Mehr noch: Führende CSUler drohen der CDU mit der nächsten Eskalationsstufe, einem Mitgliedervotum. Das ist zwar unrealistisch, würde wochenlang Gräben aufreißen, brächte vielleicht nicht mal klare Resultate. Der CSU macht es aber plötzlich viel Freude, darüber nachzudenken. Söder stellt sich offiziell nicht hinter diese Idee, doch es genügt ja schon, wenn die CDU kräftig zusammenzuckt.
Ein denkwürdiger Tag, der Beginn einer Nervenschlacht. Laschet ist die Anspannung anzumerken. Als er vom Pult in der Parteizentrale tritt, vergisst er seinen Mundschutz, läuft ohne durch den Raum. „Maske“, raunt ihm ein Mitarbeiter zu, Laschet stutzt und friemelt das Ding aus der Hosentasche. Söder setzt, als er nachmittags in München seinen Auftritt beendet, in aller Seelenruhe seine Maske auf, schaut mit blitzenden Augen in die Kameras. „Wir sehen uns wieder“, raunt er durch den Stoff.