CDU droht mit Einmarsch in Bayern

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München/Berlin – Sonntagabend gerät die Sache plötzlich ins Rutschen. Auf dem Berliner Flughafen landet gegen 19:30 Uhr eine kleine Maschine aus Nürnberg. Wer der wichtigste Passagier ist, lässt sich erahnen, als Augenzeugen eine kleine Kolonne von Limousinen mit Münchner Kennzeichen beobachten. Markus Söder ist in Berlin eingetroffen, offizielle Termine hat er dort nicht. Es kann nur um eines gehen: Die Entscheidung um die Kanzlerkandidatur. Wer Söder kennt, ahnt: Zum Verzichten hätte er es nicht so eilig, mit der Chartermaschine anzureisen.

Die Limousinen verschwinden in der Nacht, doch Ruhe kehrt nicht ein, nicht in Berlin und nicht in Bayern. Kurz vor Ablauf mehrerer Ultimaten an Söder und Armin Laschet, sich doch um Himmelswillen diese Woche friedlich auf einen Kanzlerkandidaten zu einigen, ist Bewegung in den seit einer Woche festgefahrenen Streit gekommen. Nicht freiwillig, nicht durch gutes Zureden oder große Gesten – sondern durch Druck.

Im Lauf der Woche ist schleichend das Szenario eingetreten, auf das Söder und seine Strategen schon am Montag gehofft hatten: dass in der CDU die Unterstützung für Laschet bröckelt, dass die Basis anfängt, gegen das Parteipräsidium aufzubegehren. In kleinen Schritten ist das passiert: Hier ein Ortsverband, da ein Kreisvorsitzender, dann etliche Abgeordnete.

Am Sonntagabend kommt ein großer Faktor dazu: Die Junge Union, der gemeinsame Nachwuchs von CDU und CSU, schaltet sich digital zusammen. Bisher hatte die JU Laschet gestützt. Jetzt bricht diese Säule weg. 14 der 17 Landesverbände lassen ihren Parteivorsitzenden fallen. Nur NRW steht noch, wenn auch zahlenmäßig der größte, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein haben gemischte Voten – der Rest sagt: Söder soll’s machen.

Man reibt sich die Augen: Die Junge Union, damals in Bayern, war es auch, die 2017/18 in Söders beinhartem Kampf um das Ministerpräsidentenamt den Ausschlag gab. Legendär die Szene, als die Jungen plötzlich blaue „MP Söder“-Schilder zückten, die Aufforderung an Horst Seehofer, zu gehen.

Jetzt also wieder. Am Abend zählen und rechnen und argumentieren Laschets Leute noch, was so eine JU-Mehrheit ohne den großen Block aus NRW wert sei. Söder, sofort aus der JU-Runde informiert. hält das für einen extrem wichtigen Punkt. Für die Macht. Und fürs Machen. Die Parteijugend sitzt zwar noch nicht an den Schalthebeln, aber stellt die meisten Ehrenamtlichen zum Plakate-Kleben und Straßenwahlkampf. Wenn sie sich einem Kandidaten Laschet verweigern, wäre dessen Kampagne im Eimer.

Zumal noch weitere CDU-Politiker an diesem Abend umfallen. Im Nordosten und Osten gibt es mehr Sympathien für Söder. In Baden-Württemberg tendiert die Basis klar zum Bayern. Aus Hessen meldet sich der langjährige CDU-Fraktionschef Christean Wagner: „Söder muss Kanzlerkandidat werden, weil er die weitaus besseren Chancen hat.“

Auf der anderen Seite verschärfen Laschets Loyale den Ton. Man sagt ja immer, der NRW-Regent sei so freundlich, verbindlich – die zweite und dritte Reihe hinter ihm zieht an diesem Wochenende aber ebenfalls viele Register. Allen voran ein junger Europaabgeordneter, der sich mit einem Satz über Nacht bekannt macht. Dennis Radtke, 41, gelernter Gewerkschaftssekretär im Ruhrpott, spricht einen Fluch aus, den sie in der CDU nur alle 20, 30 Jahre wagen. „Wenn Markus Söder die Kanzlerkandidatur erzwingen will, wenn er die CDU zerstören will, dann darf die Gründung der CDU in Bayern kein Tabu mehr sein“, sagte Radtke in eine Kamera des ZDF. Wenn die CDU mit Einmarsch in Bayern droht, und sei es nur ein Hinterbänkler aus Bochum oder Brüssel, dann ist da etwas total außer Kontrolle geraten.

Nein, kein Einzelfall, es kommen weitere Laschet-Fans dazu. Etwa Karin Prien, eine Ministerin aus Schleswig-Holstein: „Das respektlose, rücksichtslose Vorgehen der CSU und von Markus Söder wird nicht ohne Konsequenzen bleiben“, sagt sie öffentlich. Und Ruprecht Polenz twittert, „Söder zerstört die CDU“. Polenz mag zwar nur ein gescheiterter Kurzzeit-Generalsekretär der CDU sein, irgendwann Mitte 2000, erreicht heute aber als Dauer-Twitterer im Internet hunderttausende Nutzer. Lustvoll verbreiten CDUler zudem Sätze des fränkischen CSU-Politikers Hermann Imhof, der Söder „Rücksichtslosigkeit des Machtstrebens“ vorwirft. Beide haben schon lange ein paar Rechnungen offen. Doch zum ganzen Bild zählt auch: Man hört halblaut von manchen CSU-Granden, dass ihnen sehr unwohl ist bei Söders brutalem Kurs.

Was nun? Das ganze Wochenende über sind Unterhändler am Telefon, um Kompromisse auszuloten. Prominente Namen beteiligen sich da, Edmund Stoiber zum Beispiel und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier. Dass Laschet ein Super-Minister werden könnte, entweder für Wirtschaft und Industrie oder für Außenpolitik und Entwicklungshilfe, wird in der CSU geraunt, gelockt.

In der Union kursieren nun mehrere Szenarien, begleitet von viel Ratlosigkeit. Gibt Laschet noch auf? Bisher sagen seine Leute: Nein. „Auf keiner Seite ein Zeichen des Nachgebens“, smst ein Beteiligter. Laschet könnte sich am Montag vom CDU-Vorstand in einer Sondersitzung mit letzter Kraft als Kandidat ausrufen lassen, verknüpft mit der Vertrauensfrage; Söder könne dann überlegen, ob er nachgebe oder parallel dazu Kanzlerkandidat der kleineren CSU sein wolle.

Möglich ist auch, dass die Fraktion im Bundestag die Entscheidung an sich reißt, bei einer der nächsten Sitzungen am Montag oder Dienstag. Hier sind viele CDUler bei Söder. Doch was, wenn sich Laschet nur kurz schüttelt, auch dieses Resultat zur Kenntnis nimmt und an der Kandidatur festhält? Man lerne gerade etwas, sagt ein kluger Kopf in München: „Der Laschet ist erstaunlich zäh.“

Markus Söder wolle die CDU „zerstören“,

schimpfen die Laschet-Vertrauten

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