CDU droht mit Einmarsch in Bayern

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München/Berlin – Über Nacht ist Dennis Radtke, 41, berühmt geworden. Die Republik weiß jetzt, dass er Hobbyfußballer war beim SC Weitmar 45, Gewerkschaftssekretär im Ruhrpott, für die CDU ins Europaparlament nachgerutscht ist. Und vor allem, dass er glühender Anhänger von Armin Laschet ist. Dieser Dennis Radtke aus dem Bochumer Stadtteil Wattenscheid hat nämlich am Wochenende die eine Drohung ausgesprochen – den einen Fluch, den sie in der CDU nur alle 20, 30 Jahre wagen.

„Wenn Markus Söder die Kanzlerkandidatur erzwingen will, wenn er die CDU zerstören will, dann darf die Gründung der CDU in Bayern kein Tabu mehr sein“, sagte Radtke in eine Kamera des ZDF. Binnen weniger Stunden trat dieser Satz die Reise an durch sämtliche Nachrichtenredaktionen der Politik, als Eilmeldung auf die dauerbrummenden Handys aller Politiker. Wenn die CDU mit Einmarsch droht, und sei es nur ein unbedeutender Hinterbänkler aus Bochum oder Brüssel, dann ist da etwas total außer Kontrolle geraten.

Übertrieben ist das nicht. Radtkes Zorn, seine Anspielung auf den Kreuther Trennungsbeschluss aus den 70ern und den großen Flüchtlingsstreit von 2017, klingt schrill. Damit ist aber die Dimension der Auseinandersetzung richtig umschrieben. Die K-Frage nach dem Kanzlerkandidaten hat sich binnen einer Woche so hochgeschaukelt, dass keiner in der Union mehr ein Ende vorhersagen mag – völliger Bruch oder Versöhnung.

Kurz zu den Fakten, so weit bekannt: Markus Söder und Armin Laschet haben am Samstag miteinander gesprochen, sich aber auf keine Lösung verständigt. Beide wollen Kanzlerkandidat werden. Gleichzeitig sind Unterhändler am Telefon, um Kompromisse auszuloten. Prominente Namen beteiligen sich da, Edmund Stoiber zum Beispiel und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier. Dass Laschet ein Super-Minister werden könnte, entweder für Wirtschaft und Industrie oder für Außenpolitik und Entwicklungshilfe, wird in der CSU geraunt. Auch hier gebe es aber keinerlei Annäherung. Stand Sonntagabend ist: Die Frage wird auf Montag vertagt. „Auf keiner Seite ein Zeichen des Nachgebens“, smst ein Beteiligter.

Damit laufen gleich mehrere Ultimaten aus. Söder und Laschet hatten selbst gelobt, sich bis spätestens Sonntag zu verständigen. Bundestagsabgeordnete beider Parteien verlangen ebenso eine Einigung und bereiten andernfalls für die nächste Fraktionssitzung eine Kampfabstimmung vor. Auch die Junge Union, der gemeinsame Nachwuchs, forderte einen Kompromiss bis Sonntag.

Alles vergeblich, deshalb eskaliert die Sache weiter. Für Sonntagabend war eine digitale Sitzung der JU-Spitze angesetzt, mehrere Landesvorsitzende wollten einen offiziellen Beschluss pro Söder erzwingen. Das hätte Wucht, denn die Parteijugend sitzt zwar noch nicht an den Schalthebeln der Macht, aber stellt die meisten Ehrenamtlichen zum Plakate-Kleben und Straßenwahlkampf. Falls sie sich einem Kandidaten Laschet verweigern, wäre dessen Kampagne im Eimer. Gleichzeitig kippen immer mehr Teilverbände und Politiker der CDU. Im Nordosten und Osten gibt es mehr Sympathien für Söder. In Baden-Württemberg tendiert die Basis klar zum Bayern. Aus Hessen meldet sich der langjährige CDU-Fraktionschef Christean Wagner: „Söder muss Kanzlerkandidat werden, weil er die weitaus besseren Chancen hat.“

Auf der anderen Seite verschärfen Laschets Loyale den Ton. Man sagt ja immer, der NRW-Regent sei so freundlich, verbindlich – die zweite und dritte Reihe hinter ihm zieht viele Register. Radtke natürlich mit seiner Drohung. Dazu Karin Prien, die Kultusministerin aus Schleswig-Holstein: „Das respektlose, rücksichtslose Vorgehen der CSU und von Markus Söder wird nicht ohne Konsequenzen bleiben“, sagt sie öffentlich. Und Ruprecht Polenz twittert, „Söder zerstört die CDU“. Polenz mag zwar nur ein gescheiterter Kurzzeit-Generalsekretär der CDU sein, irgendwann Mitte 2000, erreicht heute aber als Dauer-Twitterer im Internet hunderttausende Nutzer. Lustvoll verbreiten CDUler zudem Sätze des fränkischen CSU-Politikers Hermann Imhof, der Söder „Rücksichtslosigkeit des Machtstrebens“ vorwirft. Beide haben schon lange ein paar Rechnungen offen. Und man hört halblaut von manchen CSU-Granden, dass ihnen sehr unwohl ist bei Söders brutalem Kurs.

In der Union kursieren mehrere Szenarien, begleitet von viel Ratlosigkeit. Laschet wanke nicht, sagen seine Leute. Er könnte sich am Montag vom CDU-Vorstand in einer Sondersitzung als Kandidat ausrufen lassen, verknüpft mit der Vertrauensfrage; Söder könne dann überlegen, ob er nachgebe oder parallel dazu Kanzlerkandidat der kleineren CSU sein wolle. K&K sozusagen.

Möglich ist auch, dass die Fraktion die Entscheidung an sich reißt, bei einer der nächsten Sitzungen am Montag oder Dienstag. Laut „Bild“ ist das nötige Quorum dazu bereits erreicht. Hier sind viele CDUler bei Söder. Der CSU-Kandidat scheint eine Mehrheit zu haben in der Fraktion. 1979 war das schon mal so, mit einer geheimen Abstimmung zwischen Ernst Albrecht und Franz Josef Strauß. Da gibt es diesmal allerdings ein Problem: Die Abgeordneten müssten physisch in Berlin sein, um geheim und rechtssicher abzustimmen. Derzeit laufen die Fraktionssitzungen hybrid.

Und selbst dann wissen sie in der CSU nicht, was eine solche Abstimmung bringe. Was, wenn sich Laschet nur kurz schüttelt, das Ergebnis zur Kenntnis nimmt und an seiner Kandidatur festhält? Man lerne gerade etwas, sagt ein kluger Kopf in München: „Der Laschet ist erstaunlich zäh.“

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