Ein Rückzug mit Kampfansage

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Als Markus Söder seine Niederlage eingesteht, hängt neben ihm ausgerechnet dieses Werbeschild. „Einfach genießen“, lässt der Pächter der CSU-Kantine da an der holzvertäfelten Wand prangen. Söder sieht nicht aus wie ein Genießer, mehr wie ein Gequälter. Mit schmalen Lippen und spitzen Sätzen verzichtet er auf die Kanzlerkandidatur, reicht sie weiter nach Düsseldorf. Zwei Minuten Auftritt, dann schnellstmöglich Abgang.

„Die Würfel sind gefallen“, sagt Söder – ein Satz, über den noch zu reden sein wird. Und: „Armin Laschet wird Kanzlerkandidat der Union.“ Er habe ein Angebot gemacht, sei bereit gewesen. „Mutige Abgeordnete“ hätten ihn unterstützt, sagt Söder, sie seien „entgegen normaler Parteisolidarität sehr offen“ gewesen, „Junge“ und „Moderne“ seien für ihn gewesen. Aber er respektiere die Entscheidung der CDU. „Wir wollen keine Spaltung.“

So endet in der Kantine der CSU-Landesleitung im Norden Münchens ein spektakulärer Ausflug Söders nach Berlin. Nach neun Tagen mit heftigen Kämpfen gibt der CSU-Chef nach und überlässt Laschet das zerpflügte Feld. Es war eine Woche der Kampfabstimmungen, Hinterzimmer-Gespräche, Nachtsitzungen, der offenen und verdeckten Drohungen. Zwei Sitzungen gaben wohl den Ausschlag für Laschet: in der Nacht auf Montag ein dreieinhalbstündiges Gespräch der beiden Kontrahenten, begleitet von engen Vertrauten in Berlin, in der Nacht auf Dienstag eine legendäre Digitalsitzung des CDU-Vorstands, sieben Stunden lang.

Von der ersten Runde weiß man wenig. In einem Bundestagsbüro war es, das Klima frostig. Laschet rückte, so schildern Teilnehmer, keinen Millimeter von seiner Kanzlerkandidatur ab. Dem Kontrahenten Söder sprach er ab, die Wahl im Herbst je gewinnen zu können. Nicht wörtlich, aber indirekt soll er mit ausbleibender CDU-Hilfe für einen Kandidaten aus Bayern gedroht haben. Unterstützt wurde Laschet von Wolfgang Schäuble, dem Bundestagspräsidenten. Der stellte klar: Zieht Laschet nicht durch, ist seine Karriere vorbei, die Zukunft der CDU insgesamt wackelig.

Wahrscheinlich war das der Moment, als Söder und seinen Leuten klar wurde: Die Kandidatur ist nicht mehr zu holen, jedenfalls nicht ohne Zerstörung der Union. 24 Stunden wartete der Bayer noch ab, ließ Laschets CDU-Bundesvorstand in der nächsten Nacht tagen und sich per SMS minütlich informieren. Als der NRW-Regent dort mit viel Hängen, Würgen und technischen Pannen eine Drei-Viertel-Mehrheit für sich erkämpfte, war die Sache klar.

In der CDU wird noch viel geredet werden über diese Sitzung, über Laschets Gewaltakt einer nächtlichen Kampfabstimmung, das 31:9 gegen Söder bei sechs Enthaltungen. Diese Runde, durch Indiskretionen fast lückenlos nach außen getragen, führt zu schweren Verwerfungen in der CDU. Peter Altmaier, der Wirtschaftsminister, der Laschet in den Rücken fiel. Die Kanzlerin Angela Merkel, die sieben Stunden lang gar nichts sagte. Tobias Hans, der Saar-Ministerpräsident, der Laschets Chancen verspottete mit dem Satz, er habe „lieber einen Kanzler der CSU als der Grünen“. Die Landesvorsitzenden aus Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, die sich im Vorstand hinter Laschet stellten, obwohl die Basis daheim für Söder brennt. Selbst für eine eher brave, funktionärsfolgsame Regierungspartei wie die CDU bietet das Sprengstoff für viele Wochen. Die gefährlichere Streitlinie verlief ja nicht zwischen München und Düsseldorf, sondern innerhalb der CDU zwischen Laschets Freunden und Feinden. Der Kandidat habe bisher „kein Bild eines Wahlsiegers“ geboten, spottet seine eigene Junge Union. Derweil sich die CSU weitgehend geschlossen hinter ihrem Chef einfindet. Söder hat verloren, er hat aber nicht gekniffen.

Dass die beiden nach diesem Frühjahr 2021 je Freunde werden, ist ausgeschlossen. Genau hinhören: Söder sei ein Angebot gewesen, sagt Generalsekretär Markus Blume, „es war ein verdammt gutes Angebot“. Verdammt, sagt er also, und: „Er war erkennbar der Kandidat der Herzen.“ Was im Umkehrschluss heißt, dass Laschet halt ein schlechteres Angebot war, aus CSU-Sicht der Kandidat des Blinddarms vielleicht.

Tatsächlich rechnen viele in CSU und CDU nun mit einem finsteren Wahlergebnis im Herbst, 30 minus X. „Opposition“ ist ein Wort, das oft fällt an diesem Dienstag in München. Gern wird die recht hypothetische Insa-Umfrage zitiert, wonach die Union mit dem Bayern zehn Punkte mehr holen würde als mit dem Nordrhein-Westfalen. Laschet werde den Wahlabend politisch kaum überleben, sagt ein hoher CSUler. Die Schuldfrage sei jetzt ja auch eindeutig entschieden.

Söder kündigt einen „außerordentlich schwierigen Wahlkampf“ an. Er sagt, natürlich biete er dem Kanzlerkandidaten nun die volle Unterstützung an, er habe ihn angerufen und gratuliert. Doch ob dann wirklich Wahlkampf mit Feuereifer gemacht wird in Bayern? Ob wirklich die Debatten in der CDU verstummen, gerade wenn auch noch die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 5. Juni in die Binsen geht?

An dieser Stelle ist noch mal über Söders Formel zu reden, die Würfel seien gefallen. Es ist ein hintersinniger Satz, eigentlich ein brutaler. Das CDU-Votum für Laschet wird zum Würfelspiel degradiert, zum Zufallsergebnis. Auch über das Verhältnis in der Union sagt der Satz viel aus. „Die Würfel sind gefallen“, wird Caesar zugeschrieben, 49 vor Christus.

Mit diesem Satz schickte er seine Truppen über den Fluss Rubikon. Es war der Beginn eines Bürgerkriegs.

Zwei Nacht-Runden sind entscheidend

Am Rubikon: Die CSU zitiert Caesar

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