München – Timo Ditschkowski und seine Freundin stehen auf dem Freigelände der Hundeschule „Freude am Hund“ in Pasing. Ihre ganze Aufmerksamkeit gilt ihrem „Chewie“. Der viereinhalb Monate alte Appenzeller Sennenhund hat heute Unterricht. Der Jungspund muss viel lernen – damit er Timo Ditschkowski nicht allzu sehr auf der Nase herumtanzt.
Seit zwei Jahren liebäugelten die beiden, sich einen Welpen zu holen. Doch mit der vielen Arbeit außer Haus wäre ein Hund zu kurz gekommen. Die Corona-Krise hat die Lage verändert. Im Homeoffice bleibt dem Pärchen ausreichend Zeit, Urlaube sind im Lockdown sowieso kaum möglich. Als dann Bekannte auf einem Bauernhof einen Wurf bekamen, waren Ditschkowski und seine Freundin bereit. „Wir hatten uns schon intensiv informiert. Hütehunde wie Appenzeller Sennenhunde sind lernwillig, sehr menschenfreundlich und daher auch für uns als Anfänger gut geeignet“, sagt Ditschkowski. In der Pasinger Hundeschule lernt Chewie nun, auf Kommandos wie Sitz, Platz und Aus zu hören. „Die Stubenreinheitsphase war stressig, aber die schönen Momente mit Chewie überwiegen“, erzählt Timo Ditschkowski.
Ähnlich lief es bei den Höllts. „Wenn, dann jetzt“, dachte sich Claudia Höllt, 51. Der erste Hund der vierköpfigen Familie aus München starb vor 15 Jahren. Seitdem wünscht sich Tochter Hellen, inzwischen 23, einen Welpen. Doch neben Schule, Arbeit und Freizeitleben fehlte der Familie bisher die Zeit. Zeit, die sie seit der Corona-Pandemie hat.
Diesmal wollten sie einen Hund aus dem Tierheim retten. Hündin „Lizzy“ haben sie über den Tierschutzverein „Pfoten in Not“ adoptiert und in Hamburg abgeholt. „Ohne Corona wäre das nicht möglich gewesen. So viel Zeit wie seit den Kontaktbeschränkungen verbringen wir sonst nicht zu Hause“, erzählt Claudia Höllt. Lizzy wurde in Lettland auf dem Müll gefunden. „Im Vergleich zu einem Zuchthund merkt man Lizzys Vorgeschichte, aber wir wussten ja, worauf wir uns da einlassen“, sagt Claudia Höllt. Und Tizian, 11, der jüngste der Familie, stimmt zu: „Mit Lizzy klappt alles sehr gut, aber wir müssen ihr noch viel beibringen.“
Gerne wären die Höllts schon früher mit Lizzy zum Hundetraining. Aber wegen des Virus blieben auch die Hundeschulen über zwei Monate geschlossen. Und das zu einer Zeit, in der es so viele Neuhundehalter gibt wie noch nie. Im Corona-Jahr 2020 ist die Zahl der Hunde, Katzen und Kleintiere in deutschen Haushalten nach Angaben des Industrieverbands Heimtierbedarf (IVH) um fast eine Million auf 35 Millionen gestiegen. Fast jeder zweite Haushalt (47 Prozent) hat einen tierischen Mitbewohner. Nach Angaben der Tierschutzorganisation „Tasso“ wurden 2020 rund 25 Prozent mehr Hunde gekauft. In Nicht-Corona-Zeiten liegt der Zuwachs nur bei etwa vier Prozent.
Der Boom füllt auch die Kassen der Heimtierbranche. Denn es werden nicht nur mehr Tiere gekauft, sie werden auch mehr verwöhnt. Der Umsatz der Branche stieg um gut fünf Prozent auf 5,5 Milliarden Euro. 1,6 Milliarden gaben die Deutschen für Hundefutter aus, 1,7 Milliarden für Katzenfutter.
Wer sich für einen Hund entscheidet, braucht viel Zeit. Nicht nur fürs Gassigehen. Hunde brauchen Erziehung, damit sie nicht zum Stressfaktor werden – und am Ende wieder im Tierheim landen.
Während der Zwangsschließung setzten viele Hundeschulen auf Online-Kurse, digitale Sprechstunden und Welpensozialisierungsgruppen ohne Begleitung der Besitzer. „Das Online-Training ist nicht optimal, aber es hilft bei den Grundlagen“, sagt Hundetrainerin Anja Dellin. Hilfe bei der Erziehung werde gerade viel benötigt. „Viele Hundebesitzer sind überfordert und wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen“, erzählt die 35-Jährige, die seit fünf Jahren an der Hundeschule in Pasing arbeitet.
Die prägendste Zeit für Hunde, erklärt Dellin, sei der dritte und vierte Lebensmonat. In dieser Zeit sind sie angstfrei, offen, lernen zu kommunizieren und ihr Beißverhalten zu kontrollieren. Was in dieser Lernphase verloren geht, könne nur bedingt oder gar nicht mehr nachgeholt werden. „Ohne Kontakt mit anderen Rassen lernen die Welpen nicht, wie sie mit anderen Hunden umgehen und kommunizieren können.“ Die Folge: „Lauter unsozialisierte Hunde.“ Der Hundeboom, ist sich Dellin sicher, werde auch dazu führen, „dass es in Zukunft mehr Problemhunde geben wird“.
Und noch etwas bereitet Dellin Sorgen: dass es zu einer Rückgabewelle kommen könnte. „Viele werden merken, dass ein Hund viel Arbeit macht. Vor allem, wenn es der Hund nicht gelernt hat, auch mal allein zu sein“, sagt die Trainerin. „Wenn die Herrchen dann von der Arbeit heimkommen und zu Hause der Hund bellt und die halbe Wohnung zerlegt hat, kann ich mir gut vorstellen, dass einige ihre Hunde wieder zurückgeben wollen.“ Diese Sorge teilt auch Tessy Lödermann, Vizepräsidentin des Tierschutzbunds Bayern und Vorsitzende des Tierheims in Garmisch-Partenkirchen. Seit Ausbruch der Pandemie sind Tierheim-Hunde gefragt wie nie. Die Tiere werden aber weiterhin nur nach strengen Vorgaben vermittelt. Nicht jeder, der einen Hund will, bekommt auch einen.
Stephanie Jesse züchtet in Tutzing am Starnberger See Labradoodles – eine Kreuzung aus Pudel und Labrador Retriever. Schon vor der Pandemie war das Interesse an ihren Welpen groß. Doch jetzt wird sie mit Anfragen überschüttet. „Es ist gar nicht möglich, auf all die Mails und Anrufe zu antworten“, erzählt Jesse. Auf ihrer Website bitte sie schon seit Januar darum, keine Anfragen mehr zu stellen. Mit dem Hunde-Boom ist auch der Preis deutlich gestiegen. „Je nach Rasse, Farbe und Nachfrage kostet ein Hund aus seriöser Züchtung derzeit um die 1800 bis 4000 Euro“, sagt Jesse.
Mit der hohen Nachfrage steigt auch der illegale Welpenhandel (siehe Kasten rechts). „Der Hundemarkt ist sehr undurchsichtig und viele haben Angst, an illegale Händler zu geraten“, sagt Jesse. Wer bei seriösen Züchtern oder Tierheimen abblitzt, der wird im Internet fündig. Seitenweise werden hier Hunde feilgeboten – mittlerweile zu Preisen wie bei seriösen Züchtern. „Der illegale Handel boomt. In Osteuropa gibt es ganze Dörfer, in denen jeder im Keller oder der Garage Hunde züchtet“, sagt Lödermann.
Timo Ditschkowski will seinem kleinen „Chewie“ ein schönes Leben bieten – und hat schon vor der Anschaffung die Zeit nach Corona geregelt. Von seinem Chef, erzählt Ditschkowski, habe er die Zusage bekommen, den Hund auch mit ins Büro nehmen zu dürfen.