Tegernsee – Es soll ein Ort sein, so ruhig, dass man in Sommernächten zum Schlafen die Balkontür offen lässt. An dem man morgens nichts als Kuhglocken und Vogelzwitschern hört, während die Sonne hinter dem gewaltigen Wallberg aufgeht. Genau so sollen die Gäste der „Egerner Höfe“ schon bald aufwachen können, sagt Hoteldirektor Pierre Laurent Schäfer.
Wo gestresste Manager und Verliebte in wenigen Wochen vierstellige Summen für einen Luxusurlaub springen lassen sollen, wird gerade noch gebohrt, gesägt, gebaggert. Das Fünf-Sterne-Hotel wird aufpoliert, bevor der Sommer kommt. Das ist vor allem hier wichtig, am Tegernsee, der Hotels der Spitzenklasse fast schon magnetisch anzieht. „Man darf hier die Trendwende nicht verschlafen“, sagt Pierre Laurent Schäfer, zurückgegelte Haare, Trachtenjanker. „Nicht so wie in Garmisch.“
Der Trend war schon vor Corona da, aber vor allem jetzt, im Lockdown, nutzen viele Hotels im Tegernseer Tal die Gelegenheit: Sie wollen moderner, hochwertiger, luxuriöser werden. „Einige sagen schon, der Tegernsee ist die neue Côte d’Azur“, erzählt Schäfer. Mit den Temperaturen an der Mittelmeerküste kann der Tegernsee zwar nicht mithalten. Dafür lockt der Ort mit Bergwanderungen, Segeltörns, Golfplätzen und der Nähe zu München.
Das hat auch Christian Ehrmann aus Oberschönegg erkannt. Man kennt seinen Joghurt aus der Fernsehwerbung, Almighurt von Ehrmann. Milchprodukte haben ihn und seine Familie unter die Top 500 der reichsten Deutschen katapultiert. Jetzt hat Ehrmann, der selbst oft im Parkhotel Egerner Höfe zu Gast war, das Luxushotel in Rottach-Egern gekauft – und will es zur Nummer Eins am Tegernsee machen.
Das Ziel hat aber nicht nur er. Acht Hotels, die meisten der Kategorien „First Class“ (Vier Sterne) und „De Luxe“ (Fünf Sterne), investieren gerade zwei- bis dreistellige Millionensummen in Bauprojekte, die Urlaubern am Tegernsee noch mehr Luxus bieten sollen, als dort ohnehin schon vorhanden ist. Erst kürzlich hat Til Schweiger mit seinem geplanten Vier-Sterne-Hotel „Barefoot“ Schlagzeilen gemacht, das bis 2024 am Ufer des Tegernsees entstehen soll – Luxus für Hipster, inspiriert vom Lifestyle in Long Island und Malibu. Das Mammut-Projekt am See ist aber ein anderes: Ein Fünf-Sterne-Hoteldorf direkt an der Seepromenade in Bad Wiessee, das die Biontech-Investorenfamilie Strüngmann für 130 Millionen Euro baut.
Ein Krieg der Sterne, wie das „Manager Magazin“ jüngst titelte? Nein, sagt Hoteldirektor Schäfer und lacht. „Wir freuen uns über jedes Luxushotel. Jedes Hotel bringt seine Gäste mit – und von denen wollen vielleicht auch einige mal unser Gourmet-Restaurant testen.“ Denn das ist das Aushängeschild der Egerner Höfe – die Dichterstub’n, ausgezeichnet mit einem Michelin-Stern.
Stefanie Ziegelbauer sieht das ähnlich. „Man darf das nicht als Konkurrenzkampf sehen“, sagt sie. „Jedes Projekt wirkt sich positiv auf den Tegernsee aus, wertet ihn auf. Wir profitieren alle davon.“ Seit 30 Jahren führt sie das Vier-Sterne-Hotel „Relais Chalet Wilhelmy“ in Bad Wiessee, ein kleiner Betrieb mit 48 Betten und 14 Mitarbeitern.
Ziegelbauer, Seidentuch auf den Schultern und schwungvoll geföhnte Haare, legt großen Wert auf Stilsicherheit. Im Wintergarten des Hotel-Restaurants läuft leise Jazz, alles ist aufeinander abgestimmt, Vorhänge, Sessel, Tapete in Taubenblau. Die bodentiefen Fenster bietet einen weiten Blick auf den Garten und die Berge. Das Ambiente stimmt, nur die Gäste fehlen. „Es ist das erste Mal, dass ich um die Existenz des Hotels fürchte“, sagt Ziegelbauer. Die Corona-Krise nagt. 1,6 Millionen Euro hat sie in den Umbau investiert – im falschen Moment, kurz vor dem ersten Lockdown.
Der Trend zu Inlandsreisen macht ihr aber Hoffnung – und dass sich gerade jetzt die Luxushotellerie am Tegernsee breit macht, komme dafür genau richtig. „Das ist eine tolle Entwicklung, wir brauchen ja den Platz für die Gäste.“ Die Nobelhäuser machen den See vielfältig, findet sie, denn jedes habe seine eigene Zielgruppe. „Es gibt Leute, die wollen, wie bei uns, Urlaub in einem persönlich geführten Haus verbringen – und welche, die finden es schicker und toller, ins Seehotel Überfahrt zu gehen und dort auf internationales Publikum zu treffen.“ Der vielfältige Tourismus sei wichtig für Infrastruktur und Gastronomie. „Wir haben tolle Restaurants und authentische Almhütten, man kann für 5,50 Euro einkehren, aber auch für 180.“
Früher war das nicht so. „Rückschrittig“, sagt Ziegelbauer, sei der Tegernsee Anfang der 90er-Jahre gewesen, als sie mit 30 Jahren das Wilhelmy übernahm. „Die Gemeinden waren wenig innovativ, die Tourismusvermarktung mit einfachen Prospekten, auf denen alle Gastgeber aufgelistet waren. Und ab November wurden die Bürgersteige hochgeklappt.“
Mittlerweile vermarkten sich die Gemeinden als Einheit. So gut wie alle namhaften Hoteliers sitzen im Tourismusbeirat des Tegernseer Tals, beraten gemeinsam, wie sie mehr Touristen anlocken können. Davon profitiert auch der Tourismus abseits der Luxushotellerie.
Frank Ebert bietet Ferienwohnungen rund um den See an. Ab 50 Euro pro Tag können Pärchen bei ihm wohnen, oft nur wenige Meter vom See entfernt. „Wir haben eine sehr gesunde Mischung am Tegernsee“, sagt Ebert. „Nur Luxus bringt niemandem etwas. Nicht jeder möchte mit Schlips frühstücken.“ Neue Hotels würden aber vor allem dem Einzelhandel einen Schub geben, „und davon haben wir alle was“.
Über den Tourismus-Boom freut sich aber nicht jeder. Immer wieder klagen Einheimische über Stau, überfüllte Parkplätze und Müll. Die gereizte Stimmung vieler Einwohner hat in der Pandemie ihren Höhepunkt erreicht, als vor allem Münchner Tagesausflügler das Tegernseer Tal stürmten. „Trotzdem wissen wir natürlich alle, dass wir vom Tourismus leben“, sagt Robert Kühn, SPD-Bürgermeister von Bad Wiessee. Er selbst ist am Tegernsee aufgewachsen und findet, dass die Luxushotellerie schon immer stark vertreten war. „Jetzt findet eine Transformation statt. Die Hotels, die in die Jahre gekommen sind, passen sich an, neue kommen dazu. Es braucht irgendwann frischen Wind.“ Das Ziel sei, nicht einfach mehr, sondern vor allem gehobeneren Tourismus zu generieren. „Ich glaube, wir sind mittlerweile die zweitbekannteste Feriendestination in Deutschland – nach Sylt.“
Auch im Norden ist man den See im Süden aufmerksam geworden. Der Bremer Bauunternehmer Kurt Zech hat bereits zwei Hotels der Kette „Severin*s Resort und Spa“, auf Sylt und im österreichischen Lech am Arlberg. Jetzt ist das Tegernseer Tal an der Reihe. Dafür hat er die ehemalige „Seeperle“ in Rottach-Egern gekauft, „die erste Adresse am Tegernsee“, wie Geschäftsführer Markus Griesenbeck sagt. Die Perle wurde abgerissen, das im Bau befinliche Fünf-Sterne-Hotel soll auf 8000 Quadratmetern „legeren Luxus“ anbieten. „Unsere Gäste aus Sylt fragen schon, wann es endlich so weit ist“, sagt Griesenbeck. Vielleicht hat der Tegernsee dann ja Sylt überholt – oder auch die Côte d’Azur.