Pöcking/München – Im vergangenen November hat Christoph Ziesel das „Gasthaus zum Fischmeister Karl Schauer“ in Pöcking eröffnet. Handgeschnittenes Rindertartar mit Waldpilzen, Saiblingsmaultaschen, Rehragout: Das mussten seine Kunden bislang zuhause genießen. Die Chancen stehen gut, dass die Speisen zumindest im Außenbereich des Restaurants bald an den Tisch serviert werden. Im Landkreis Starnberg liegt die Inzidenz unter 100. Und seit der gestrigen Ankündigung von Ministerpräsident Markus Söder bedeutet diese Zahl: Gastronomen könnten ihre Biergärten schon nächste Woche öffnen dürfen.
„Es ist sehr spontan“, sagt Ziesel, der sich schon mal auf arbeitsreiche Tage einstellt. Ein kleiner Vorrat an Getränken und Essen sei noch in der Kühlung – die Freude über die Öffnungsperspektive überwiegt deutlich. „Wir liegen ja eh schon auf der Lauer.“ Möglich ist, dass die Öffnung ein kurzes Vergnügen wird – „man weiß ja nicht, ob die Zahlen so stabil bleiben“.
Optimistischer blickt die Chefin der Dehoga Bayern, Angela Inselkammer, den kommenden Wochen entgegen. Söders Ankündigung „ist endlich das, was wir uns schon lange wünschen – eine Perspektive für unsere Branche“. Obwohl nicht alle Landkreise sofort profitieren würden, ist sie glücklich. Inselkammer geht davon aus, dass noch mehr Landkreise unter die magische Marke von 100 fallen werden – auch für ihre eigene Wirtschaft, den Brauereigasthof Aying im Landkreis München, hofft sie auf Lockerungen. Für sie wären diese nur folgerichtig: Wenn Geimpfte, Getestete und Genesene in einem Biergarten mit Sicherheits- und Hygiene-Konzept sitzen, „wüsste ich nicht, wo eine Gefahr besteht“, sagt Inselkammer.
Nicht alle Wirte sind so optimistisch. Rolf Läkamp betreibt den „Tutzinger Hof“, ein Hotel mit Restaurant. „Mal angenommen“, sagt er, „wir machen nächste Woche auf, ich hole alle Leute aus der Kurzarbeit, rechne mit 100 Gästen pro Tag und kaufe dafür ein. Dann geht das gut bis zum Donnerstag und danach gehen die Werte vielleicht wieder über 100.“ Dann müsste er wieder schließen, das Kühlhaus vollstopfen – und die Leidtragenden wären die Gäste, die „in vielleicht vier Wochen kommen“. Die „beklagen sich dann über eingefrorenes Gemüse“ – eine Vorstellung, die dem Hotelier und Gastronom merklich widerstrebt. Aber es gibt noch mehr Probleme. „Einige Mitarbeiter in Kurzarbeit sind abgesprungen und in andere Berufe gewechselt“, sagt Petra Gsinn, Läkamps Lebensgefährtin und Pächterin des „Tutzinger Hofs“. „Ich weiß nicht, ob wir so schnell die Leute her kriegen.“
Ein Problem, mit dem die Traditionsgaststätte nicht alleine ist. „Die Mitarbeiter sitzen seit 1. November daheim – das ist unzumutbar“, sagt Dehoga-Chefin Inselkammer. Einige hätten das Vertrauen in die Gastronomie verloren.
Die Öffnung wird von der ganzen Branche herbeigesehnt, „da ist es dann auch zweitrangig, ob das wirtschaftlich ist oder nicht“, sagt Ahmad Al Jadou, Wirt des Turmbräugartens in Mühldorf. Das Mobiliar im Biergarten steht seit Anfang März bereit, er könne sofort loslegen, sagt er. Im vergangenen halben Jahr bot die Pizzeria im Herzen Mühldorfs Speisen zum Abholen an. „Aber mir fehlen die Gäste, das Miteinander, aber auch der direkte Kontakt zu den Mitarbeitern,“ klagt der 44-Jährige. Im Moment liegt der Kreis Mühldorf mit einer Inzidenz von über 200 noch weit über der 100er-Schallmauer, aber „es ist zumindest ein Lichtschein am Ende des Tunnels“. Man brauche Hoffnung, „denn unsere Energie geht langsam verloren“, sagt Al Jadou.
Auch Corona-Schnelltests könnten eine Perspektive bieten. Testen und dann in den Biergarten? Nirgends wäre das so leicht wie im Hofbräukeller in München: Noch flattern am Wiener Platz rot-weiße Absperrbänder um die leeren Bierbänke. Im Gebäude hat ein Schnelltestzentrum eröffnet. „Ein super Service für unsere Kunden“, sagt Wirtin Silja Schrank-Steinberg. Vor der Pandemie saßen teilweise 1800 Menschen in ihrem Biergarten, „Letztes Jahr hatten wir 700 Plätze“, sagt sie. Wann die aber wieder bei einer Brotzeit und Bier zusammensitzen dürfen, weiß die Wirtin nicht. Sie möchte abwarten, solange die Regeln nicht klar sind: „Es muss gewährleistet sein, dass wir nicht nach ein paar Tagen wieder schließen müssen.“ Ein ständiges Hin und Her sei weder personell noch organisatorisch machbar. Außerdem sind die Lebensmittel verderblich. „Wir wollen keine Ware wegwerfen“, sagt die 49-Jährige.
Noch unklar ist, ob in Landkreisen, deren Inzidenz über 100 liegt – der größere Teil in der Region (siehe Grafik) – Geimpfte einen Sonderstatus erhalten. Martin Kupferschmied, Wirt des „Happinger Hofs“ in Rosenheim, hält nichts von dieser Idee: „Wenn wir nur für Geimpfte aufmachen, müssen wir das wieder kontrollieren. Da brauche ich dann einen Türsteher und das bedeutet einen höheren Aufwand für uns.“ Schon die Datenerfassung der Gäste im vergangenen Jahr sei zu aufwendig gewesen. „Wenn 40 bis 50 Prozent der Leute geimpft sind, dann ist der Kundenkreis auch höher“, sagt Kupferschmied. Davor sei die Öffnung nicht rentabel – und die schattigen Plätze unter Kastanien blieben verwaist.
Wirt Christoph Ziesel ist hin- und hergerissen in dieser Frage: „Als Geschäftsmann halte ich es natürlich für sinnvoll, wieder ins richtige Leben zurückzukehren.“ Derzeit hält er es aber für zu früh, jetzt schon über Lockerungen für Geimpfte zu sprechen. „Leute, die kein Impfangebot bekommen haben, werden dadurch klar benachteiligt“, findet er. „Den Ansatz an sich finde ich aber gut.“