Experten: Darum sinken die Inzidenz-Zahlen

von Redaktion

VON ANDREAS BEEZ

München – Alles neu macht der Mai, vor allem aber Markus Söder: Während der Ministerpräsident noch bis zum Wochenende immer wieder die Bedeutung der Bundes-Notbremse betonte, spricht er jetzt von Lockerungen und neuen Perspektiven – sinkenden Inzidenzen sei Dank.

Bei diesem Kurswechsel spiele auch der Wahlkampf eine Rolle, glaubt der Virologe und Epidemiologe Klaus Stöhr. In der Sache allerdings gibt der Wissenschaftler, den die Kanzlerin einst als Corona-Berater ablehnte, Söder Recht: „Die Inzidenzen werden in den nächsten vier bis sechs Wochen auf Werte um die 50 Neuansteckungen pro 100 000 Einwohner sinken, vielleicht sogar deutlich darunter – Tendenz über den Sommer weiter abfallend.“

Diese Entwicklung sei aber nicht überraschend: Wie bei vielen anderen viralen Atemwegserkrankungen auch, etwa der Influenza, sei die Inzidenz im Winter zehn bis 15 Mal so hoch wie im Sommer. Dieser Wert habe sich auch für das Sars-Cov-2-Virus bereits herauskristallisiert: „Im vergangenen Sommer lag die Inzidenz unter zehn – bei wenigen staatlichen Schutzmaßnahmen. Im Winter dagegen stieg sie auf 150 und 200 – bei restriktiven Maßnahmen.“

Der Hauptgrund dafür, dass die Inzidenzen jetzt sinken, liegt laut Stöhr am Wetter, genauer gesagt an der jahreszeitbedingten Zunahme von ultraviolettem Licht. „Wenn man ein Coronavirus im Sommer mittags in die Sonne legen würde, wäre es nach einer Viertelstunde zerstört. Im Winter würde es einen ganzen Tag überleben“, sagt der Virologe und erklärt: „Coronaviren sind von einer Fettschicht umhüllt. UV-Licht kann diesen Schutzmantel mithilfe seiner Wellenlänge schnell zerlegen.“ Dazu komme, dass sich viele Leute im Sommer im Freien aufhalten. „Es erfordert fast schon Anstrengung, sich im Außenbereich anzustecken. Um es weniger sarkastisch zu formulieren: Das Risiko ist draußen, etwa am Strand oder in den Bergen, äußerst gering.“ Das Tragen von Masken im Freien sei zwar hilfreich, um die Menschen an das Einhalten von Abständen zu erinnern. „Aber eine epidemiologische Bedeutung in der Krankheitsbekämpfung hat diese Maßnahme im Freien eher nicht.“ Viel entscheidender sei jetzt, dass konsequent und zügig geimpft werde. „Wenn erst mal die über 50-Jährigen geimpft sind, werden sich die Sterbefälle wieder auf Vor-Corona-Niveau einpendeln. Die Krankenhäuser und die Intensivstationen werden dann wegen Corona im Sommer nicht mehr an die Überlastungsgrenze geraten“, prophezeit Klaus Stöhr.

Eine sommerliche Entspannung sagt auch sein Kollege Christoph Spinner, Pandemiebeauftragter des Uniklinikums rechts der Isar, vorher: „Alle Modelle zeigen unisono abnehmende Fallzahlen sowie deutlich rückläufige Belegungen der Kliniken und der Intensivstationen.“

Diesen Trend bestätigen die Münchner Krankenhaus-Koordinatoren Viktoria Bogner-Flatz und Dominik Hinzmann: „Wir verzeichnen leicht sinkende Fallzahlen. Es kann allerdings noch einige Wochen dauern, bis sich die sinkende Inzidenz in der Allgemeinbevölkerung stärker auf den Intensivstationen auswirkt.“ SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erwartet noch im Mai ein „exponentielles Absinken der Zahlen“. Das, so Lauterbach, sei der Bundes-Notbremse zu verdanken. Das Impfen werde erst einen spürbaren Einfluss haben, wenn die Quote der Erstgeimpften zwischen 40 und 60 Prozent liege.

Vor einem erneuten Rückschlag nach dem Sommer fürchtet sich zumindest Stöhr nicht: „Im Herbst wird es zwar eine Infektionswelle geben, vor allem unter Kindern und Jugendlichen. Aber sie wird nicht das Ausmaß der vergangenen Monate haben, sondern maximal einem heftigen Influenza-Ausbruch der vergangenen Jahre ähneln.“ Die verliefen allerdings auch nicht gerade glimpflich. Im Winter 2017/2018 kamen etwa 60 000 Menschen wegen Influenza in die Klinik. Und jedes Jahr erkranken rund 330 000 an Lungenentzündungen insgesamt, etwa 40 000 davon sterben. An oder mit Corona sind bislang gut 84 000 Bundesbürger gestorben.

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