„Das ist bis jetzt der schönste Tag des Jahres“

von Redaktion

Ein Landkreis im Inzidenz-Glück: In Starnberg haben die Biergärten wieder geöffnet – ein Rundgang an Tag eins

VON DOMINIK STALLEIN UND ANNE VOELKEL

1. Station: Forsthaus Ilkahöhe, Tutzing

Fischsuppe, Currywurst, Caesar-Salat – Bernhard Graf schreibt mit Kreide die Speisekarte auf eine Tafel. Es ist 11.30 Uhr – noch eine halbe Stunde bis zum erwarteten Gäste-Ansturm. Gattin Alexandra wirkt entspannt – und das, obwohl der Tag durchaus fordernd werden dürfte: Die gesamte Terrasse des „Forsthaus Ilkahöhe“ ist ausgebucht, jeder darf zwei Stunden bleiben. „Wir hätten auch das Wochenende schon locker voll bekommen“, sagt die 52-Jährige.

Seit der Ankündigung, dass die Außengastronomie in Landkreisen mit einer Sieben-Tage-Inzidenz unter 100 wieder öffnen darf, klingelt das Telefon Sturm. „Die Leute haben richtig auf den Tag hingefiebert“, sagt Alexandra Graf. Das Reservierungsbuch füllte sich in Rekordtempo. Deshalb entschied sich das Wirtepaar, auch den großen Selbstbedienungs-Biergarten zu öffnen. „Eigentlich wollten wir nur die Terrasse aufmachen“, sagt Alexandra Graf. Aber die Lust der Menschen auf Biergarten ist einfach zu groß.

Bereits in den vergangenen Monaten bot das Restaurant Gerichte zum Abholen an. „Wir hatten unsere Mitarbeiter hier und Essen in der Kühlung“, sagt Bernhard Graf. Die Wiedereröffnung sei deshalb einfacher. Das Hygienekonzept im Lokal – Maske, Mindestabstand, Desinfizieren der Tische und Einchecken mit einer App – „konnten wir komplett aus der letzten Öffnung übernehmen“, sagt Alexandra Graf.

2. Station: Seehof, Herrsching

Der Ausflug an den Ammersee startete für Günter (62) und Birgitta Hackenberg (37) früh: Eine Stunde dauerte ihre Anreise zum Seehof Herrsching. Aus Marktoberdorf im Ostallgäu legte das Ehepaar 80 Kilometer für den ersten Biergartenbesuch des Jahres zurück. „Wir haben uns so auf den ersten Tag gefreut, das wollten wir uns heute auf keinen Fall nehmen lassen.“

In ihrer Heimat müssen die beiden noch länger warten: „Da ist die Inzidenz gerade erst unter 150“, sagt der pensionierte Polizist. Den freien Tag seiner Gattin, die im Einzelhandel arbeitet, „mussten wir aber bei dem Wetter in der Sonne genießen“, sagt er. Schon am Wochenende recherchierten die Allgäuer, in welchen Landkreisen die Biergärten öffnen dürfen. Auf diese Idee kamen viele: Auf den Parkplätzen vor dem Lokal und an den Straßen rund um den Ammersee stehen Autos mit Kennzeichen aus München, Bad Tölz-Wolfratshausen, Rosenheim, sogar aus Coburg. Birgitta Hackenberg hat Verständnis für die Biergarten-Touristen: „Es ist wieder ein bisschen Freiheit, die will man auch nutzen.“ Auch, wenn die Freiheit eine Stunde Fahrt entfernt liegt.

Einzelne Haushalte sind vom Test befreit, aber wer mit einem weiteren Haushalt unter den Kastanien im Biergarten anstoßen möchte, muss einen negativen Corona-Test vorweisen. „Das mussten wir manchen Gästen erklären“, sagt Wirtin Gerda Reichert. Einige Biergarten-Fans seien ohne Test am Seehof angekommen – fanden aber eine Lösung: Im zugehörigen Hotel hat im April eine Teststation eröffnet. „Wir merken heute eine deutlich größere Nachfrage“, sagt Hans Rittinghausen, der die Teststation leitet. Mit einem QR-Code kann das Gasthaus das Testergebnis schnell kontrollieren. Für die Gastronomin ist das eine Erleichterung: „Wir müssen niemanden nach Hause schicken.“

Dass ungefähr die Hälfte der Tische in der Mittagssonne des ersten Öffnungstages besetzt ist, führt Wirtin Gerda Reichert auf die Unsicherheit einiger Menschen zurück. „Ich glaube, die Regelungen müssen sich erst noch einspielen.“ Für das Ehepaar Hackenberg war das kein Problem: „Wir haben uns im Vorfeld informiert“, sagt der 62-Jährige.

3. Station: Augustiner am Wörthsee

Wer auf ein kühles Getränk im Schatten hofft, muss am Montag ein bisschen Geduld mitbringen. 15 Gäste warten um 13.30 Uhr vor der Restaurant-Türe des Augustiner am Wörthsee auf ihren Einlass, der Biergarten ist zu diesem Zeitpunkt voll.

Dirk Giebenhain sitzt dort mit zwei Kollegen im Schatten. „Wir haben uns für den Biergarten-Startschuss freigenommen“, sagt der Münchner. Über die Entscheidung ist der 53-Jährige glücklich: „Wenn die Münchner Wirtshäuser am Mittwoch draußen aufsperren dürfen, ist das Wetter wieder schlecht – dann nutzen wir lieber das Bombenwetter heute.“

Denselben Entschluss haben Tom Bischop (53), Tina Feihl (28), Markus Heller (30) und Renate Lochow (57) gefasst. „Endlich wieder im Biergarten sitzen – das ist bis jetzt der schönste Tag des Jahres“, sagt Heller. Während die beiden Frauen bei einer Partie Backgammon die Sonne genießen, stoßen Heller und Bischop an. „Wir bleiben bis heute Abend, den Tag genießen wir in vollen Zügen“, sagt der 53-Jährige. Urlaub nehmen musste das Quartett für den Ausflug nicht. Alle vier arbeiten in der Gastronomie in München. „Wir haben eh noch Zwangspause“, sagt Bischop. Bei einem kühlen Hellen mit Blick auf den See „kann man das aber ganz gut aushalten“.

4. Station: Schloßgaststätte Leutstetten

In der „Schloßgaststätte Leutstetten“ ist Wirtin Anna Sattlegger (59) erleichtert: „Wir sind froh, die Gäste sind froh, alle sind froh“, sagt sie. Was ihre Freude etwas trübt: „Es wäre sehr wichtig, dass wir auch die Innenbereiche aufmachen dürfen. Außerdem warten wir immer noch auf die finanziellen Hilfe.“

Rudolf Loibl ist extra aus München gekommen. „Es gibt nichts Schöneres, als im Biergarten zu sitzen und bedient zu werden“, sagt der 85-Jährige. „Man konnte es zuletzt kaum mehr erwarten.“ Schankkellner Ralph Lütgen (51) ist glücklich, wieder zapfen zu dürfen. In seiner Firma ist er in Kurzarbeit. „Es ist schade, dass es überhaupt so lange bis zu den Öffnungen gedauert hat.“

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