„Die Pille ist ein ungeheurer Gewinn für die Menschheit“

von Redaktion

INTERVIEW Die Münchner Gynäkologin Ursula Peschers über Thrombosen, Teenie-Schwangerschaften und die Pille für den Mann

Die Anti-Baby-Pille gilt auch nach 60 Jahren noch als das beliebteste Verhütungsmittel – mittlerweile entscheiden sich aber immer mehr junge Frauen gegen sie. Laut einer AOK-Statistik haben sich noch 2010 fast die Hälfte der Frauen unter 20 Jahren die Pille verschreiben lassen – neun Jahre später lag der Anteil nur noch bei 31 Prozent. Ursula Peschers ist Chefärztin der Gynäkologie im Isar Klinikum – für sie ist die Pille nach wie vor die beste Verhütungsmethode.

Frau Peschers, blicken wir 60 Jahre zurück. Welche Bedeutung hatte damals die Erfindung der Pille?

Sie war absolut wichtig für die sexuelle Befreiung der Frau. Davor hatte eine Frau überhaupt keine Kontrolle über ihre Reproduktion. Jedes Mal, wenn sie Sex hatte, bestand die Gefahr einer Schwangerschaft. Die Pille hat die Frau aber in eine Position gebracht, selbst darüber zu entscheiden. Man darf nicht vergessen: Es gibt immer noch sehr viele Frauen auf der Welt, die keinen Zugriff auf die Pille haben. Dabei ist sie ein ungeheurer Gewinn für die Menschheit.

Gab es denn damals keine anderen Möglichkeiten?

Es gab zwar Kondome. Aber es war sehr schwer, welche zu bekommen. Die wurden beim Friseur unter der Ladentheke verkauft. Man konnte nicht einfach im Drogeriemarkt diskret Kondome aus dem Regel holen. Und Frauen, die nicht verheiratet waren, hatten da überhaupt keine Chance. Erst in den 1980er-Jahren wurden Kondome populär.

Heute gerät die Pille aber immer mehr in die Kritik. Viele sprechen von einem Hormoncocktail.

Ja, mittlerweile entscheiden sich immer weniger Patientinnen für die Pille. Immerhin gibt es heutzutage auch mehr Alternativen – jedes Mädchen kommt ohne Probleme an Kondome. Aber man muss sich auch fragen: Wie sinnvoll sind diese Alternativen? Wir wissen alle, wie verlässlich Kondome in einer Teenager-Beziehung sein können.

Und andere Verhütungsmethoden?

Andere Methoden sind entweder weniger sicher oder geben – genauso wie die Pille – Hormone in den Blutkreislauf ab: Das betrifft zum Beispiel die Hormonspirale oder den Nuvaring. Es gibt auch noch die Kupferspirale, aber auch die hat viele Nachteile. Sie kann Blutungen verstärken und das Risiko einer aufsteigenden Infektion erhöhen. Jungen Frauen, die noch keine Kinder bekommen haben, würde ich das nicht empfehlen. Ich sehe die Pille noch immer als das effektivste Verhütungsmittel – und sie ist vor allem das sicherste.

Was ist mit den Nebenwirkungen?

Natürlich gibt es auch Frauen, die die Pille schlechter vertragen. Manche bekommen Akne, andere nehmen zu. Die medizinisch relevanteste Nebenwirkung ist aber eher das Risiko einer Thrombose.

Werden junge Frauen genug darüber aufgeklärt?

Das glaube ich schon. Man sollte diese Dinge aber nicht überdramatisieren. Was ist denn das schlimmere Risiko? Dass Mädchen ungewollt schwanger werden? Oder die theoretische Thrombose? Zumal das Thromboserisiko in einer Schwangerschaft um das Zwölffache steigt. Für mich überwiegt einfach die Liste an Vorteilen der Pille. Es gibt auch viele Frauen, die starke Schmerzen während ihrer Periode bekommen – die können durch die Pille effektiv unterdrückt werden.

Mittlerweile gilt es fast schon als feministischer Akt, die Pille abzusetzen. Viele rufen nach der Pille für den Mann.

Es gab viele Forschungen zu der Pille für den Mann. Aber man muss sich auch überlegen: Bei der Frau muss durch die Pille nur einmal im Monat ein Eisprung unterdrückt werden. Beim Mann müsste hingegen bei jedem Geschlechtsverkehr die Produktion von Millionen von Samenzellen unterdrückt werden. Das ist allein technisch viel schwieriger.

Glauben Sie, in der Corona-Krise haben mehr Menschen als sonst komplett auf Verhütungsmethoden verzichtet? Rechnen Sie mit einem Baby-Boom?

Für viele Paare war es bestimmt auch eine harte Bewährungsprobe, gemeinsam so lange unter einem Dach zu leben. Aber ja: Ich kann mir vorstellen, dass dabei auch viele einen Kinderwunsch entwickelt haben. Das wäre zumindest eine schöne Entwicklung. Interview: Kathrin Braun

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