München – Ein gutes Dutzend Kameras sind auf ihn gerichtet. Aber Ali Zeybel wirkt entspannt. Wie ein Filmstar auf dem roten Teppich sitzt der 46-jährige Karosseriebauer vor einer großen Plakatwand, von den Journalisten vor ihm trennt ihn ein Absperrband. In Sicherheitsschuhen und Arbeitshose hat Ali Zeybel einen Abstecher von seinem Arbeitsplatz ins Rampenlicht gemacht. Er ist der erste von 12 000 Mitarbeitern des BMW-Werks München, die in den kommenden Wochen von den hauseigenen Betriebsärzten immunisiert werden sollen.
BMW hat eine leer stehende Halle genutzt, um ein hauseigenes Impfzentrum hochzuziehen. In sechs Kabinen können sich nun Mitarbeiter und später auch deren Angehörige impfen lassen. Platz ist ausreichend vorhanden, auch Impfpersonal gibt es genug. Was fehlt, ist Impfstoff. Neben Ali Zeybel konnten zum Auftakt nur fünf BMW-Mitarbeiter gegen das Coronavirus geimpft werden. Denn zum Auftakt gab es für den Dax-Konzern nur ein einziges Fläschchen mit Biontech-Impfstoff. BMW war damit nicht allein. Mehr Impfstoff soll in den nächsten Tagen kommen.
700 000 Impfdosen für 6300 Betriebsärzte
Trotzdem war der Anlass so bedeutsam, dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und sein Gesundheitsminister Klaus Holetschek zum Pressetermin erschienen. Gefolgt von einer Traube aus Journalisten und BMW-Mitarbeitern ließen sie sich durch die Impfstraßen – bestehend aus Anmeldetisch und Impfkabine – führen und sich die Abläufe erklären. Die Führung endete mit der Impfung von Ali Zeybel. Mehrere Dutzend seiner Kollegen warteten auf Stühlen im Hintergrund auf ihre Anmeldung.
Lange hatte die Wirtschaft gefordert, Betriebsärzte in die Impfstrategie mit einzubeziehen. Bisher war dies mit Verweis auf die Priorisierung abgelehnt worden. Seit gestern also sind die Betriebe mit an Bord. Viele Unternehmen, darunter BMW, sind dafür mit einer internen Infrastruktur in Vorleistung gegangen. BMW teilt fürs Erste jedoch das bekannte Schicksal der öffentlichen Impfzentren und Arztpraxen: Es mangelt an Impfstoff. Für diese Woche stehen den rund 6300 Arbeitsmedizinern, die mitmachen, rund 700 000 Dosen des Impfstoffs von Biontech-Pfizer zur Verfügung – also nur 102 Dosen pro Betriebsarzt. Das sei zu wenig, findet die Leiterin des BMW-Impfzentrums, Dr. Antje Maier: „Wir haben sechs Impfstraßen aufgebaut, in jeder können wir täglich 80 bis 90 Mitarbeiter impfen.“ Bundesweit seien an allen BMW-Standorten sogar bis zu 2500 Impfungen am Tag möglich. „Wir müssen jetzt von Woche zu Woche sehen, wie viel wir bekommen“, sagt die Ärztin.
Aber nicht alle Mitarbeiter wollen sich impfen lassen. Laut einer repräsentativen Studie in einem anderen BMW-Werk liegt die Impfbereitschaft bei etwa 60 Prozent. „Da wir hier in München etwa 20 000 Mitarbeiter haben, stellen wir uns auf etwa 12 000 Impfungen ein“, erläutert Antje Maier.
Auch wenn der Impfstoff noch knapp ist, sieht BMW-Chef Oliver Zipse die Impfkampagne als „Wegweiser“. „Der Blick ist in die Zukunft gerichtet“, sagte Zipse. Damit meint er insbesondere die Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung wie in den USA. Diese melden seit Wochen hohe Impfzahlen.
Auch für Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist „Impfen die einzige Langzeitstrategie gegen das Virus“. Die Betriebsimpfungen nähmen eine zentrale Rolle in der langfristigen Bekämpfung der Pandemie ein. Man wolle „keine Kurzarbeit beim Impfen“, sagte Söder. Die Impfstraßen bei BMW bezeichnete er als vorbildlich.
Kleine Betriebe können Hausärzte einbeziehen
Viele Betriebsärzte in Deutschland können erst am Dienstag oder Mittwoch in größerem Umfang mit den Corona-Schutzimpfungen beginnen, weil erst dann mehr Impfstoff kommt. Wie viel BMW diese Woche noch erreichen soll, dazu gab es gestern keine Auskunft. Bei Siemens zum Beispiel sollen es 6000 sein, Audi erwartet rund 2500 Dosen. „Wir sind zunächst mal froh, dass es jetzt endlich losgeht, weil die Nachfrage aus den Betrieben ist groß“, sagte Wolfgang Panter, Präsident des Verbands der Deutschen Betriebs- und Werksärzte. Die Zahl der zur Verfügung stehenden Impfdosen sei indes „überschaubar klein“.
Die Impfungen sind kein Privileg der großen Konzerne, wie Hartmut Drexel erklärt. Er ist Leiter der Betriebsberater der Handwerkskammer Bayern. Zwar brauche jeder Betrieb eigentlich einen Betriebsarzt, bei kleineren Betrieben seien das aber oft Hausärzte, die nebenbei als Arbeitsmediziner tätig sind. Und diese Hausärzte könnten für kleine Betriebe der Türöffner zur Betriebsimpfung sein. „Jeder Betriebsarzt darf seit dieser Woche Impfstoff bestellen und verimpfen.“ Die Frage ist, wie viel Impfstoff jeder Arzt bekomme. Ist es wenig, bleibt wohl für Betriebsimpfungen womöglich nichts übrig. Für kleinere Betriebe, so Drexel, könne es sich durchaus lohnen, gemeinsam auf einen Mediziner zuzugehen und ihn mit der Impfung ihrer Mitarbeiter zu beauftragen.