Die zweite Schlacht um den Élysée-Palast

von Redaktion

VON ALEXANDER WEBER

München/Paris – Der Südosten Frankreichs ist eine der Bilderbuch-Gegenden des Landes. Mondäne Mittelmeer-Orte wie St. Tropez oder Nizza begeistern Touristen aus aller Welt ebenso wie die weiten Landschaften der Camargue oder die endlosen Felder violett-blauen Lavendels. Doch wenn am kommenden Sonntag die Bürger an die Urnen zur Regionalwahl gerufen werden, blickt ganz Frankreich auf die Region Provence-Alpes-Côte d’Azur – nicht wegen der Schönheit des Landstrichs, sondern wegen der Brisanz der politischen Auseinandersetzung.

Wie unter einem Brennglas sind hier all jene politischen Faktoren zu besichtigen, die auch über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen im kommenden Frühjahr entscheiden könnten: die Schwäche der Präsidentenpartei LREM (La Republique en marche), die Zerstrittenheit der konservativen Republikaner und, vor allem, die Stärke der rechtsextremen Partei RN (Rassemblement national).

Deren Chefin Marine Le Pen, bei der letzten Wahl 2017 im zweiten Wahlgang mit nur 33,9 Prozent vom damals frischen Hoffnungsträger Macron (66,1 Prozent) mehr als deutlich geschlagen, liegt derzeit in aktuellen Umfragen vor dem Präsidenten. Zumindest, was die Prognosen für die erste Wahlrunde angeht. Le Pen ist aus der damaligen Niederlage wie Phönix aus der Asche aufgestiegen und dem Élysée-Palast so nah wie nie zuvor.

Immer weniger Franzosen sehen die Tochter des einstigen Front-National-Gründers Jean-Marie Le Pen (siehe rechts) als Risiko. Mitte der 1990er glaubten noch 75 Prozent der Franzosen, Vater Le Pen stelle eine „Gefahr für die Demokratie dar“. Heute bejahen nur noch 49 Prozent diese Frage für die Tochter.

Im Gegensatz dazu hat die Macron-Partei LREM deutlich an Schwung verloren – vor allem im ländlichen Raum ist ihre Verankerung schwach. Das haben bereits die für die LREM vernichtend ausgegangenen Kommunalwahlen letztes Jahr gezeigt. Macrons Strategie, mit der er wohl auch in den Präsidentschaftswahlkampf ziehen will, zielt auf ein Bündnis mit den gemäßigt Konservativen ab, von denen einige – darunter immerhin auch Premierminister Jean Castex – bereits in Macrons Lager übergewechselt sind.

An der Côte d’Azur wird dieses Modell nun in der Praxis erprobt. Der Republikaner Renaud Muselier stellt sich als Regional-Präsident zur Wiederwahl und die LREM hat angekündigt, auf einen eigenen Kandidaten zu verzichten. Stattdessen unterstützt sie Muselier. Nur gemeinsam glaubt man, die Region gegen den dort sehr starken RN Le Pens verteidigen zu können. Eine Strategie mit Risiko. Denn viele konservative Wähler sind mit Macrons Regierungsbilanz unzufrieden – vor allem in der Frage der Inneren Sicherheit.

Die nicht enden wollende Serie islamistischer Anschläge und der alltägliche Terror durch Drogenbanden und Kriminelle in den Vorstädten verunsichern nicht nur die Bürger. Auch bei Polizei und Militär rumort es.

Der kürzlich bekannt gewordene Brief einer nicht kleinen Gruppe ehemaliger Generäle, im politischen Paris als eine Art Putschaufruf verstanden, ist ebenso ein deutliches Zeichen wie die erst vor wenigen Tagen in Paris organisierte Großdemo zehntausender Polizisten vor der französischen Nationalversammlung. Deren Motto lautete: „Bezahlt, um zu dienen, nicht um zu sterben.“ Die Kritik an der Regierung gilt nicht nur der schlechten Ausrüstung der Sicherheitskräfte. Auch die Justiz bekommt ihr Fett weg: Die Strafen für Verbrecher, etwa gefasste Drogendealer, seien viel zu niedrig, so die Ordnungshüter. Ein Feld wie bestellt für Le Pen, die mit ihrer Kritik an Migranten und Islamisten bei vielen Uniformierten auf offene Zustimmung trifft.

Zwar hat Macron mit Innenminister Gérald Darmanin einen Hardliner ins Kabinett geholt und mit einer Art Anti-Islamismus-Gesetz versucht, die offene Flanke gegen die Rechte zu schließen, doch in den Umfragen macht sich das nicht zugunsten Macrons bemerkbar. Bisher jedenfalls nicht. „Was auch immer wir machen, es prägt sich den Leuten nicht ein“, sagte ein enger Berater Macrons der Zeitung „Le Monde“.

Dieses Buhlen Macrons um die konservative Wählerschaft sieht ein 70-jähriger Brüssel-Rückkehrer besonders kritisch: Michel Barnier, Ex-Minister in Paris und seit 2016 als „Monsieur Brexit“ EU-weit bekannt, sieht sich selbst als „Akteur in der Präsidentschaftsdebatte“ und will sich für einen „Zusammenschluss des Landes“ einsetzen. Doch zuvor müsste er die tief zerstrittene eigene Partei „Les Républicains“ einen: „Unsere politische Familie droht zu verschwinden, wenn wir unsere Streitigkeiten nicht überwinden“, mahnt Barnier die Republikaner.

Der Spalt innerhalb der Partei verläuft zwischen sogenannten Konstruktiven, die Macron unterstützen (wie etwa Castex), und den Traditionalisten, die auf eine eigenständige Rolle der Republikaner pochen und zu denen sich Barnier bekennt. Ihr Kandidatenproblem für die Präsidentschaftswahl wollen die Republikaner per Meinungsumfrage lösen. Dafür sollen 15 000 Menschen befragt werden, wie Parteichef Christian Jacob ankündigte. Falls sich bei der Befragung ein Kandidat herauskristallisiere, „der das Match überragend gewinnt“, werde dieser nominiert, sagte Jacob.

Mitentscheidend für den Ausgang der Schlacht um den Elyseé wird sein, wer die klarere Botschaft bietet. Da ist Luft nach oben. Le Pen will „Kandidatin aller Franzosen“ sein und „das Land wieder auf Kurs bringen“. Was das genau heißt, sagt sie nicht.

Aber auch Macron hat ein Profilproblem. Der berühmte französische Comic-Zeichner und Autor Mathieu Sapin hat sich wie zuvor bei dem Sozialisten Hollande auch an einem Comic über Macron versucht. Mit mäßigem Erfolg, findet er. Der Präsident habe keine Ecken und Kanten, so Sapin, er sei „glatt“. Macron hat das offenbar nicht gestört. Per SMS fragte er den Zeichner nach der Lektüre lediglich, für wann Teil zwei des Comics geplant sei.

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