„Macron wird für Deutschland unbequemer“

von Redaktion

INTERVIEW Eine Expertin erklärt, warum Frankreich unter einer Entfremdung zwischen Bürgern und Politik leidet

Über die Regional- und Präsidentschaftswahlen in Frankreich sprachen wir mit Dr. Ronja Kempin, Frankreich-Expertin von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Vor vier Jahren gewann Macron die Präsidentschaftswahl als unideologischer Reformer. „Weder rechts noch links“ wollte er sein. Wie sieht seine Bilanz aus?

Die Bilanz ist gemischt. Er hat es geschafft, sowohl im linken Spektrum Themen durchzusetzen wie im konservativen Spektrum und so verhindert, dass sich bisher ein ernsthafter Konkurrent für ihn etablieren konnte. Aber seine Amtszeit war auch überschattet von vielen Protesten, seine Reformvorhaben sind sehr schlecht angenommen worden – erinnern wir uns an die Gelbwesten-Proteste oder den Generalstreik gegen die Rentenreform. Was er nicht geschafft hat, ist, die Bürger auf seine Seite zu ziehen und sie von der Richtigkeit seiner Politik zu überzeugen. Das ist sein größtes Manko.

Während sich in Deutschland vier Parteien um die politische Mitte streiten, scheint die Mitte in Frankreich zu den Rändern zu fliehen. Was ist da passiert?

In Frankreich hat in den letzten 15 bis 20 Jahren eine wirkliche Entfremdung zwischen Bürgern und Politik, der sogenannten Elite, stattgefunden. Das Misstrauen in die etablierten politischen Kräfte ist immer stärker angewachsen. Von diesem politischen Missmut, dem Gefühl vieler Bürger, nicht gesehen zu werden, nicht verstanden zu werden, profitieren die extremen Kräfte auf der linken wie rechten Seite. Macron versucht, sich als Platzhirsch in der Mitte zu behaupten. Wichtig auch: Die Gruppe der Nichtwähler ist stark angewachsen, sie war bereits 2017 größer als jene, die Macron zum Präsidenten gewählt hat.

Mit welchen Themen kann Macron seine Wiederwahl schaffen?

Das sind vor allem zwei: Ökologie und Innere Sicherheit. Bei den letzten Kommunalwahlen haben die Grünen deutlich hinzugewonnen. Macron muss diese Klientel – jung, urban, gut ausgebildet, gut verdienend –, die 2017 noch für ihn gestimmt hat, zurückholen. Dazu muss er das Thema Klimawandel auf seiner Agenda nach vorne bringen. Um rechte Wähler zurückzugewinnen, muss er zudem das Thema Sicherheit betonen. Also das Vorgehen gegen islamistische Vereinigungen, Moscheen und deren Finanzierung aus dem Ausland.

Was hat Deutschland von Frankreich im Wahlkampfmodus zu erwarten?

Wir müssen den Ausgang der jetzigen Regionalwahlen genau beobachten. Prognosen sehen Frau Le Pens Partei in sechs der zwölf Regionen vorne. Der Wahlausgang wird Macrons Agenda bis zur Wahl im nächsten April bestimmen. Macron wird ein unbequemer Partner für Deutschland, weil er von der EU und Berlin Zugeständnisse braucht – etwa in Fragen der Wirtschaft oder der Einhaltung des 3-Prozent-Defizit-Kriteriums. Frankreich ist zwar halbwegs gut durch die Corona-Krise gekommen. Aber jetzt müssen die Wirtschaft schnell wieder anspringen und Arbeitsplätze vor allem für junge Menschen geschaffen werden. Dazu braucht Macron Geld. Das soll aus der EU kommen und dazu braucht er auch die Zustimmung Deutschlands.

Rechnen Sie noch mit einem ernsthaften Herausforderer Macrons im konservativen Spektrum?

Aus meiner Sicht hat der frühere Premierminister Édouard Philippe die größten Chancen. Er liegt in Umfragen bei den Beliebtheitswerten vor Macron. Er könnte mit einer ähnlichen Politik, wie sie Macron 2017 betrieben hat, erfolgreich sein. Er hat mehr Authentizität im konservativen Lager und könnte Marine Le Pen dort Stimmen streitig machen. Gleichzeitig vertritt er aber auch viele progressive Ansichten und könnte deshalb im liberalen Milieu erfolgreich sein.

Könnte ein konservativer Kandidat Philippe also Macrons Einzug in die zweite Präsidentschaftswahlrunde verhindern?

Das ist nicht auszuschließen. Es ist die größte Gefahr für Macron.

Interview: Alexander Weber

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