Berlin – Trotz insgesamt sinkender Corona-Zahlen ist die als ansteckender geltende Delta-Variante des Virus auch in Deutschland auf dem Vormarsch. Der Virologe Christian Drosten fordert deshalb, schneller zu impfen und mehr Bewusstsein fürs Impfen zu schaffen. „Das ist wirklich das, was wir jetzt machen müssen“, sagte der Experte der Berliner Charité. Vielleicht schon im Sommer, spätestens im Herbst werde es wegen der Delta-Variante zu einer Trendumkehr kommen. Womöglich müsse man dann erneut mit Kontaktbeschränkungen gegensteuern. „Aber es gibt auch gute Gründe zu denken, dass das in Deutschland nicht notwendig wird.“ In England, wo sich die Corona-Lage wegen der Delta-Variante wieder verschlechtert hat, sei die 7-Tage-Inzidenz ausgehend von einem Niveau von 25 wieder angestiegen. „Man hatte nicht so weit runtergebremst, wie wir das jetzt in Deutschland gemacht haben.“
In Deutschland liegt der Anteil der Delta-Variante laut der jüngsten Stichprobe des Robert-Koch-Instituts bei 15,1 Prozent (Woche vom 7. bis 13. Juni). In Großbritannien ist Delta bereits die dominierende Variante. In mehreren Bundesländern geht der Anstieg schneller. So meldete Hessen, die Delta-Variante mache schon über 20 Prozent der Fälle aus. In Bayern hat sich die Zahl der bestätigten Infektionen mit der Delta-Variante im Verlauf einer Woche fast verdoppelt – von 132 auf 229 Fälle, wie Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) mitteilte. In einzelnen Laboren betrage der Anteil inzwischen fast ein Viertel.
Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, forderte, stärker auf „Impfskeptiker und Impfleugner“ zuzugehen. „Wenn wir nicht auch einen Teil dieser Gruppe vom Sinn der Impfung überzeugen, werden wir die Herdenimmunität nicht erreichen“, sagte Montgomery. „Wer sich nicht impfen lässt, wird sich früher oder später mit dem Coronavirus infizieren.“
Aus eigenen Labordaten, so Virologe Drosten, gebe es erste Hinweise, dass Menschen, die mit der Delta-Variante (B.1.617.2) infiziert sind, eine noch höhere Viruslast haben als Infizierte mit der Alpha-Variante (B.1.1.7). Bisherige Daten geben für ihn Signale, dass Delta etwas schwerere Verläufe verursache. Der Schutz vor einem schweren Verlauf für vollständig Geimpfte sei im Vergleich zur noch in Deutschland dominierenden Variante Alpha aber gleichwertig. Der Schutz nur durch die Erstimpfung gilt jedoch als schwächer verglichen mit der Wirkung gegen frühere Virusformen.
Die Direktorin der EU-Gesundheitsbehörde ECDC, Andrea Ammon, erklärte, die Delta-Variante sei den bisherigen Erkenntnissen zufolge um 40 bis 60 Prozent übertragbarer als die Alpha-Variante. Sie rechnet damit, dass bis Ende August 90 Prozent aller Neuinfektionen in der Europäischen Union und den mit ihr verbundenen Ländern Norwegen, Island und Liechtenstein auf Delta zurückzuführen sein werden.
Der Virologe Alexander Kekulé warnt in einem „Focus“-Gastbeitrag vor Panik. Die Delta-Variante sei „in der Rolle des Schreckgespenstes eine glatte Fehlbesetzung“. Dass Virus-Varianten ansteckender seien, sei normal. Dafür seien die Erreger häufig harmloser. Die Delta-Variante werde sich unweigerlich ausbreiten. „Bei Geimpften und Genesenen wird die Erkrankung jedoch nahezu immer leicht verlaufen. dpa