München – Mit nur wenigen Klicks zum Drogenrausch: Immer mehr Konsumenten bestellen sich Stoff im Netz. Das Hauptzollamt in Ulm hat gerade erst bekannt gegeben, dass 2020 mit 370 Sendungen mehr Rauschgift bei der Post sichergestellt wurde als in den beiden Jahren davor. Der Markt gerät außer Kontrolle. „Wir werden vom Rauschgift überrollt“, sagt Jörg Beyser, Chef des Drogendezernats beim Landeskriminalamt in München.
Herr Beyser, in der Corona-Krise waren Straßen oft wie leer gefegt. Was hat das für die Drogenszene bedeutet?
Die Szene hat sich verändern müssen. Es gab eine Verlagerung in die privaten vier Wände. Konsumenten haben Drogen zunehmend im Internet bestellt und sie sich per Post liefern lassen.
Wie lässt sich das kontrollieren?
Nur sehr schwer. Im vergangenen Jahr gab es bei der Polizei ohnehin schon starke Verschiebungen: Die Corona-Kontrollen haben den Schwerpunkt dargestellt, und dafür sind viele Rauschgiftkontrollen weggefallen. Trotzdem wissen wir, dass der Markt weiterhin besteht.
Woher?
Es gibt nach wie vor ein Riesenangebot. Die Drogenpreise sind während der Pandemie überhaupt nicht angezogen, und auch die Qualitäten haben nicht abgenommen. Der Markt ist gesättigt.
Was wird am meisten gekauft?
Darauf können wir keine belastbare Antwort geben. Wir können nur sagen, was wir sicherstellen oder was in Krankenhäusern nachgewiesen wird. Und da ist alles dabei: Heroin, Methamphetamin, Cannabis und die sogenannten Kräutermischungen, also neue psychoaktive Stoffe (siehe unten). Wir werden vom Rauschgift überrollt. Kokain ist massiv auf dem Vormarsch. Vieles kommt aus den Niederlanden. Das neue Kolumbien Europas, könnte man fast sagen.
Und das bekommt man alles im Internet?
Ja. Es gibt eine ganze Liste an kriminellen Marktplätzen im Darknet (anonyme Netzwerke: Inhalte sind im freien Web nicht sichtbar, Anm. der Redaktion). Und es ist nicht besonders schwer, darauf zuzugreifen. Es fängt auf dem Schulhof an. Jemand weiß, wie man sich online Drogen bestellt und wie man sich die am klügsten liefern lässt – und zeigt das fünf weiteren Mitschülern. Diese Art des Handels hat sich in Corona-Zeiten bewährt. Warum sollte man noch riskieren, bei einem Deal von einer Kamera am Hauptbahnhof überwacht zu werden? Man bekommt das Rauschgift einfach zur nächsten Packstation geschickt. Und da geht es mittlerweile um Mengen, die wir überhaupt nicht mehr im Griff haben.
Ist das jetzt die digitale Revolution für den Drogenmarkt?
Nein, die hat schon längst angefangen. Ich bin seit 2013 Leiter der Rauschgiftbekämpfung. Damals hatten wir den ersten Fall, der sich im Dark-net abgespielt hat. Der Täter war Anfang 20 und kam aus Deggendorf. Er war unter dem Pseudonym „Pfandleiher“ bekannt und hat auf „Silkroad“ (erster großer krimineller Marktplatz im Darknet, Anm. der Redaktion) internationalen Ecstasy-Handel betrieben. Seinerzeit ist sogar ein achtseitiger Bericht in einem mexikanischen Magazin über diesen ominösen Pfandleiher aus Deutschland erschienen, der mit seiner Qualität weltweit überzeugt und den keine Behörde ermitteln kann.
Was ist passiert?
Wir haben ihn am Ende doch in Zusammenarbeit mit unseren Kollegen aus Österreich fassen können und Drogen im dreistelligen Kilobereich sichergestellt. Als wir ihn festgenommen haben, konnten wir auch Verbindungen zu einem Komplizen aus Brandenburg feststellen. Der hat neben seinem Rauschgifthandel auch professionell Geschäfte mit Bitcoins gemacht – also praktisch damit gehandelt. Damit wurde auf „Silk-road“ bezahlt. Ein Bitcoin war damals noch wenige hundert Euro wert – und nicht zigtausende wie heute. Ich gehe davon aus, dass der Mann heute noch Bitcoins im Wert von mehreren Millionen Euro besitzt.
Das Darknet wird auch oft als unsichtbares Netz bezeichnet. Wie schnappt man da einen Täter?
Das waren in unserem Falle weniger professionelle Computerkenntnisse, sondern eher kleine, kriminalpolizeiliche Ermittlungsschritte – wie auch im Fall der Überführung des Administrators von „Silkroad“ , Ross Ulbricht, in Amerika. Der „Pfandleiher“ hat Fehler gemacht, zum Beispiel wurden viele Päckchen falsch adressiert. Bei der Post hat sich kiloweise Rauschgift gestapelt. Über Postversandermittlungen zog sich dann die Schlinge immer enger zu. Außerdem: Die jungen Leute sind mittlerweile überall, bei Facebook, Google, Youtube. Erst erfährt man nur die E-Mail-Adresse, dann die Lieblingsmusik, und je tiefer man einsteigt, desto mehr vervollständigt sich das Bild des Täters. Wie ein Mosaik.
Wie stark haben sich Ihre Ermittlungen seitdem verändert?
Wir mussten uns mit einem neuen Phänomen beschäftigen. Den typischen Rauschgifthändler mit langen Haaren, Ohrring, Goldkette und Mercedes gibt es nicht mehr. Die heutigen Dealer sind meistens jünger als 30 und computeraffin. Sie wissen genau, wie sie sich im Darknet bewegen müssen, und haben internationale Verbindungen zu anderen Händlern. Dafür braucht man nur mit dem technischen Wissen aufgewachsen zu sein. Meine Generation ist das nicht.
Also sind Ihnen die Drogendealer in der Hinsicht einen Schritt voraus?
Ja und nein. Wir mussten uns dieses Wissen erst erwerben. Mittlerweile erwarte ich aber auch von meinen Ermittlern ein gewisses Mindestmaß an technischem Verständnis.
Reicht das, um Kriminelle im Darknet zu finden?
Es gibt ja immer einen Übergang von der digitalen in die reale Welt. Und da knüpfen wir an. Zum Beispiel bei Überweisungen: also Umtausch in Bitcoin, Rücktausch in Bargeld. Oder beim Versenden von Päckchen. Da müssen die Händler persönlich in Erscheinung treten, und da wollen wir hinkommen.
Der Bundestag hat nun eine Änderung im Postgesetz beschlossen, um den Drogenhandel auszubremsen. Macht das Ihre Ermittlungen einfacher?
Es erleichtert die Kontrollen von Paketen – bislang durfte das nur im konkreten Verdachtsfall geschehen. Das heißt: Postdienstleister durften der Polizei nur Pakete melden, die zum Beispiel aufgerissen sind oder nach Marihuana riechen. Die machen aber nur einen winzigen Bruchteil aus. Mittlerweile ist der Handel professionalisiert, Drogen sind luftdicht verpackt. Durch die neue Bestimmung im Postgesetz haben nun Postdienstleister bei entsprechenden Ermittlungen und insbesondere bei Gefahren durch die Gifte eine Mitwirkungspflicht. Man hätte das Gesetz aber schon vor Jahren ändern müssen.
Auf der App Telegram habe ich in wenigen Minuten etliche Münchner Gruppen gefunden, in denen Drogen angeboten werden. Wie kann das sein?
Wir werden von solchen Entwicklungen überrascht. Natürlich bekommen wir das mit, aber unsere personellen Ressourcen sind auch begrenzt. Wir brauchen mehr Spezialisten, mit denen wir uns im Netz besser aufstellen können. Das betrifft nicht nur Telegram, sondern auch das Angebot von neuen psychoaktiven Stoffen, die man auch außerhalb des Darknets – als Badesalz oder Kräutermischung getarnt – im freien Web kaufen kann. Das bereitet uns Sorgen. Wir müssen Prioritäten setzen. Letztlich wollen wir diejenigen finden, die den Stoff nach Deutschland bringen oder hier produzieren – und dafür sorgen, dass wir hunderte Drogentote haben.
Interview: Kathrin Braun