München – Weißes Pulver, klare Kristalle, braune Körnchen – was die bayerische Polizei bei Drogenhändlern einkassiert, landet oft auf dem Labortisch von Jan Schäper in München. Der Chemiker dokumentiert, wiegt und analysiert beim Landeskriminalamt (LKA) das sichergestellte Rauschgift. „Dazu gehören zum einen die klassischen Drogen“, sagt Schäper, „wie Kokain, Crystal Meth und Heroin.“ Aber seit einigen Jahren vermehrt auch sogenannte Neue psychoaktive Stoffe (NPS). Die werden oft als Kräutermischungen oder Badesalze verkauft – und sind zum Teil gefährlicher als Heroin.
„Cannabis macht mehr als die Hälfte der Fälle aus“, sagt Schäper und legt eine prall gefüllte Plastiktüte auf die Waage. 230 Gramm. Der Marihuana-Duft verteilt sich im ganzen Raum. „Auf der Straße wird das für etwa zehn Euro das Gramm verkauft.“ Daneben liegt ein weißer Block: ein Kilogramm Kokain. Hier liegt der Straßenwert sehr viel höher, bei 80 bis 100 Euro das Gramm. „Solche Mengen werden meist in Häfen oder an Landesgrenzen vom Zoll sichergestellt. Sie kommen aber immer öfter in das Einzugsgebiet der bayerischen Polizei.“
Weniger harmlos wirken die kleinen, bunten Tütchen, die Schäper auf dem Labortisch verteilt: Die Päckchen sehen aus wie Zuckerl, die meisten kann man frei im Netz bestellen und sich per Post liefern lassen – dabei sind die Neuen psychoaktiven Stoffe bereits bei niedriger Dosierung extrem gefährlich und bei falscher Anwendung schnell tödlich, erklärt Schäper.
Die Designerdrogen würden oft unterschätzt. In Online-Shops werden sie meist als legale Substanzen angeboten – dabei unterliegen sie seit 2016 dem „Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetz“. „Das Problem ist: Diese Substanzen sind oft neu und unerforscht, es gibt dafür keine Studien wie bei Heroin oder Amphetamin“, sagt Schäper. „Konsumenten machen sich zu Versuchskaninchen.“
Schäper deutet auf ein Päckchen mit rosa Pulver. „Das sind synthetische Cannabinoide“, erklärt er. „Damit werden Kräuter besprüht.“ Das wirkt ähnlich wie Cannabis – aber dieser Stoff kann in hoher Dosierung zu Organschäden führen. Die 500-Gramm-Tüte reiche etwa für eine halbe Million Konsum-Einheiten. „Wenn man das nicht weiß, ist die Gefahr einer Überdosierung extrem hoch.“
An Marihuana ist noch niemand gestorben, sagt Schäper. Denn der Körper sei ab einer gewissen Konsum-Menge nicht mehr dazu in der Lage, weiteres THC – also den Stoff, der den Rausch auslöst – aufzunehmen. „Bei synthetischen Cannabinoiden ist das nicht so: Da wird die Wirkung immer stärker. Bis der Körper nicht mehr mitmacht.“ Im Jahr 2020 sind in Bayern 14 Menschen an NPS gestorben – insgesamt gab es 248 Drogentote. Die Dunkelziffer dürfte viel höher sein.
Die Designerdrogen sollen nicht nur eine Cannabis-Alternative sein – viele haben ähnliche Strukturen wie Heroin oder Amphetamin. Schäper nimmt ein Päckchen mit der Aufschrift „Go Gaine“ in die Hand. „Das soll ähnlich wie Kokain wirken.“ Sobald Chemiker wie er einen Wirkstoff analysieren und er gesetzlich reguliert wird, tauchen innerhalb kürzester Zeit neue Produkte auf. Allein bis Ende 2018 wurden in Europa mehr als 730 NPS-Arten gezählt. KATHRIN BRAUN