Ohlstadt/Kabul – Günther Höbel verfolgt die Nachrichten aus Afghanistan sehr intensiv. Besonders die eher spärlichen Nachrichten darüber, was mit den afghanischen Hilfskräften passieren wird, die die Soldaten jahrelang im Kampf gegen die Taliban unterstützt haben. Zum Beispiel als Dolmetscher oder Wachleute. Ihnen und ihren Familien drohen nach dem Abzug der Bundeswehr Folter oder der Tod. Denn die Taliban betrachten sie als Verräter.
„Es ist nicht nur anständig, sondern zwingend, dass wir diesen einheimischen Hilfskräften nun Asyl in Deutschland bieten“, findet Höbel. Deshalb hat sich der 85-Jährige aus Ohlstadt (Kreis Garmisch-Partenkirchen) vor Kurzem an seinen Computer gesetzt und einen Brief geschrieben. Direkt an die Bundesverteidigungsministerin. Er appellierte an Annegret Kramp-Karrenbauer, alle bedrohten Hilfskräfte, die die deutschen Truppen unterstützt hatten, aufzunehmen – schnell und unbürokratisch. Und er machte der CDU-Ministerin ein Angebot. „Einen dieser Afghanen würde ich aufnehmen, versorgen, ihm helfen, die Sprache zu lernen und ihm eine Arbeitsstelle besorgen. In Ohlstadt wird das nicht schwer fallen. Wir schaffen das!“
Den Schlusssatz hat sich Höbel von der Kanzlerin geborgt. Angela Merkel wurde für diesen Appell seit dem Herbst 2015 oft kritisiert, Höbel hingegen ist überzeugt davon, dass sie damit recht hat. Er hat selbst jahrelang Asylbewerbern dabei geholfen, ihren Platz in Deutschland zu finden. „Bei uns in Ohlstadt war immer der ganze Ort eingebunden, die Integration der Geflüchteten hat problemlos funktioniert. Bei den Hilfskräften der Bundeswehr wäre die Integration vermutlich noch einfacher“, ist Höbel überzeugt. „Diese Menschen wollen ihre Familien ernähren und haben schon eine Verbundenheit zu Deutschland.“
Der 85-Jährige ärgert sich, dass Deutschland bei der Unterstützung der afghanischen Helfer bürokratischer agiert als andere Länder. Die USA wollen noch vor dem Ende ihres Truppenabzugs bedrohte Ortskräfte außer Landes bringen, Großbritannien hatte angekündigt, vor dem Abzug der britischen Soldaten die Aufnahme afghanischer Helfer zu beschleunigen.
In Afghanistan haben gestern mehrere Ortskräfte ihre Forderung nach schnellem Schutz in Deutschland bekräftigt. Man habe sie in einer unklaren Situation zurückgelassen, das geplante Ortskräfte-Büro, das bei der Ausreise unterstützen sollte, sei noch immer nicht geöffnet. Deutschland hat bisher 2400 Visa für Hilfskräfte und deren Angehörige ausgestellt. Die verbleibenden Anträge würden mit Hochdruck bearbeitet, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin. Das Verteidigungsministerium teilte mit, dass die Ortskräfte aufgrund der schwierigen Sicherheitslage nach dem Abzug der letzten deutschen Soldaten an „sicheren Orten“ in Afghanistan Rat und Hilfe bekommen könnten. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl hatte gestern gefordert, das Bundesverteidigungsministerium müsse offenlegen, wie und auf welchem Wege die bedrohten Ortskräfte gerettet werden. Es reiche nicht, nur zu verkünden, dass Deutschland für sie eine Verantwortung trage. Das sieht auch Günther Höbel so. Sein Angebot, einen Helfer in Ohlstadt aufzunehmen, steht, betont er. Eine Reaktion auf seinen Brief hat er nicht bekommen. KATRIN WOITSCH