Vaterstetten/Parsdorf – Schlaflose Nächte hatte Ralf Schloemilch vor der Gemeinderatssitzung in Vaterstetten (Landkreis Ebersberg) Ende Juni. Denn der Gemeindearchitekt musste die Hiobsbotschaft übermitteln, dass das Bauprojekt im Ortsteil Parsdorf teurer wird. Um satte 600 000 Euro! 2,2 Millionen hatte Vaterstetten bislang für Sanierung, Um- und Anbau des alten Rathauses veranschlagt. Eigentlich sollen hier fünf günstige Wohnungen für eine kinderreiche Familie, junge Feuerwehrler und Kita-Personal entstehen. Nun hat man einen Quadratmeterpreis von fast 6000 Euro.
Es habe schon immer Kostensteigerungen am Bau gegeben, sagt Schloemilch. So um die fünf Prozent jährlich. „Aber so was wie derzeit ist komplett neu.“ Die Kosten explodieren regelrecht. „Eine völlig verrückte Situation“, klagt Schloemilch, „einfache Sachen von Spanplatten bis Farbe sind nicht mehr lieferbar.“ Zudem seien absolut überteuerte Angebote auf dem Markt unterwegs. Und zwar konkurrenzlos.
So hat Vaterstetten bei einigen Ausschreibungen nur eine einzige Reaktion erhalten – und die angebotenen Preise waren mehr als doppelt so hoch, wie die Gemeinde sie kalkuliert hatte. Selbst bei Erdarbeiten wurde kräftig zugelangt. Sind das Auswirkungen der Hochkonjunktur in der Baubranche? Die Auftragsbücher seien gut gefüllt und damit könnten sich die Handwerker aussuchen, was sie noch annehmen, sagen Insider. Daher bewerben sich bei den Ausschreibungen nicht mehr so viele Betriebe. Die Folge: Der Preiswettbewerb fällt aus. Das bekommen die Kommunen deutlich zu spüren.
Manchmal bringt eine Neuausschreibung den erhofften Effekt. Germering (Landkreis Fürstenfeldbruck) hatte damit Anfang des Jahres Erfolg. Zunächst hatte die Stadt sieben Firmen aufgefordert, für den Umbau einer Bushaltestelle samt Neubau einer Treppenanlage am S-Bahnhalt Harthaus ein entsprechendes Angebot abzugeben. Es kamen aber nur zwei Offerten, die fast doppelt so teuer wie die Kostenschätzung waren. Nachverhandlungen blieben ohne Erfolg. Im zweiten Anlauf meldeten sich drei Interessenten. Zwar war der Preis immer noch deutlich entfernt von der ursprünglichen Kalkulation, aber das günstigste Angebot lag fast 80 000 Euro niedriger als im Jahr zuvor.
In Vaterstetten hält man nichts davon, sein Bauprojekt einfach mal ein halbes Jahr auf Eis zu legen und abzuwarten, ob sich der Markt wieder beruhigt. Das werde kaum etwas bringen, schätzt Schloemilch. „Das Ganze wird sich im Großraum München sicher noch eineinhalb Jahre hinziehen.“ Zudem führt eine Zweitausschreibung zu Verzögerungen bei der Fertigstellung eines Projekts und belastet die Verwaltung mit Zusatzarbeit.
Die Corona-Pandemie sei nicht allein an der Preisexplosion schuld, sagen Branchenkenner. Zwar konnten Firmen in den letzten Monaten zeitweise nicht weiterarbeiten, weil ihre Arbeiter erkrankt waren oder sich in Quarantäne befanden. Montagearbeiter aus dem Ausland fielen zudem wegen diverser Einreisebestimmungen aus. Aber bereits vor Corona wurden Arbeiter direkt auf anderen Baustellen abgeworben, „Da kam plötzlich jemand von einer fremden Firma aufs Gelände und hat bestimmten Arbeitern ein paar Euro mehr Stundenlohn geboten, am Montag war dann die Hälfte weg“, erzählt ein Bauleiter fassungslos.
Der Fachkräftemangel beutelt die Baubranche noch viel heftiger. Viele Firmen arbeiten an ihrer Kapazitätsgrenze. Das führt zu Wartezeiten und Verzögerungen. Die Bundesarchitektenkammer rät Auftraggebern daher, bei ihrer Planung zeitliche Puffer vorzusehen. Sonst wird es noch schwieriger, in einem überschaubaren Zeitraum überhaupt noch eine qualifizierte Firma für einen Auftrag zu finden.
So tauchte in Haar im Landkreis München die Firma, die im Schul-Erweiterungsbau die Fliesen verlegen sollte, ohne Ansage einfach nicht auf. Der Auftrag musste nun noch mal neu ausgeschrieben werden, was die Eröffnung verzögern wird.
Viele Firmen begründen ihre Preissteigerungen mit Lieferschwierigkeiten beim benötigten Baumaterial. Ob Holz, Metall, Kunststoffprodukte, Dämmstoffe, Farben oder Baustahl – alles ist knapp. Zwar könnten sich Bauunternehmen mit einer sogenannten Stoffpreis-Gleitklausel gegen Preisschwankungen auf dem Rohstoffmarkt absichern. Doch in den Unterlagen der öffentlichen Hand fehlt ein entsprechendes Formular.
„Es ist wirklich kurios, was es alles nicht mehr gibt“, sagt Florian Hartmann, grüner Oberbürgermeister von Dachau. Seine Stadt baut gerade ein neues Hallenbad. Die ursprünglich geplanten Kosten von 19,4 Millionen Euro kletterten zuletzt auf geschätzte 25 Millionen – und ein Ende ist nicht in Sicht.
Außerdem gibt es massive Verzögerungen. Ein einziges Element kann den gesamten Zeitplan für ein Projekt ins Wanken bringen. Gibt es beispielsweise keine Plastikrohre für den Abfluss, braucht man eine Baustelle gar nicht erst zu beginnen. Im Moment zu bauen sei „der Wahnsinn“, sagt OB Hartmann. „Jetzt wird es wieder heißen: Die Stadt ist zu blöd, ein Hallenbad zu bauen.“
Hinzu kommen höhere Löhne, die nach Angaben von Branchenkennern mit dem Fachkräftemangel zusammenhängen. Private Auftraggeber können hier anders reagieren als die öffentliche Hand, die ihre Arbeiten über Ausschreibungen vergeben muss. Angesichts dieser ungeahnten Baupreissteigerungen wird es für die Kommunen immer schwerer, einen realistischen Ansatz in ihren Haushalt einzustellen.
Die ganze Situation hat erhebliche Auswirkungen auf die finanzielle Lage der Kommunen und auf die künftige Ortsentwicklung. Leiden wird vor allem der Bau von günstigem Wohnraum, der meist an Kommunen und Genossenschaften hängen bleibt.