München – Der 4. August 1971 ist ein schöner Sommertag. Es ist 15.55 Uhr. Nur noch wenige Minuten, dann ist auch in der Filiale der Deutschen Bank an der Prinzregentenstraße 70 Feierabend. Plötzlich betreten zwei Männer die Bank. Hans Georg Rammelmayr, 34, und Dimitri Todorov, 24, sind keine Kunden. Sie tragen Motorradhelme und Sonnenbrillen, ihre Gesichter haben sie in schwarze Schals gehüllt. Sie sind mit Pistolen bewaffnet, und mit einer Maschinenpistole.
Rammelmayr und Todorov treiben Angestellte und Kunden zusammen, fesseln sie. Ein Teil der Geiseln darf gehen, fünf müssen bleiben. Die Bankräuber fordern zwei Millionen D-Mark und ein Fluchtauto, geben sich als Angehörige der „Roten Front“ aus, ein paramilitärischer kommunistischer Kampfverband. Passiere nicht alles exakt wie gefordert, werde sich die „Rote Front“ an der Bevölkerung rächen. Die Ganoven drohen, die Bank in die Luft zu sprengen, behaupten, mit Gift für den eigenen Freitod versorgt zu sein.
Sechsers Schießbefehl
Ein Bankraub mit Geiselnahme: Das gab es seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland noch nie. Ministerpräsident in Bayern ist damals Alfons Goppel, Münchens Polizeipräsident heißt Manfred Schreiber. Das Sagen hat bei dem Einsatz aber Staatsanwalt Erich Sechser. Sechser ist es auch, der den Schießbefehl erteilt, der den Einsatz Stunden später zum Fiasko werden lässt.
Rammelmayr und Todorov haben ein Ultimatum gesetzt. 22 Uhr. Dann soll das Geld im Fluchtauto liegen, zwei Millionen in 100-D-Mark-Scheinen. Während die Einsatzkräfte Stellung beziehen, wird die Prinzregentenstraße zum Rummelplatz. Zwar gibt es einen Sperrring von 100 Metern, aber die Sicht auf den Tatort ist gut. In den Fenstern der umliegenden Häuser machen es sich Schaulustige mit Kissen unter den Ellbogen in den Fenstern bequem. Im Feinkost Käfer gegenüber sammeln sich Publikum und Journalisten. Sogar Musik schallt aus den Fenstern. Ein gespenstisches Spektakel.
Staatsanwalt Sechser trifft eine Entscheidung. Das Lösegeld wird bezahlt, die Täter sollen auf dem Weg zum Auto außer Gefecht gesetzt werden. Oder besser gesagt Rammelmayr. Denn die Bankräuber kündigen an, dass nur ein Täter mit einer Geisel das Lösegeld in Sicherheit bringen wird und der andere, Todorov, mit den übrigen Geiseln in der Bank auf die Rückkehr seines Komplizen wartet. „Freilich hätt’ er sie erschießen können“, wird Sechser später sagen. Aber er setzt darauf, dass die Polizei rechtzeitig die Bank stürmt.
Gegen 23.30 Uhr trägt ein Kriminaler das Geld in einem Sack zur Bankfiliale. Dann nimmt das Drama seinen Lauf. Der Kassier Ludwig Kelnhofer muss das Geld und die Geisel Ingrid Reppel zum Fluchtauto bringen. Die Augen der erst 20-jährigen Bankangestellten sind verbunden, die Hände vor dem Körper gefesselt. Der Geldsack kommt auf den Rücksitz, Reppel lotst der Kassier auf den Beifahrersitz und geht selbst zurück zur Bank.
Dramatische Minuten
Dann tritt Hans Georg Rammelmayr, ein gebürtiger Münchner, vor die Tür – maskiert mit einer Kapuze, wie der Ku-Klux-Klan sie trägt, in beiden Händen eine Waffe. Er ist nervös, blickt um sich. Als er die Fahrertür erreicht, fallen die ersten Schüsse. Rammelmayr taumelt, sackt auf den Fahrersitz. Es folgt ein Kugelhagel. Auch Rammelmayr schießt. Ein Augenzeuge beschreibt es am nächsten Tag im „Münchner Merkur“ so: „Dann wird der BMW von allen Seiten mit Kugeln eingedeckt, bis sich darin nichts mehr rührt.“ Ein zweiter berichtet: „Das Mädchen (…) wurde von den ersten Geschoßgarben vom Polster gehoben, fiel zurück, schnellte ein zweites Mal nach oben und sank in sich zusammen. (…). Die Kugeln hämmerten von allen Seiten in das Blech, das wie unter einem Hagelschlag dröhnte.“
Dimitri Todorov und die vier anderen Geiseln erleben das alles in der Bank mit. Polizisten robben auf dem Bauch heran. Einer hämmert mit dem Pistolenknauf auf ein Fenster ein, bis es endlich zerbirst. Das dauert. Es fallen Schüsse, Todorov schießt zurück. Aber nicht auf die Geiseln. Dann wirft er die Pistole weg und ergibt sich. Sein Komplize Hans Georg Rammelmayr stirbt noch am Tatort, die Geisel Ingrid Reppel im Krankenhaus.
Umstrittene Obduktion
An dem Polizeieinsatz gibt es heftige Kritik. Warum wurde erst auf Rammelmayr geschossen, als er am Auto war? Warum wurde überhaupt geschossen, obwohl die Polizei keine ausgebildeten Scharfschützen hatte? Warum hatte ein Staatsanwalt das Kommando und nicht die Polizei? Die Obduktion wird ergeben, dass Reppel durch Schüsse aus Rammelmayrs Pistole ums Leben kam. Zweifel daran gibt es bis heute. Eine zweite Obduktion, beantragt von Todorovs Verteidiger Lutz Libbertz, wird abgelehnt.
Ein gutes Jahr später, am 5. September 1972, kommt es zum Münchner Olympia-Attentat auf die israelische Mannschaft. Auch hier endet der Polizeieinsatz im Desaster. Die Terroristen verfolgen über Radio und Fernsehen den Polizeiaufmarsch, weil man ihnen den Strom nicht abstellt. Beim Befreiungsversuch am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck sterben alle elf Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizist. Als Konsequenz gründet die Polizei endlich auf Terrorismus und Geiselbefreiung spezialisierte Einheiten wie die GSG 9.
Dimitri Todorov wird zu lebenslanger Haft verurteilt, macht im Knast sein Abitur, studiert Sozialwissenschaften, kommt nach 22 Jahren auf freien Fuß, schreibt ein Buch über seine Zeit in Stadelheim, landet wegen Drogenhandels erneut vor Gericht. Heute lebt er, 74 Jahre alt, in München.