Kiel: Inzidenz über 100 – na und?

von Redaktion

VON WOLFGANG HAUSKRECHT UND MERLE HUBERT

München/Kiel – In Bayern ist man gegenüber dem Rest der Republik ungerne im Hintertreffen. Bei den Sommerferien allerdings ist es so. Während woanders schon wieder gebüffelt wird, starten Bayerns Schulen erst am 13. September – und dann werden auch viele Familien aus dem Urlaub zurück sein. Die Befürchtung ist, dass sie nicht nur schöne Erinnerungen im Gepäck haben, sondern auch die Delta-Variante.

Im hohen Norden kann der Freistaat gerade beobachten, was das Ende der Ferien bedeuten kann. Kiel ist mit seinen rund 250 000 Einwohnern die größte Stadt in Schleswig-Holstein. Die Corona-Lage war in den letzten Monaten prima. Im Juli, während der Ferien, meldete Kiel an manchen Tagen gar keine Neuinfektion. Seit 8. August, dem Schulanfang, steigen die Zahlen rapide. Am Freitag lag die 7-Tage-Inzidenz laut dem Robert-Koch-Institut bei 107,4 – der höchste Wert im Lande und seit Langem der erste über der Marke von 100.

Noch hat man in Kiel nicht ganz den Überblick, denn die Nachverfolgung der Infektionsketten ist aufwendig. Deshalb hilft jetzt die Bundeswehr mit zwölf Soldaten. Aber den Kern des Übels glaubt man schon zu kennen.

„Betroffen sind in erster Linie Reiserückkehrer“, sagte Kerstin Graupner, Sprecherin der Stadt Kiel, unserer Zeitung am Freitag. Vor allem Urlauber, die in Spanien und Griechenland waren. Zudem gebe es viele Infektionen von Kielern mit Migrationshintergrund, die in ihren Heimatländern waren. Und es ist die Delta-Variante, die sie mitbringen. „Sie führt vor allem in Großfamilien zu hohen Infektionszahlen“, erklärte Kiels Gesundheitsdezernent Gerwin Stöcken.

In Kiel bleibt man aber ziemlich gelassen. Es werde keine neuen Restriktionen geben, betont Graupner. „Die Inzidenz ist hoch. Aber die positiven Tests betreffen vor allem Jüngere zwischen fünf und 19 Jahren.“ Die Betroffenen seien zwar infiziert, „die meisten haben aber keine Symptome – nicht mal einen Schnupfen. Die Krankenhäuser und Intensivstationen sind leer.“ Nur zwei Menschen lagen laut Graupner am Freitag intensiv – beides seien Patienten mit schweren Vorerkrankungen.

Was die Situation begünstigt: In Kiels Schulen ist die Urlaubswelle bisher nicht angekommen. „Es ist uns gelungen, die Reiserückkehrer sofort zu isolieren, sodass sich das Virus nicht in den Schulen und Kindergärten verbreitet hat“, sagt Graupner. Jens-Peter Meißner, Leiter der Max-Planck-Schule in Kiel, bestätigt: Er habe mit einem Anstieg der Infektionen durch Reiserückkehrer gerechnet, „aber meine Schule ist clean“. Ganz zu Schulbeginn habe es einzelne Fälle gegeben, aber nie hätten sich weitere Schüler angesteckt. Meißner sagt aber auch: „Das ist nur eine Momentaufnahme.“ Das weiß auch Graupner: „Es gibt keine Garantie. Wenn es mal in einer Schule drin ist, geht es schnell.“

Momentan sieht die Stadt keinen Grund, Regeln zu verschärfen. „Wir beobachten das genau, aber wir sind nicht ansatzweise in der gleichen Dramatik wie vor einem halben oder vor einem Jahr“, betont Graupner. Damals war die Inzidenz ähnlich. Der Unterschied: Heute sind fast 65 Prozent der Kieler geimpft, in den Pflegeeinrichtungen, sagt Graupner, habe man „eine hundertprozentige Impfrate“. Und man biete verstärkt niederschwellige Impfangebote an. So kann man sich zum Beispiel vor den Spielen des Zweitligisten Holstein Kiel vor dem Stadionbesuch impfen lassen – ohne Anmeldung.

In Kiel rechnet man damit, dass die Zahlen bald wieder sinken. Der Inzidenz allein will man nicht mehr zu viel Bedeutung beimessen. „Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben“, sagt Graupner. „Eine Inzidenz von über 100 darf nicht mehr den Schrecken haben, den sie teilweise noch auslöst.“ Entscheidend sei, wie viele Menschen schwer erkranken.

Auch in Bayern ist die Corona-Lage in den Kliniken gut. Die Zahl der Normal- und Intensivpatienten sei „auf niedrigem Niveau“, sagt Eduard Fuchshuber, Sprecher der Bayerischen Krankenhausgesellschaft. „Es gibt einen marginalen Anstieg, aber der ist nicht nennenswert. Wir wissen von vielen Krankenhäusern, die ganz frei von Covid-Patienten sind.“ Auch wenn die Zahlen nach den Ferien in Bayern wieder steigen sollten, „sind wir gut vorbereitet“. Von einer Delta-Welle in den Kliniken geht er nicht aus. „Die Delta-Variante ist zwar ansteckender, aber die Patienten, die sich infizieren, haben meistens schwächere Symptome – es kommt vor allem darauf an, ob und wie oft man geimpft ist.“

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