„Die Taliban haben sich viele Anhänger geschaffen“

von Redaktion

INTERVIEW Nahost-Experte Emran Feroz ist überzeugt, dass der Afghanistan-Einsatz die Islamisten eher gestärkt hat

München – Emran Feroz, in Innsbruck geborener Journalist mit afghanischen Wurzeln, zieht in seinem Buch „Der längste Krieg“ (Westend-Verlag) Bilanz über das Versagen des Westens in Afghanistan. Wir haben mit ihm gesprochen.

Werden die verbliebenen Deutschen in Afghanistan nach dem Abzug zu Geiseln der Taliban?

Das kann gut sein. Nicht in dem Sinn, dass sie von Kidnappern in einem Haus festgehalten werden, aber sie werden in diesem Land festgehalten. Als Gegenleistung für die Ausreise könnten die Taliban internationale Anerkennung und Wirtschaftshilfe verlangen.

Die Regierungen in Berlin und USA sagen, immerhin sei der internationale Terror in den zwei Jahrzehnten des Afghanistan-Einsatzes geschwächt worden. Stimmt das wirklich?

Nein. Der Krieg gegen den Terror hat mehr Terror produziert. Die Taliban haben dank der von den USA zurückgelassenen Waffen ein Waffenarsenal wie noch nie, sie sind wohl die am stärksten aufgerüstete militant-islamistische Gruppierung der Welt. Vor 2001 waren die Taliban eine überschaubare Gruppierung mit einigen tausend Mann – heute sind es über 60 000, die zudem eine viel bessere Struktur als früher haben.

Wie steht es mit Al-Kaida?

Die Amerikaner waren in Afghanistan so beschäftigt, dass Al-Kaida weltweit expandieren konnte – im Jemen, Somalia, Syrien… Wenn Osama bin Laden noch leben würde, wäre er sehr glücklich.

Sie prangern in Ihrem Buch an, der Westen setze auf fragwürdige Figuren wie Ex-Geheimdienstchef Amrullah Saleh. Wird das jetzt weitergehen? Schließlich organisiert Saleh den Widerstand im Pandschir-Tal.

Ich denke, dass der Westen jetzt auf den Stärkeren setzen wird: die Taliban. Der Widerstand im Pandschir-Tal ist nicht mehr vergleichbar mit der früheren Nordallianz, die damals von Indien, Russland und dem Iran bewaffnet wurde. Diese Akteure finden wir jetzt aufseiten der Taliban.

Wie sehr hat die Korruption der afghanischen Regierung die Taliban gestärkt?

Es war wohl der größte Fehler des Westens, sich mit all diesen fragwürdigen Führungsfiguren einzulassen. Ex-Präsident Hamid Karsai sagte auf offener Bühne: Bedient euch an den Hilfsgeldern – aber investiert das Geld dann in Afghanistan. Diese Korruption sickerte von oben nach unten durch. Auch einfache Bedienstete gewöhnten sich an diese Korruptionskultur und drangsalierten die Menschen. Amtliche Papiere oder Rechtsurteile gab es nur gegen Schmiergeld. Auf dem Land konnten deshalb staatliche Strukturen von den Taliban übernommen werden, die sich erfolgreich als antikorrupt darstellten. Aber auch die Drohnen-Angriffe der Amerikaner stärkten die Taliban: Wenn die USA eine Hochzeitsgesellschaft bombardierten, hat sich danach kein US- oder Regierungsvertreter für solche „Fehl-Bombardements“ entschuldigt. Dann kamen die Taliban und bezahlten die Beerdigungskosten. So schufen sie sich über 20 Jahre viele Anhänger.

Die Taliban geben sich gemäßigter als vor 20 Jahren. Ist das nur Show?

Ich wage zu bezweifeln, dass sich die grundlegende Ideologie geändert hat. Aber sie wissen, dass die ganze Welt auf sie schaut. Anders als in den 90er-Jahren wollen sie nicht mehr isoliert sein. Und sie sind von internationalen Hilfsgeldern abhängig.

Wird der ewige Bürgerkrieg enden?

Viele Afghanen sind kriegsmüde und wünschen sich, dass irgendeine Seite gewinnt und endlich Ruhe einkehrt. Vor allem die ärmere Bevölkerung sehnt sich nach Sicherheit. Die ist ihnen wichtiger als individuelle Freiheit. Letztlich wird es Frieden dort aber nur geben, wenn ausländische Mächte Afghanistan nicht länger als ihr politisches Schachbrett missbrauchen.

Interview: Klaus Rimpel

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