München – Wer sich Peter Ramsauer als allzeit gut gelaunten Sonnyboy vorstellt, irrt. Von Zeit zu Zeit entwickelt der Ex-Minister außergewöhnlich Lust auf Klartext: Grantige, kantige Sätze des Bundestagsabgeordneten, derweil sich andere wegducken. Jetzt stellt sich der 67-Jährige an die Spitze der Kritiker seines CSU-Chefs – mit einem bemerkenswert ruppigen Interview im „Spiegel“.
„Wir haben das Urvertrauen vieler unserer bürgerlich-liberalen Wähler tief erschüttert“, sagt Ramsauer. Die CSU erlebe eine „Entfremdung“ von den Stammwählern. Er nennt bundesweite Kurswechsel bei Wehrpflicht, Energiewende, Flüchtlingspolitik, dann aber auch eigene Wenden von Markus Söder wie das Bienen-Volksbegehren. Ramsauer hadert auch mit der Corona-Politik. Eine „Dummheit“ sei es, kurz vor der Wahl „ohne Not die Lohnfortzahlung bei einer Corona-Quarantäne für Nicht-Geimpfte zu beenden“. Die treuesten Wähler hätten sich von der CSU abgewendet. „Was an Gift und Groll sich gestaut haben, hat sich nun massiv entladen.“ Der Oberbayer lässt im „Spiegel“ auch wenig Gutes an Generalsekretär Markus Blume, wirft ihm indirekt Fehler vor. Das gipfelt im Satz, Söder habe „aufschlecken müssen, was Blume da hingespuckt hatte“.
Ramsauer und Söder, Zuneigung war das nie. Hinzu kommt, dass auch der Abgeordnete in seinem eigentlich recht konservativen Wahlkreis Traunstein abgewatscht wurde. 36,6 Prozent reichten fürs Direktmandat, sind aber fast 14 Punkte weniger als 2017. Der Klartext soll wohl auch helfen, das eigene Resultat zu erklären.
Dabei schiebt Ramsauer eine Debatte an, die in der CSU schon länger läuft und die Söder gern kleinredet: Kümmert man sich zu wenig um Stammwähler? Parteivize Manfred Weber ist mit dieser Botschaft seit Wochen unterwegs. Der Niederbayer sieht in seiner Heimat, wie viele Konservative zu den Freien Wählern abwandern. Auch aus dem Süden Oberbayerns wird das berichtet. Eine „Abgrenzungsstrategie“ verlangt Weber, vorerst noch recht vage.
Söder hatte zuletzt mehrfache Strategiewechsel hingelegt, eher situativ: gegen Merkels Asyl-Kurs, für Merkels Asyl-Kurs, Hinwendung zu grünen Themen, dann jüngst im Umfragetief doch wieder konservative Stammwähler bedient. Bei seiner Parteitagsrede widmete er sich intensiv der Kernklientel, packte sogar neu das Thema Gendern kritisch und spöttisch an. Um seit Montag wieder zu betonen, der Kurs der Modernisierung – jünger, weiblicher, städtischer – sei richtig. Es stimmt ja: Am Land sind die Freien Wähler größter Konkurrent, in den Städten fließen hunderttausende Stimmen an Grüne und FDP ab. Ein reines Entweder-oder löst dieses Problem nicht.
Dass sich die Union insgesamt neu und konservativer positionieren soll, sagen hingegen andere aus der Parteispitze. Alexander Dobrindt, der Landesgruppenchef, will einen neuen Kurs. Die CSU müsse sich „mehr reinknien beim bürgerlichen Lager“, sagt auch Noch-Minister Andreas Scheuer. Das heißt auch: klarerer Kurs bei der Sicherheit. Jüngst im Vorstand artikulierte das ausgerechnet ein Sozialpolitiker, der Augsburger Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich. Die CSU habe einen Kompetenzverlust in der Sicherheitspolitik erlebt. „Bei allem Respekt vor dem Ehrenvorsitzenden“ Horst Seehofer – „das sollte nicht sein, wenn man den Bundesinnenminister stellt“.
Andere fordern von Söder mehr Teamspiel und weniger Vorpreschen ein. „,One man‘ ist out“, sagte Ex-Parteichef Erwin Huber unserer Zeitung. Landtagspräsidentin Ilse Aigner tat intern kund, die CSU müsse ihre „Debattenkultur wieder aufbauen“.
Söder hat nun eine wissenschaftliche Analyse für die Wahlklatsche angekündigt, er will sich Zeit nehmen, verspricht er. Das war allerdings bisher nach jedem CSU-Tief zu hören, oft folgenlos. Auch Regionalkonferenzen mit der Basis soll es wieder geben. Am Ende steht wohl eine Zeitfrage: Söder soll in Berlin ein superkompliziertes Bündnis mit aushandeln, manche träumen von ihm selbst als Kanzler, die Koalition in München bebt und hat etliche ungelöste Vorhaben, die Partei ist unruhig – für eine Kursdebatte kein günstiger Zeitpunkt. C. DEUTSCHLÄNDER