Laschet kämpft gegen den Untergang

von Redaktion

VON J. BLANK, A. HOENIG, C. DEUTSCHLÄNDER UND S. HORSCH

Berlin/München – Es ist nicht schön, das über sich zu lesen. „Peinlicher Realitätsverweigerer“, „klarer Wahlverlierer“, steht am Dienstag über Armin Laschet in den Zeitungen. „Wer sagt ihm“, schreibt ein Kommentator, „dass es vorbei ist?“ Am Tag zwei nach dem historischen Unionsdesaster ist die Kommentarlage für den CDU-Chef katastrophal. Laschet, der Bergmannssohn von großer Standfestigkeit und manchmal unbekümmertem Auftreten, kann mit schlechter Presse umgehen. Doch selbst in der eigenen Parteispitze heißt es zur Frage, ob sich der angezählte Kandidat noch ins Kanzleramt retten kann: „Das wird sehr, sehr schwer.“

In der Union ist seit dem Wahlabend einiges ins Rutschen gekommen. Von Stunde zu Stunde wird das Ausmaß der Niederlage deutlicher – die Hoffnung aufs Regieren sinkt. Immer mehr führende CDU-Politiker feuern Querschüsse auf Laschet. Offene und verdeckte Rücktrittsforderungen, oder auch nur der Hinweis, die Union habe null Anspruch mehr, die Regierung zu stellen.

Niedersachsens CDU-Chef Bernd Althusmann verlangt: „Wir sollten jetzt demütig und respektvoll den Wählerwillen annehmen, mit Anstand und Haltung. Es war Veränderung gewollt.“ Sogar Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier, Unterstützer Laschets, unterstreicht: „Wir haben keinen Anspruch auf Regierungsverantwortung.“ Junge-Union-Chef Tilman Kuban sagt: „Wir haben die Wahl verloren. Punkt.“ Der klare Auftrag liege bei SPD, Grünen und FDP.

Es wirkt, als entgleite Laschet in dieser fragilen Lage die Kontrolle über seine CDU, jedenfalls über die neu gewählte Fraktion. Er scheitert am Montag und Dienstag mit dem Plan, die Abgeordneten nach seinem Gusto aufzustellen. Ein selbstbewusster, mächtiger Parteichef hätte für die Zeit möglicher Koalitionsverhandlungen den Fraktionsvorsitz für sich beansprucht. Laschet versucht das gar nicht erst, überlässt Amtsinhaber Ralph Brinkhaus vorerst das Amt. Mit einer Bitte: Brinkhaus solle sich nur kommissarisch zur Wahl stellen, für ein paar Wochen.

Genau das macht der Fraktionschef aber nicht mit, reagiert empört, ein Jahr Minimum muss seine Amtszeit sein. In der CDU bricht daraufhin hektisches Verhandeln aus. Vor der Sitzung am Dienstagabend droht sogar eine Kampfkandidatur, eine politische Feldschlacht. Auch Jens Spahn, Friedrich Merz und Norbert Röttgen liebäugeln mit einer Kandidatur. Würde die CDU/CSU bei Bildung einer Ampel-Koalition in der Opposition landen, wäre der Fraktionschef automatisch Oppositionsführer. Mit Aussichten, bei der Wahl 2025 durchzustarten.

Chaos im eigenen Laden – fatal für Laschet. Er will keinen ewigen Brinkhaus, noch weniger aber Spahn/Merz/Röttgen als mächtigen neuen Fraktionschef im Nacken. Hinter den Kulissen sondiert er deshalb eifrig Kompromisse, schachert um jeden Monat mit Brinkhaus. Für ein halbes Jahr wählen ist sein Kompromiss-Angebot – am Ende kommt es zumindest so ähnlich. Brinkhaus wird als Fraktionschef bis Ende April 2022 bestätigt – für sieben Monate also. 164 von 195 Abgeordneten stimmen dafür.

Laschet kann damit vorerst sein Gesicht wahren. Doch dass er mit seinem eigentlichen Plan nicht durchkommt, liegt auch daran, dass die CSU eine Option früh durchkreuzt: vertagt wird nicht, gewählt werden muss noch am Abend, und das nicht nur für ein paar Wochen kommissarisch.

Das ist keine nette Geste der CSU gegenüber Laschet. Zumal ihn die Christsozialen belehren, man müsse doch sofort beim Konstituieren einer Fraktion „Ordnung“ herstellen, alles andere sei ein „Folgefehler“. Die CSU selbst geht da voran, zumindest personell. Alexander Dobrindt lässt sich zügig als Chef seiner 45 Abgeordneten wiederwählen, 39 Ja-Stimmen. In der neuen Unionsfraktion erklären sich die Bayern zum Stabilitätsfaktor, sie stellen nun ein Viertel der Abgeordneten, bisher war es nur ein Fünftel. Dobrindt will das Tempo in der Union vorgeben. Auch er bremst: „Der erste Auftrag zur Bildung einer Regierung ist an die SPD gegangen“, sagt er vor seinen Abgeordneten. Und stellt klar: Grüne und FDP werden als Erstes mit der SPD über die Ampel sprechen – und, wenn das scheitern sollte, erst später mit der Union über Jamaika. Aber natürlich sei man gesprächsbereit, heißt es am Abend noch.

Laschet geht weiter. Er glaubt fest an ein Bündnis mit Grünen und FDP. „Gebt das nicht so schnell auf mit Jamaika“, ruft er am Abend den Abgeordneten zu. Es gebe starke Signale von der FDP in Richtung Union. Und davon, dass nur Scholz das Anrecht habe, eine Regierungsmehrheit zu basteln, will er nichts wissen. „Wir werden jetzt in den nächsten Tagen mit FDP, mit Grünen sprechen.“

Klar ist: Die CSU hat Zeit, Laschet läuft die Zeit davon, die Kritik an ihm wächst jeden Tag. Auch aus der Fraktion kommen am Dienstag halboffene Rücktrittsforderungen – Laschet entschuldigt sich für Fehler im Wahlkampf. Er kämpft ums politische Überleben, die CSU verfolgt das gelassen. Aus ihrer Sicht kann Jamaika sein, muss aber nicht. Schon gar nicht muss es unter Laschet sein.

Am Dienstag schwirren sogar wieder die Meldungen durch Berlin, in der CDU gebe es Bestrebungen, Markus Söder noch zum Kanzlerkandidaten zu machen. Unterstützer dürften mehrere Abgeordnete sein, die schon im April lieber ihn als Laschet ins Rennen geschickt hätten. Laut mag es noch keiner aussprechen. In der Union heißt es stattdessen, hätte Söder im Wahlkampf klarer Laschet unterstützt, wäre seine Position jetzt besser. Der „Kandidat der Herzen“ sei nach seinen Sticheleien „inzwischen eher Landesfürst der Finsternis“, verbreitet ein Kenner der Berliner Szene.

Der CSU-Chef genießt die Gerüchte und macht sich darüber lustig. „Die ganzen Meldungen zeigen sehr große Nervosität“, erklärt er vor Journalisten in Berlin. Auf Nachfragen, ob sein Platz in Bayern sei, weicht er wortreich aus. Als Parteichef sei jetzt seine Aufgabe, mögliche Sondierungsgespräche zu begleiten. „Alles andere ist eine Spekulation.“ Lieber sendet er noch einen Gruß an Laschet, indem er dessen Gegenkandidaten ausdrücklich zum Sieg gratuliert: „Die beste Chance, Kanzler zu werden, hat Olaf Scholz.“

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