München – Vielleicht ist es bezeichnend, dass sein Tod Bayern beinahe in den Abgrund gerissen hätte. Die ganze Ära Ludwig III., der erst 1912 im zarten Alter von 67 Jahren die Regentschaft übernehmen konnte und ein Jahr später König wurde, ist überschattet von dramatischen Ereignissen, auf die der Renten-Regent kaum Einfluss nehmen konnte. Weltkrieg, Revolution, bürgerkriegsähnliche Zustände im Bayernland – und mittendrin ein König, der dabei eher am Rande stand. Die Urteile von Historikern über ihn sind nicht vorteilhaft. „Er hatte nicht die verbindliche und liebenswürdige Art seines Vaters Luitpold“, sagt die Historikerin Katharina Weigand. Luitpold hat einer ganzen Epoche den Stempel aufgedrückt – der Prinzregentenzeit. Ludwig dagegen nannte man wegen seiner schlecht sitzenden Hosen den „Vielfältigen“. Wesentlich konservativer als sein Vater sei er gewesen, sagt Weigand.
Technik, Tiermedizin und Landwirtschaft waren seine Interessen – „Millibauer“ war der Spitzname für den auf einem Hofgut am Starnberger See lebenden Regenten. Die Königin hatte den kaum weniger despektierlichen Namen „Topfenreserl“.
Ludwig III. war es nicht vergönnt, sich wie seine Vorgänger durch ein Schloss oder andere spektakuläre Bauten zu verewigen. Gewisse Verdienste erwarb er als Förderer des Deutschen Museums in München. Doch auch dieses Haus ist heute eher mit dem eigentlichen Schöpfer Oskar von Miller verbunden.
Der Erste Weltkrieg hätte der Beginn eines Imagewechsels sein können. Doch nachdem er sich anfangs durchaus nicht ungeschickt als moderner Volkskönig inszeniert hatte, mit Landesreisen und Bildpostkarten, führte er sich als Politiker in die deutsche Kriegszieldiskussion denkbar unglücklich ein. 1915 machte er in einer Rede keinen Hehl daraus, „mit unseren Feinden Abrechnung“ zu halten und forderte ganz Elsass-Lothringen für Bayern.
Der Annexionist Ludwig III., der mitten im Krieg eine pompöse fünftägige Goldene Hochzeit für seine Gattin Marie Therese ausrichtete, war also vielleicht der schwächste König, den Bayern hatte. 1918 durch die Revolution hinweggefegt, hoffte er in seinen letzten Lebensjahren auf Schloss Wildenwart bei Frasdorf auf eine Rückkehr auf den Thron – „bis zum Lebensende“, wie der Historiker Stefan März schreibt. Dieses Ende nahte am 28. September 1921, als der entthronte Ludwig III. nach Sárvár in der ungarischen Tiefebene reiste, wo die Wittelsbacher Besitzungen hatten. „Bereits seit einem Jahr hatte er mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen“, schreibt der Historiker März. „Magenkrebs wurde diagnostiziert, später wurde dies widerrufen.“ Sein Gesundheitszustand verschlimmerte sich rapide. Am Nachmittag des 18. Oktober 1921 verstarb Ludwig an Herzversagen und Magenblutungen.
Die Nachricht von seinem Tod heizte in Bayern Spekulationen über eine Rückkehr Bayerns zur Monarchie an. Man erinnert sich: 1921 war ein politisch aufgewühltes Jahr. In München wurde ein Politiker auf offener Straße erschossen, der Mord an Ex-Reichsfinanzminister Erzberger im Schwarzwald brachte die junge Weimarer Demokratie ins Wanken.
In dieser Situation schien ein Putsch von rechts nicht ausgeschlossen. Der erst vor einem Monat ins Amt gelangte Ministerpräsident Hugo Graf von Lerchenfeld (BVP) rang seinem Amtsvorgänger Gustav von Kahr, nun Regierungspräsident von Oberbayern und mit der Organisation des Begräbnisses betraut, ein Versprechen ab: Kahr dürfe aus Anlass der Beisetzung von Ludwig III. und der drei Jahre zuvor verstorbenen Marie Therese keinen Staatsstreich in Gang setzen. Dennoch: „Im Umkreis des Korps Oberland und anderer national-völkischer Kreise wurden Gerüchte über einen Putsch lanciert“, schreibt der Historiker Dieter Weiß.
Der Münchner Kardinal Michael von Faulhaber hat mit feiner Sensorik die Stimmung jener Tage festgehalten – auch die Doppelmoral und den Gratis-Mut mancher hochgestellter Persönlichkeit, die sich beim Begräbnis vor lauter Königsanhimmelei nicht mehr einkriegte, in der Revolution 1918 aber gekniffen hatte. Faulhaber hielt damals die Trauerrede auf das Königspaar, die in eine Abrechnung mit der Revolution mündete. „Wo das Volk sein eigner König ist“, predigte Faulhaber, „wird es aber kurz oder lang auch sein eigener Totenredner.“
Faulhaber wäre einen Königsputsch wohl mitgegangen, jedenfalls bestand bei ihm eine gewisse Erwartungshaltung. Das geht auch aus seinen Tagebüchern hervor, die das Institut für Zeitgeschichte zusammen mit dem Münsteraner Lehrstuhl für Kirchengeschichte ediert. Die Einträge für die Tage der Beisetzung am 4. und 5. November 1921 sind noch nicht veröffentlicht, liegen unserer Zeitung aber exklusiv vor.
Am 4. November 1921 hielt Faulhaber verächtlich fest: „Die Einfahrt des Zuges ist sehr erschütternd, wenn man seinen (des Königs – Anmerkung der Redaktion) Weggang vor drei Jahren überdachte. Damals hat keiner die Hand für ihn gereicht und jetzt stehen sie da mit den Pickelhauben und Orden und legen die Hand an den Helm und ziehen die Degen.“
Ausführlich beschrieb Faulhaber am 5. November die Beisetzungszeremonie im Frauendom. Alle warteten auf ein Zeichen von Prinzregent Rupprecht, dem ältesten Sohn von Ludwig III.. Er hätte wohl nur laut Ja sagen müssen – dann hätten Militärs und Regierungskreise ihn zum König gekürt. Allein: Das Zeichen blieb aus, wie auch Faulhaber beobachtete. Im Tagebuch schrieb er: „Kronprinz Rupprecht hat bei den Bischöfen ungeheuer zu seinen Gunsten heute gewonnen. Am Schluss ging er aber absichtlich nicht zum Hauptportal hinaus (um sich von der Menge ja nicht in spontaner Begeisterung aufs Schild heben zu lassen – Anmerkung der Redaktion), sondern zur Sakristei.“
Rupprecht war viel zu schlau, um sich auf das Abenteuer eines Königsputsches einzulassen. Ein Königreich als Insel inmitten ansonsten republikanisch regierter Bundesstaaten – das wäre auch kaum denkbar gewesen. „Es widerstrebte ihm, den Tod des Vaters zu einem Gewaltstreich auszunützen“, schreibt Historiker Weiß. Und ein Separatist war Rupprecht auch nicht.
So verpuffte die Anspannung jener Novembertage. Bayern blieb ein Freistaat, das Königreich Geschichte. Ludwig III. aber wurde in der Frauenkirche, sein Herz, nach Sitte der Wittelsbacher herausgetrennt, in Altötting beigesetzt.