München – „Ich weiß es nicht“, hat Gerhard Polt einmal der vorgeblich klügsten Tageszeitung Deutschlands erklärt, als der Redakteur wissen wollte, was das Geheimnis seines Humors ist. Der Journalist wollte witziger sein als Polt und fragte nach: „Weshalb wissen Sie es nicht?“ Polt gab die einzig vernünftige Antwort und sagte: „Ich weiß es nicht.“
Gelacht haben die Menschen schon das allererste Mal, als Gerhard Polt 1975 eine Bühne betreten hat. Warum sie damals so gelacht haben, in der „Kleinen Freiheit“ in München, das konnten sie wahrscheinlich gar nicht so genau sagen. Und seitdem hat sich im Grunde kaum etwas verändert – die Menschen lachen, wissen aber nicht so recht zu beschreiben, was sie da so komisch finden an diesem Polt. Er stellt oft unsympathische Figuren dar, zerrt erbarmungslos Kleingeistigkeit, Verklemmtheit, Ressentiments ans Licht und zeigt uns, wie wir sind, also ziemlich furchtbar. Und die Menschen? Schmeißen sich weg vor Lachen.
Der Bayerische Rundfunk, 1979 offenbar wagemutiger als heute, traute sich, diesem Anarchisten eine Reihe anzuvertrauen. „Fast wia im richtigen Leben“ ist auch nach Jahrzehnten ein Meisterstück des Abgründigen, das hinter der scheinbaren Normalität des Alltags lauert. Lauter freundliche Biedermänner sind da zu sehen, die zum Teil furchtbarste Dinge von sich geben. Auch heute noch ist das gültig, zeitlos gespielt, ohne jede moralische Erhöhung.
Er habe eigentlich nie etwas erfunden, meinte Polt einmal, sondern einfach immer nur zugehört und mitgeschrieben. Sein Blick für die Essenz von Figuren, die Tragik auch jener, die man nicht leiden kann, der ist bei Polt so ausgeprägt wie sonst keinem in Bayern. Denn selbstverständlich funktioniert das, was Polt da treibt, nur im bayerischen Kontext, auch wenn er einmal sehr erfolgreich seine Sketche in Schweden in der Landessprache vorgeführt hat.
Ein Geheimnis von Polt war nicht zuletzt Gisela Schneeberger, seine kongeniale Partnerin in „Fast wia im richtigen Leben“ und vor allem im grandiosen Anti-Faschings-Epos „Kehraus“. Polts lakonische, zurückgenommene Art hat nicht zuletzt durch Schneebergers virtuoses, impulsives Spiel gewirkt und er hat sie machen lassen, wie sie es für richtig hielt. Das Markenzeichen großer Könner: andere Könner zulassen. Und natürlich imponierte den Bayern die Furchtlosigkeit, mit der Polt sich anlegte mit den damals noch Großkopferten der Politik.
Fernsehgeschichte geschrieben hat die Preisübergabe des Kleinkunstpreises, als das übertragende ZDF (ja, das Öffentlich-Rechtliche hat so was tatsächlich mal gemacht) ihm vorgab, nichts über den damaligen Innenminister Friedrich Zimmermann zu sagen. Ohne in die Feinheiten einzusteigen: es ging um Meineide des Politikers, die Polt satirisch aufgegriffen hatte. Polt trat also auf die Bühne und sagte tatsächlich nichts über Zimmermann. Sonst aber auch nichts. Nur gelegentlich wies er darauf hin, dass er noch eine bestimmte Anzahl von Sendeminuten überbrücken müsse. Jeder wusste Bescheid. Keine Kabarettnummer hätte stärker wirken können – und das ZDF stand als die Hasenfuß-Anstalt da, die sie ja auch war.
Lustig war das freilich nicht alleine, weil Polt das Spiel nicht mitspielen mochte, sondern weil man ihm anmerkte, dass ihm mögliche Konsequenzen herzlich egal waren. Haltung kann man nur eine sehr begrenzte Zeit über simulieren. Und das erklärt vielleicht auch den sehr lang anhaltenden Erfolg von Polt: Er strebt ihn nicht an. Er tritt auf und bietet an. Wenn es läuft, ist es gut, wenn nicht, macht er eben etwas anderes. Er hat ja auch einige Flops gelandet, als er ohne seinen langjährigen Regisseur Hans Christian Müller weiter Kinofilme drehte – sie liefen nicht.
Aber Polt hat sich deswegen keine grauen Haare wachsen lassen oder mit dem Publikumsgeschmack gehadert. Es ist überhaupt die Frage, ob er sich selber als das sieht, als das ihn das Publikum wahrnimmt: Kabarettist, Schauspieler, Autor. Gerhard Polt scheint in erster Linie einfach Gerhard Polt zu sein und am liebsten zu wohnen, wie er der bereits oben erwähnten Edelzeitung erläuterte. Und das ist in aller Einfachheit und totaler Grandezza das Mysterium des Gerhard Polt: er ist er und gleichzeitig eine Kunstfigur. Ob es eine Trennlinie gibt und wo die verläuft, weiß nur Polt, und das macht die Faszination aus. Er will nicht komisch sein, er beschreibt die Welt, wie er sie sieht – und wir lachen darüber. Manchmal wider besseres Wissen. Und das wiederum weiß Gerhard Polt sehr wohl. ZORAN GOJIC