Berlin – 450 Tonnen wiegt der Koloss, der in 400 Kilometern Höhe um die Erde kreist. Die Internationale Raumstation, kurz ISS, ist das teuerste und größte von Menschenhand geschaffene Objekt im All. Weit über 100 Milliarden Dollar sind nach Schätzungen in das Projekt geflossen, die US-Raumfahrtagentur Nasa macht dazu keine Angaben. Die ISS wird in Kooperation von 16 Staaten betrieben. Deutschland kostet der Unterhalt 160 Millionen Euro jährlich, bei geschätzten Gesamtkosten der Station von bis zu sechs Milliarden Dollar pro Jahr. Für die Astronauten ist die Station kein Luxushotel. Das Leben dort bringt allerlei Verrücktheiten mit sich. Eine Auswahl von Kuriositäten.
Schwerelosigkeit
Auf der ISS ist die Anziehungskraft der Erde noch fast so groß wie auf der Erde. Der Grund für die Schwerelosigkeit an Bord ist nicht die Höhe, sondern dass die ISS eigentlich nicht fliegt, sondern dauernd fällt – in einem großen Kreis um die Erde herum.
Muffelig und laut
Luftaustausch findet in der Schwerelosigkeit nur statt, wenn man ihn durch Ventilatoren herstellt – entsprechend viele gibt es in der ISS. Hinzu kommen Pumpen, Kompressoren und Bordelektronik. Damit ist es etwa so laut wie an einer stark befahrenen Straße. Und es muffelt – nach den Ausgasungen der Geräte, Astronauten und Abfall, der zwar möglichst hermetisch isoliert, aber nur alle paar Monate entsorgt wird. Der Weltraum wiederum, so beschreibt es der US-Astronaut Scott Kelly, rieche nach verbranntem Metall, so als ob was geschweißt werde.
Ständig auf der Suche
In der Schwerelosigkeit geht nach Erzählungen von Astronauten sehr schnell mal etwas verloren, das nur kurz in der Schwerelosigkeit „abgestellt“ wurde. „Die Raumstation ist so voll mit Ausrüstung, das versteckt sich da irgendwo und zwei Tage später findet man’s“, erzählte der deutsche Astronaut Alexander Gerst. „Bringt einen dann auch nicht mehr weiter, wenn es der Kaffee war.“
Die Uhr tickt langsamer
Fachleute nennen den auf Einsteins Relativitätstheorie zurückgehenden Effekt Zwillingsparadoxon. Bei der ISS gibt es ein reales Beispiel: Der US-Astronaut Scott Kelly verbrachte fast ein ganzes Jahr auf der ISS, sein Zwillingsbruder blieb am Boden. Dem Gedankenexperiment zufolge durchlebte Scott Kelly bei seiner Bewegung durchs All Bruchteile von Sekunden weniger als sein Bruder Mark auf der Erde.
Verbeulte ISS
Die ISS ist kein Hochglanzraumschiff, sondern sieht eher wie eine ramponierte Konservendose aus. Auf die Station prasseln Mikrometeoriten und winziger Weltraumschrott, entsprechend zerdellt ist ihre Oberfläche. Größeren Teilen weicht die Station gezielt aus.
Teebeutel gegen Lecks
Lecks in der ISS-Außenhülle sind gefährlich. Um sie zu finden, sind die Astronauten erfinderisch. Erst vergangenes Jahr ließen die Astronauten einen Teebeutel steigen, um ein Leck aufzuspüren. In der Schwerelosigkeit schwebte er zu der undichten Stelle.
Der Pinkel-Brauch
Bevor Raumfahrer in Kasachstan in die Rakete klettern, zelebrieren sie Riten der russischen Raumfahrt – und pinkeln auf dem Weg zur Startrampe angeblich an den Reifen des Busses. Das soll auf den Raumfahrtpionier Juri Gagarin zurückgehen, der vor dem ersten Flug am russischen Weltraumbahnhof Baikonur schnell noch Wasser lassen musste.
Dauerschnupfen
Auf der Erde fließt die Flüssigkeit der Nasenschleimhäute meist unbemerkt und automatisch in den Rachen – nicht so in der Schwerelosigkeit. Zudem verlagert sich das Wasser in den Organen, die Nasenschleimhäute schwellen an. Betroffen ist nicht nur die Nase: Das ganze Gesicht ist aufgedunsen – die Beine hingegen sind dünner.
Leckeres Ekel-Wasser
Weil es zu teuer wäre, ständig Wasser zur Raumstation zu schicken, müssen Astronauten und Kosmonauten aufbereitetes Wasser trinken – aus recyceltem Urin und Schweiß der Besatzung. Schmeckt angeblich genauso wie frisches Wasser auf der Erde.
Gefährlicher Helm
Bei einem Außeneinsatz des Italieners Luca Parmitano sammelte sich immer mehr Wasser in seinem Helm. Er konnte kaum noch sehen und hören, schaffte es aber noch knapp in die Station zurück.
Schwebe-Vorlieben
Astronauten schweben nicht waagerecht, sondern meist senkrecht. Seitlich durch die Station zu schweben sei viel angenehmer als mit dem Kopf voraus, erklärte der Astronaut Alexander Gerst. So erkennt man auch die Erfahrung eines Astronauten. „Alte Hasen schweben vertikal, Neulinge horizontal.“
Glühende Unterhosen
Astronauten ziehen nur alle zwei bis drei Tage eine neue Unterhose an. Socken, Hosen und T-Shirts werden länger getragen. Es gibt keine Weltraumwaschmaschine, Sparsamkeit ist Pflicht. Matthias Maurer nimmt für seine sechsmonatige Mission nur sechs Hosen mit. Ein T-Shirt trägt er eine Woche lang – und eine weitere Woche zum Sport. Die gebrauchte Wäsche wird mit Müll sowie vakuumgetrockneten Fäkalien in Kapseln zum Absturz gebracht und verglüht dabei. Nicht jede Sternschnuppe ist also wirklich romantisch.
Mit Windel ins Weltall
Bei Weltraum-Ausflügen ziehen Astronauten sich unter den Raumanzug eine besonders saugstarke Windel an. Bei den oft viele Stunden dauernden Einsätzen ist ein Gang aufs Klo ausgeschlossen. Auch beim Flug zur ISS mit der Sojus tragen Astro- und Kosmonauten eine Windel unterm Raumanzug, unter anderem wegen der Druckbelastung beim Start.
Der teuerste Kaffee
„ISSpresso“ heißt das Gerät, das die italienische Astronautin Samantha Cristoforetti aufstellte und testete. Die Maschine kostete mehr als eine Million Dollar – aber an Bord gab es aber nur zehn Päckchen Espresso. Jedes Tässchen war umgerechnet also verdammt teuer.
Zwei-Stunden-Kekse
Auf der ISS wurden schon Kekse gebacken. Die Schokoladenkekse im ISS-Backofen brauchten deutlich länger als auf der Erde – über zwei Stunden. Zum Essen waren die ersten fünf Kekse der ISS aber nicht – an ihnen wurde auf der Erde weiter geforscht.
Tests am Menschen
Jedes ISS-Crewmitglied ist auch selbst Versuchskaninchen. Forschende wollen erkunden, welche gesundheitlichen Probleme bei Reisen in den Weltraum auftreten und wie sie zu behandeln sind. Typisch sind etwa Muskelschwund, Augenschäden und verringerte Knochendichte. Zudem haben ISS-Astronauten eine Körpertemperatur von etwa 38 Grad, also eine Art Dauerfieber. Bei sportlicher Aktivität steigt die Temperatur sogar häufig auf mehr als 40 Grad, weil der Körper überschüssige Hitze in der Schwerelosigkeit kaum loswerden kann.
Der Klammer-Tick
Astronauten klammern sich in der Schwerelosigkeit an allem fest, erklärte der Astronaut Alexander Gerst einmal. Auf der ISS schwebe sonst alles weg. „Wenn man einen Stift in der Hand hat, eine Schere und ein Tape, dann steckt man sich die zwischen die Finger – und daran gewöhnt man sich.“ Diese Gewohnheit bleibt nach der Rückkehr zur Erde noch eine Weile. „Daran kann man Astronauten erkennen: Sie sitzen da mit zwei Stiften, einem Löffel und dem Kaffeebecher in der Hand, weil sie nicht gewohnt sind, dass sie etwas mal hinstellen können.“ CHR. THIELE & A. STEIN