Ludwig III., Lieblingskönig der Ungarn

von Redaktion

VON DIRK WALTER

München – Der ungarische Minister weiß, was sich in Adelskreisen gehört: „Sehr geehrte Königliche Hoheit“, beginnt Gergely Gulyás, ein Abgesandter der Orbán-Regierung, seine auf Deutsch gehaltene Ansprache im Münchner Künstlerhaus. Er schaut auf Luitpold von Bayern, dem so eine Anrede wahrscheinlich eher unangenehm ist, und fährt dann mit einem längeren historischen Exkurs fort: Zwischen Bayern und Ungarn gebe es ganz besondere Beziehungen, „die über die täglichen Meinungsverschiedenheiten hinausgehen“. Das liege vor allem an den Wittelsbachern, die „fest in der Erinnerungskultur verankert“ seien.

Wittelsbach und Ungarn – das ist eine besondere Beziehung. Vor 100 Jahren starb Bayerns letzter König Ludwig III. auf dem Burgschloss Sárvár an multiplen Leiden. In Ungarn, so scheint’s, war die Trauer damals fast noch größer als im heimischen Bayern, das den Monarchen drei Jahre zuvor mit Schimpf und Schande verjagt hatte.

Im Münchner Künstlerhaus richtete das ungarische Konsulat am Donnerstag einen Festabend aus. Das muss man festhalten: Nicht der bayerische Staat ehrt postum den despektierlich „Millibauer“ genannten Ludwig III., sondern der ungarische Staat. Er schickt nicht nur einen Minister der regierenden Fidesz-Partei, sondern auch den ungarischen Botschafter. Ein Streichorchester intoniert volkstümliche Weisen aus dem Karpatenbecken. Mit Wein und Häppchen wandeln 150 Gäste durch eine kleine Ausstellung, die an Ludwigs Zeit auf Sárvár erinnert. Das ist nur ein Vorgeschmack: Im November wird das Magyar Nemzeti Múzeum, das Ungarische Nationalmuseum Budapest, eine große Ausstellung über Sisi, die Wittelsbacher und deren Liebe zu Ungarn eröffnen.

Am Donnerstag ist beim Festabend Gabriela von Habsburg, Tochter von Otto von Habsburg, unter den Besuchern, ferner der Präsident des Bundes der Vertriebenen, Bernd Fabritius, und Johannes Singhammer, ehemaliger Bundestagsabgeordneter der CSU, der in Berlin, so erzählt man sich, immer ein besonders offenes Ohr für die Anliegen der Ungarn hatte – Orbán hin oder her. Der bayerische Staat schickt – immerhin – seine Europaministerin Melanie Huml, die Ludwig III. als „fortschrittlichen Monarchen, der geeignet gewesen wäre, Bayern in die Moderne zu führen“, verklärt.

Das ist nahe an der Geschichtsklitterung – Ludwig war im Ersten Weltkrieg ein fanatischer Annexionist, die revolutionäre Unruhe 1918 in Bayern hat er glatt verschlafen –, dient aber einem guten Zweck: der bayerisch-ungarischen Freundschaft, die ja weiter gedeihen soll, auch wenn sich Ungarn international gerade als Paria-Staat gedemütigt fühlt. In der Nazizeit bot Ungarn den Wittelsbachern Schutz und Zuflucht. Später, unter den Kommunisten, flohen viele Ungarn nach Bayern. 1989 öffnete Ungarn den Eisernen Vorhang. „Ich finde, wir sollten nicht vergessen, was Ungarn geleistet hat“, sagt Huml und erntet starken Applaus.

Bei Ludwig III. könnte man sagen, er war ein halber Ungar. Wahrscheinlich kennt fast niemand besser die Geschichte als Gerhard Immler, der Leiter des Geheimen Hausarchivs der Wittelsbacher, die in dem Archivbau an der Ludwigstraße ihre Unterlagen verwahren. Immler also inspiziert die auf Staffeleien aufgebaute Fotoausstellung und erklärt. Es war um das Jahr 1850, da erbte eine erst einjährige Prinzessin eine heruntergekommene ungarische Burganlage: Marie Therese von Österreich-Este (1849-1919), die später Gattin von Ludwig werden sollte, hatte die Besitzung in die Ehe eingebracht. Ihr früh verstorbener Vater hatte als Vormund seinen älteren Bruder Herzog Franz V. von Modena eingesetzt, der das Schlossgut verwaltete, sich aber nicht richtig kümmerte. Erst als Franz 1875 starb, hatte Marie Therese freie Hand über Sárvár. Sie war da schon 26 Jahre alt. Es war wahrscheinlich ein Glücksfall, sagt Immler, dass sie mit Ludwig einen an Landwirtschaft interessierten Ehemann gefunden hatte. „Das war ja alles heruntergewirtschaftet.“

Man sieht also Fotos von Ludwig III. auf weitläufigen Feldern, stattliche Ochsen, Bedienstete in traditioneller ungarischer Tracht. Und Pferde, immer wieder Pferde. Die Wittelsbacher kümmerten sich um eine besondere Halbblut-Rasse („Furioso North-Star“), die ins heimische Landgut Leutstetten am Starnberger See exportiert wurde. Ein weiser Zug: Denn unter den Kommunisten war lange Zeit nicht mehr viel mit der Pferdezucht. 1983 aber spendeten die Wittelsbacher die Hälfte ihrer Herde, sodass auch in Ungarn wieder „Furioso North-Star“ gedieh.

Selbst Immler weiß nicht, wie oft der spätere Ludwig III., der ja erst nach dem Tod des Prinzregenten 1912 Herrscher über Bayern und ein Jahr später König wurde, sich in Ungarn aufgehalten hat. Oft jedenfalls, sehr oft. Er liebte das Land, unternahm Reisen. Immer wenn er auf dem kleinen Bahnhof ankam, wehte die bayerische Fahne auf der zum Gut umgebauten Burg. Saatgut-Vermehrung, Molkerei, Käseherstellung – Ackerbau und Viehzucht, das war seins.

Immler studiert die Bildunterschriften. „Die Handschrift kenne ich sofort“, sagt er. Es ist die von Maria Therese, die die Bilder offenbar selbst in Alben klebte und beschriftete. Ein grau-melierter Herr stößt beim Rundgang dazu. „Ich bin Prinz Wolfgang“, stellt er sich vor. Wolfgang von Bayern erzählt, dass er noch etliche Fotoalben über die Zeit in Sárvár zu Hause hat. Sein Vater Rasso (1926-2011), ein Bruder von Kronprinz Rupprecht, lebte schon als Schulkind seit 1933 dort – damals floh ein Teil der Wittelsbacher Familie vor den Nationalsozialisten. Die Folge war, dass einige Wittelsbacher fließend auf Ungarisch parlieren konnten.

Die Wittelsbacher sind „Bindeglieder zwischen Ungarn und Bayern“, sagt der Münchner Generalkonsul Gábor Tordai-Lejkó. „Ungarn war schon immer stolz auf diese Beziehung.“ Allerdings: Ob das so bleibt, ist ungewiss. Schloss Sárvár gehört heute dem ungarischen Staat. Ihre letzten Besitztümer – 1945 vor der Flucht hastig im Keller eingemauert – haben die Wittelsbacher in diesem Jahr versteigert. Nennenswerte Immobilien haben sie in Ungarn heute nicht mehr. Statt den Wittelsbachern dominiert heute BMW als bayerischer Vorposten – der Konzern hat im ostungarischen Debrecen eine Autofabrik hochgezogen. Die Wittelsbacher haben kein Interesse zurückzukehren, Ungarisch werde in der Familie nicht mehr gepflegt, gesteht Wolfgang von Bayern. „Ich kann nur noch ein paar Schimpfwörter.“

100. Todestag

Die Online-Ausstellung „Erstes Hemd und letzter Wille“ des Bayerischen Hauptstaatsarchivs zeigt vielfältige Zeugnisse aus dem Leben von Ludwig III. www.gda.bayern.de

Artikel 2 von 4