München – Dass die Lage ernst ist, dämmert manchem Minister wohl erst, als sich die Klinikchefs zuschalten. In klaren Worten warnen Ärzte und Chefärzte aus München und Südostbayern, dass ihre Intensivstationen überlaufen. Sie berichten von überlasteten Medizinern, sie erzählen, wie frustrierte Pfleger auf renitente Ungeimpfte prallen, wie sich ganze Familienclans weigern, vor der Intensivstation Maske zu tragen. Der Frontbericht, per Videostream in die Kabinettssitzung geschaltet, sorgt dann doch für einen Ruck. Oder zumindest ein Rückchen.
Zum ersten Mal seit Monaten verschärft die Staatsregierung spürbar die Corona-Regeln. Vorausgegangen war langes Zögern: ein bisschen Hoffen, es werde heuer im Herbst dank Impfung nur halb so wild; ein wenig Widerstreben, über die x-te Welle zu reden (die vierte, um genau zu sein), dazu wieder neue Regeln, die im Land noch kaum jemand überblickt. Im Kabinett ist das Spannungsfeld aus Warnen und Hoffen stark zu spüren. Führende Freie Wähler, also der Koalitionspartner, verbreiteten noch vor ein paar Tagen unbesorgt, man müsse doch wohl noch nichts unternehmen. Und auch mancher CSU-Minister lästerte leise über den „Drama-Söder“.
Der Widerspruch ist allerdings selbst ihm anzumerken. Oberflächlich betrachtet ist er an diesem Mittwoch vor den Kameras wieder der Corona-Söder, die alten Alarmrufe wie 2020, 2021. „Corona ist mit aller Macht zurück, auch wenn es nervt und beschwert“, sagt er. Seine FFP2-Maske trägt er eisern, klappt sie nur ganz kurz zur Seite, um an der Cola light zu nippen. Bei genauerem Hinsehen fällt indes auf: Er hat Tempo rausgenommen. Bayern ist nicht mehr am schnellsten und radikalsten. Sachsen verweist Ungeimpfte ganz aus der Gastronomie, Baden-Württemberg verhängt für sie Kontaktbeschränkungen, ein Haushalt plus fünf Personen (siehe unten).
Söder reicht plötzlich das vordere Mittelfeld. Früher, maunzt er auf Nachfrage, wurde ihm doch immer vorgeworfen, „wir sind zu schnell und preschen vor“. Er wolle nun „das tun, was notwendig ist“, aber auch versuchen, „möglichst viele zusammenzuhalten“. Das kann Geimpfte und Ungeimpfte meinen. Aber auch seine Koalition: Die Freien Wähler haben Söders Pläne in einigen Details entschärft und gehen längst nicht mehr alles mit.
Was sich nun wirklich ändert in Bayern, klingt abstrakt. Es purzeln die Kürzel von „2G“ und „3G“, dazu dieses junge Wort von der „Krankenhaus-Ampel“. Verstehen kann man all das als Stufenplan. Die Ampel zeigt an, wie stark die Kliniken belastet sind. Auf Gelb schaltet sie bayernweit, wenn mehr als 450 Intensivbetten mit Corona-Patienten belegt sind, auf Rot ab 600. Gelb dürfte es schon am Wochenende blinken, denn die 450 sind jetzt schon überschritten (Stand Mittwoch: 488), und die Verordnung gilt formal ab Samstag.
Gelb bedeutet konkret: Bei Ungeimpften wird ein PCR-Test verlangt, wenn sie zu Veranstaltungen, Sport oder Kultur wollen, wobei Theaterchefs letzteres für die Ausnahme halten. „3Gplus“ heißt diese Regel dann. Für Bars und Discos, ja sogar Bordelle gilt dann „2G“, also nur Geimpfte und Genesene. Die Polizei soll die Regeln per Stichproben überprüfen, bisher wird nur sehr lax überwacht. In Supermärkten, im Handel, im Hotel, beim Friseur und an Hochschulen verschärft sich nichts, auch nicht bei roter Ampel.
„Rot“ wird dennoch der stärkste Schritt. Dann nämlich greift eine Testpflicht für Ungeimpfte am Arbeitsplatz. In Betrieben ab zehn Leuten muss jeder geimpft, genesen oder getestet sein (siehe Interview). Für die Gastronomie greift dann flächendeckend „3Gplus“, für Kultur und Sport „2G“. Weil das nur bayernweit gilt und ein recht grobes Raster ist, gibt es eine regionale Regel. Die rote Ampel greift auch in Landkreisen, die eine Sieben-Tage-Inzidenz von mehr als 300 und eine Intensivbetten-Auslastung von mehr als 80 Prozent haben. Weite Teile von Ober- und Niederbayern trifft das wohl: Miesbach, Rosenheim, Mühldorf, Traunstein und Berchtesgaden steuern darauf zu.
Söder hätte, so ist zu hören, noch etwas mehr gemacht. 2G auch beim Wirt. Und in der Schule, wo ab Montag eine mindestens zweiwöchige Maskenpflicht gilt, die Pflicht zu FFP2-Standards. Bei beidem machten die Freien Wähler nicht mit. Ihr Kultusminister Michael Piazolo erzählt vor den Journalisten wortreich von „Sicherheitszäunen, die immer enger geknüpft und immer höher gemacht“ würden in der Schule. Die Zahlen sagen allerdings etwas anderes, bei Schulkindern explodieren sie. Und Piazolo muss nun die Eltern bitten, am Ferienende sich und die Kinder selbst zu testen, ehe jemand am Montag ein Schulhaus betritt.
Die Opposition ist uneins, übrigens auch die in Berlin gerade zusammenfindenden Rot-Grün-Gelben. Die FDP beklagt den „Ausschluss von Ungeimpften“ und meint: „Kein Mensch in Bayern darf durch eine Corona-Regel benachteiligt werden.“ Die SPD-Gesundheitspolitikerin Ruth Waldmann schimpft hingegen, die Regierung reagiere viel zu spät, die Maskenpflicht an den Schulen sei mit nur zwei Wochen „unausgegoren“. Die Grünen äußern inhaltlich keine Kritik, fordern sogar schneller 3G am Arbeitsplatz. Die AfD wirft Söder vor, er verharre im Panikmodus.