München/Berlin – In den vorangegangenen Corona-Wellen hatte die Politik Beschränkungen im Öffentlichen Nahverkehr gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Masken seien ausreichend, der Nahverkehr sei kein Pandemietreiber, hieß es gebetsmühlenartig. Nun könnte mit diesem Tabu gebrochen werden. Die Ampel-Parteien planen eine weitreichende 3G-Regel, Sie soll ebenso wie die Maskenpflicht bundesweit für den „öffentlichen Personennah- oder Fernverkehr einschließlich Schülerbeförderung und Taxen“ gelten, wie es in einem Ampel-Papier vom Montag heißt. Ungeimpfte müssten sich also testen lassen, bevor sie in einen Zug, Bus, in eine Tram oder ein Taxi steigen.
Die Nachricht schlug so heftig ein, dass offenbar keine Zeit blieb für innerparteiliche Abstimmung. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte: „Wenn die Ampel das so beschließt, unterstütze ich das.“ Sein Parteifreund und Noch-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sprach hingegen von einem planlosen Vorhaben. „Die Auswirkungen wären erheblich. Das Ampelchaos kann zum Verkehrschaos werden.“ Angela Merkel (CDU) wiederum begrüßte die geplante 3G-Regel.
Die Reaktionen ratterten gestern im Minutentakt herein. Die Deutsche Bahn signalisierte Unterstützung, forderte aber einheitliche Regeln. Zudem müssten die Kontrollen „durch die zuständigen Behörden geregelt werden“. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi stellte klar, wer das sein könnte: Die Polizei und anderes „qualifiziertes Sicherheitspersonal“, nicht aber das Fahrpersonal.
Die Polizei sieht sich aber nicht in der Pflicht. „Wir sind keine Gesundheitspolizei“, sagte Andreas Roßkopf, der Vorsitzende des Bezirks Bundespolizei der Gewerkschaft der Polizei (GdP). „3G in Bus und Bahn müssen die DB und die anderen Verkehrsunternehmen mit ihren eigenen Sicherheitsdiensten und Zugbegleitern kontrollieren.“ Die S-Bahn und die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) wollten sich gestern auf Anfrage nicht dezidiert äußern. Die MVG betonte aber, dass nur stichprobenartige Kontrollen möglich seien. Auch der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen erklärte: „Gerade im Nahverkehr mit häufigem Fahrgastwechsel und Haltestellen in kurzen Abständen ist dies, wenn überhaupt, nur stichprobenartig umsetzbar.“
Drosten: 3G im Zug schützt nicht
Der Deutsche Städtetag hält eine 3G-Regel in Bussen und Bahnen für richtig, um Corona wieder einzudämmen – Deutschlands Landkreise sind dagegen. „Eine solche Pflicht wäre praktisch nicht zu kontrollieren“, sagte Landkreistagspräsident Reinhard Sager. Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist skeptisch. Die FFP2-Maskenpflicht werde im Nahverkehr ganz überwiegend eingehalten. Die Einführung einer 3G-Regel sei aus seiner Sicht nicht geeignet und: unkontrollierbar.
Der Virologe Christian Drosten hat Erwartungen an die 3G-Regel in öffentlichen Verkehrsmitteln gedämpft. Die Testung als Voraussetzung für den Zugang verhindere keine Infektion von Ungeimpften, sagte der Leiter der Virologie der Berliner Charité am Montag in einer Expertenanhörung im Bundestag zu den Corona-Plänen der werdenden Ampelkoalition. Man müsse damit rechnen, dass Geimpfte unerkannt infiziert seien. Das Ziel, Ungeimpfte zu schützen, werde somit verfehlt. Ob es bei der Regel allerdings nur um den Schutz vor dem Virus geht, ist die Frage. 3G im Nahverkehr dürfte auch den Druck auf Ungeimpfte erhöhen, sich impfen zu lassen.
3G im Nah- und Fernverkehr ist nur ein Punkt in den Plänen von SPD, Grünen und FDP zur Eindämmung der vierten Welle. Weil am 25. November die epidemische Lage auslaufen soll, braucht es eine neue Grundlage, um den Ländern Corona-Regeln zu ermöglichen. Über den Gesetzentwurf soll noch diese Woche entschieden werden.
So sollen wieder Kontaktbeschränkungen im privaten und öffentlichen Raum möglich sein. Grünen-Chef Robert Habeck sagte: Kontaktuntersagung oder 2G-Regelung heißt in weiten Teilen: „Lockdown für Ungeimpfte. Das ist die Vulgärübersetzung.“
Die Bundesländer sollen eine Öffnungsklausel bekommen. Das heißt, auf Beschluss des Landtags können bestimmte Maßnahmen beibehalten werden, etwa die Untersagung oder Beschränkung von Freizeit-, Kultur- und Sportveranstaltungen, ein Alkoholverbot an öffentlichen Plätzen oder die Schließung von Hochschulen.
Wieder eingeführt werden soll die ausgelaufene Homeoffice-Pflicht. Sprechen keine Gründe dagegen, müssen Arbeitgeber ihren Beschäftigten Homeoffice anbieten – und diese das Angebot auch annehmen. Bei der geplanten 3G-Regel am Arbeitsplatz wollen die Ampel-Parteien zudem ein Auskunftsrecht für Arbeitgeber einführen. Außerdem soll eine bundesweite Testpflicht in Pflegeeinrichtungen kommen – und zwar unabhängig vom Impfstatus. Zu Impfpflichten für bestimmte Berufe gibt es noch keine Entscheidung.
Schulen und Handel sollen offen bleiben
Schulen oder Einzelhandel sollen nicht wieder flächendeckend geschlossen werden, wie Ampel-Politiker nach der Anhörung von Sachverständigen betonten. Man werde Ausgangssperren nicht weiter zulassen und die Schließung von Geschäften oder Schulen flächendeckend in dieser Form ausschließen, sagte die Gesundheitssprecherin der SPD-Fraktion, Sabine Dittmar. Auch die Grünen im Bundestag bestätigen diese Linie.