München/Berlin – Die Frage nach der Struktur- und Satzungskommission trifft Christina Stumpp unvorbereitet. Was sie denn von deren Vorschlag halte, wird die 34-Jährige gefragt. Die frischgebackene CDU-Abgeordnete, die unüberhörbar aus Baden-Württemberg kommt, schaut ein wenig verwirrt. Aber Gott sei Dank steht ja Friedrich Merz neben ihr, der übersetzt: die Frauenquote. Die soll auf Vorschlag der Kommission auf dem CDU-Parteitag in Hannover beschlossen werden. Ach so. Frau Stumpp hat eine klare Meinung: Sie habe sich in ihrem Wahlkreis ohne Quote gegen Männer durchgesetzt.
Kommt es so, wie sich Friedrich Merz das vorstellt, muss sich Christina Stumpp bald sehr weit in die Untiefen der Struktur- und Satzungskommission vorarbeiten. Merz will für sie eigens das Amt einer stellvertretenden Generalsekretärin schaffen. Mit Spannung war erwartet worden, wie sich der 66-Jährige für seinen dritten Anlauf auf den CDU-Vorsitz aufstellt. Im Team? Prominente Namen kursierten. Jens Spahn. Oder der Wirtschaftspolitiker Carsten Linnemann? Auf dem Podium fehlen sie.
Merz ist sichtlich darum bemüht, seine Kandidatur als Teil einer breiten Bewegung zu inszenieren. Während Norbert Röttgen nüchtern vor der Bundespressekonferenz referierte und Helge Braun öffentlich überhaupt nicht auftrat, ist der Merz-Auftritt sorgsam orchestriert. Auf der Leinwand hinter ihm sind Parteimitglieder per Video als Kulisse zugeschaltet. Sogar ein eigener Hashtag prangt auf der Bühne – nicht etwa „#TeamMerz“, sondern „#TeamCDU“. Nur wer zum Team gehört, wird nicht so ganz klar.
Spahn und Linnemann (wie Merz aus NRW) wollen als Stellvertreter kandidieren, sagt Merz. Ebenso wie Silvia Breher (Niedersachsen) und Karin Prien (Schleswig-Holstein). Außerdem soll der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer als „Stimme des Ostens“ (Merz) ins engere Team rücken. Aber vermutlich kandidiert die Mehrzahl auch, sollte Merz in der Mitgliederbefragung nicht gewinnen.
So besteht das Team Merz vorerst aus zwei Köpfen. Zur jenseits von Waiblingen unbekannten Christina Stumpp kommt Mario Czaja, der unter Merz Generalsekretär werden würde. Der 46-Jährige machte zuletzt ein paar Schlagzeilen, weil er Petra Pau den traditionell von der Linkspartei dominierten Wahlkreis Berlin-Marzahn-Hellersdorf abluchste. Er ist in vielen Bereichen ein Gegenpart zu Merz: ein Sozialpolitiker aus der Großstadt, dessen Bruder Sebastian in der Berliner FDP aktiv ist. Ungewöhnlich ist auch die Geldstrafe wegen Fahnenflucht, die Czaja 1997 zahlen musste, weil er zweimal nicht zum Dienstantritt bei der Bundeswehr erschien. „Eine Haftstrafe auf Bewährung hielt der Richter für nicht angemessen, da Czaja kein typischer Fahnenflüchtiger, sei“, schrieb die „Berliner Zeitung“ damals. Czaja machte schließlich Zivildienst. Jahre später war er dann Berliner Sozialsenator. „Die CDU muss die soziale Frage stärker ins Auge nehmen“, sagt er.
Czaja und Stumpp sollen das Bild vom konservativen Merz liberalisieren. Jünger, moderner, mittiger. Zur Sicherheit stellt Merz klar: „Es wird mit mir keinen Rechtsruck in der Union geben.“ Auch „keine Achsenverschiebung“. Er schielt anders als 2018 nicht mehr auf die Wähler der AfD. Deren Milieu sei immer weiter nach rechts gerutscht. „Das ist kaum noch erreichbar für uns. Mit dieser Partei haben wir nichts zu tun.“ Sollte doch jemand „reumütig“ zurückkehren wollen, sei er willkommen. Merz will die Partei offensichtlich in die Mitte führen und breiter aufstellen. Die Stellvertreter sollen feste Aufgabenbereiche bekommen und diese in der Öffentlichkeit vertreten.
Merz’ Versuch, sich selbst zurückzunehmen, gelingt nur mittelmäßig. Der Frage, ob er im Falle seiner Wahl auch den Vorsitz der Bundestagsfraktion anstrebe, versucht er mehrfach auszuweichen. Schließlich sagt er dann doch: Er habe immer gesagt, das Parteivorsitz und Kanzleramt beziehungsweise Parteivorsitz und Oppositionsführung in eine Hand gehören. Der aktuelle Fraktionschef Ralph Brinkhaus ist nur für ein halbes Jahr gewählt. Auch bei der Frage nach der nächsten Kanzlerkandidatur weicht Merz aus. Jeder wisse, dass er in vier Jahren 70 Jahre alt sei. Später gibt er zu Protokoll: „Ob man jung im Kopf ist, ist keine Frage des Geburtsdatums. Ich beobachte manch einen, der halb so alt ist wie ich und doppelt so alt denkt.“
Wie dem auch sei: Jetzt soll erst einmal die Partei neu aufgestellt werden. Ganz neu. Christina Stumpp ist das beste Beispiel. Bislang war sie persönliche Referentin des baden-württembergischen Landwirtschaftsministers. Nun schiebt Merz sie ins Rampenlicht. Offenbar war sie bei den Vorgesprächen auch als Generalsekretärin im Gespräch. Doch die Mutter einer einjährigen Tochter lehnte ab. „Das Amt der Generalsekretärin wäre für mich natürlich mit der Familie nicht vereinbar gewesen, die Stellvertreterfunktion aber auf jeden Fall.“ Vereinbarkeit von Familie und Politik – noch so ein Thema, bei dem Merz zeigen muss, wie modern er wirklich ist.