Die Welt im Würgegriff des Virus – auch knapp zwei Jahre nach dem ersten Corona-Ausbruch in Deutschland ist ein Ende der Pandemie nicht in Sicht. Trotzdem sieht Professor Hendrik Streeck (44) gute Chancen auf ein relativ normales Fest. Im Interview erklärt der Bonner Virologe, wie wir sicher über die Feiertage kommen und was Geimpfte wissen sollten.
Nach dem verkorksten Corona-Weihnachten im vergangenen Jahr haben viele Menschen wieder auf „normale“ Festtage gehofft. Wie unbeschwert können wir heuer feiern?
Es ist weiterhin Vorsicht geboten, aber wir müssen nicht noch vorsichtiger sein als im vergangenen Jahr. Trotz der hohen Infektionszahlen befinden wir uns jetzt in einer anderen Situation: Mit der Impfung haben wir ein starkes Werkzeug in der Hand, um schwere Covid-Verläufe zu vermeiden. Wenn Menschen geimpft sind und sich vorher testen, dann können sie gemeinsam normal Weihnachten feiern, wobei ich hier davon ausgehe, dass es sich um eine Familienfeier handelt.
Sind Schnelltests sicher genug? Über ihre Fehlerquote wird immer wieder diskutiert.
Schnelltests sind im Vergleich zu PCR-Tests fehleranfälliger, ihnen entgeht auch mal eine Infektion. Dafür sind PCR-Tests gerade auch bei Geimpften fast zu genau. Sie können das Virus noch sehr lange nachweisen, obwohl gar keine relevante Infektion mehr vorhanden ist. Studien aus Harvard zeigen, dass Schnelltests dann Vorteile bringen, wenn man sie häufig – also zwei-, dreimal die Woche – anwendet. Sie sind schnell und schlagen dann an, wenn die Getesteten infektiös sind. Das gleicht den Nachteil der etwas geringeren Zuverlässigkeit aus.
Erkennen Schnelltests auch die Omikron- Variante?
Bislang gab es keine Variante, die durch Schnelltests nicht erkannt worden ist.
Gegen Omikron wirken die Impfstoffe schlechter als gegen Delta. Wie gefährlich ist diese Variante wirklich?
Es gibt stündlich neue Daten und wir würden alle gut daran tun, nicht zu spekulieren und den Teufel gar an die Wand zu malen. Wir wissen gesichert, dass Omikron mehr Mutationen vor allem im Spike hat als Delta – aber noch nicht, was dies genau bedeutet. Es gibt erste Berichte aus den Laboren, die zeigen, dass die Immunantworten, die nach den Impfungen gemacht werden, weniger gut funktionieren. Es gibt aber auch Berichte, dass die Infektionen mit Omikron milder verlaufen.
Trotzdem reagieren viele Politiker hochnervös. Ist das gerechtfertigt oder Alarmismus?
Unser Hauptproblem ist im Moment die Deltawelle. Natürlich ist es richtig, Omikron genau zu beobachten und möglichst einzudämmen. Am Ende ist im Moment wichtig, Infektionszahlen zu drücken, zu impfen und zu boostern. Alles, was wir im Moment gegen Delta unternehmen, hilft auch gegen Omikron.
Fahren Sie eigentlich Ski?
(schmunzelt) Ja, aber zum letzten Mal stand ich vor der Pandemie auf Brettern.
Bei vielen geimpften Eltern wird der Skiurlaub in den Weihnachtsferien ausfallen, weil ihre ungeimpften Kinder sonst nach der Reiserückkehr in Quarantäne müssen und die Schule verpassen. Was halten Sie von dieser Regelung?
Ich kann sie nicht nachvollziehen. Kinder sind im Vergleich zu Erwachsenen weniger infektiös und geben das Virus seltener weiter. Selbst wenn sie sich infizieren, haben sie fast nie schwere Verläufe. Zudem werden sie in der Schule häufig getestet. Warum muss man ihnen dann pauschal eine Quarantäne zumuten – zumal das Infektionsgeschehen in Ländern wie Österreich ähnlich ist wie bei uns? Etwas anderes wäre es natürlich, wenn ein einzelnes Kind Symptome hätte.
Würden Sie Ihre Kinder impfen lassen, wenn Sie welche hätten?
Schwierige Frage. Ich habe mir dazu noch keine abschließende Meinung gebildet, aber ich richte mich nach der Stiko-Empfehlung.
Die Schulen sollen in der vierten Welle offen bleiben, betonen die Politiker. Ist auch ein Lockdown tatsächlich vom Tisch?
Das müssen Sie besser den neuen Gesundheitsminister fragen. Ein Lockdown ist derzeit nicht zielführend, aber ich würde ihn für die Zukunft auch nicht ausschließen wollen. Man sollte diesen Schritt als eine Art Notfall-Reißleine in der Hinterhand behalten, falls das Gesundheitssystem im Laufe des Winters tatsächlich zu kollabieren droht.
Wissenschaftler haben bereits im Sommer vor einer Verschärfung der Corona-Lage im Herbst und Winter gewarnt. Hat die Politik diese Appelle ignoriert und damit versagt?
Jedenfalls haben wir im Sommer mehr Wahlwerbung als Impfwerbung gesehen. Noch entscheidender ist aber: Wir haben im Rahmen der Werbekampagne fürs Impfen keine nachhaltige, fachliche Aufklärung erlebt. Viele Menschen verstehen nicht, wie die Impfstoffe im Körper wirken. Sie haben Ängste vor den Impfstoffen. Um unbegründete Ängste auszuräumen, muss man endlich damit anfangen, besser aufzuklären. Zu viele Skeptiker wurden von der Politik bisher nicht abgeholt, obwohl das keine Unmöglichkeit ist.
Wird es die neue Ampel-Regierung besser machen?
Ich bin gespannt auf ihre Entscheidungen. Man sollte ihr allerdings auch etwas Zeit einräumen, bevor man ihre Arbeit beurteilt.
Die Ampel hat sich dagegen gesträubt, die „epidemische Lage nationaler Tragweite“ wieder einzuführen. Ein Fehler?
Nein, es handelt sich ja nur um ein juristisches Konstrukt. Letztlich können alle erforderlichen Maßnahmen auch ohne die epidemische Notlage getroffen werden. Diese Debatte ist nur ein Nebenschauplatz.
Was wäre wichtiger?
Mir kommt eine systematische Analyse der Frage viel zu kurz, warum unser Gesundheitssystem nicht so krisenfest ist, wie es sein könnte und müsste. Wir müssen es endlich langfristig nachrüsten, damit wir nächsten Winter nicht mit noch weniger Intensivbetten dastehen.
Die Probleme in den Kliniken sind nicht neu. Warum ändert die Politik nichts?
Weil sie keine langfristige Strategie zur Bewältigung dieser Krise hat. Nehmen wir das Thema Pflegenotstand. Wir alle haben in 2020 mitbekommen, wie schlecht es um die Arbeitsbedingungen und um die Bezahlung der Pflegekräfte bestellt ist. Die Politik hat es aber nicht geschafft, das Jahr dazu zu nutzen, um die Situation zu verbessern. Im Gegenteil, es gibt noch weniger Pflegekräfte als vor einem Jahr.
Viele hoffen darauf, dass der neue Gesundheitsminister Lauterbach etwas ändern wird. Wie bewerten Sie seine Berufung?
Ich wünsche ihm alles Gute, er hat einen anstrengenden Job übernommen.
Kann er den?
Bestimmt.
Auch Lauterbach betont gebetsmühlenartig, dass Boostern nach neuen Daten besonders gut gegen Corona schützt. Wann sollte man sich den dritten Stich setzen lassen?
Derzeit gilt ja die Regel, dass nach der Zweitimpfung mindestens sechs Monate vergangen sein sollten. Aber man muss auch nicht päpstlicher sein als der Papst, auf ein paar Tage oder Wochen kommt es nicht an. Weniger als drei Monate sollten allerdings nicht zwischen den Impfungen liegen, weil sonst der maximale Effekt der Auffrischung verloren ginge. Generell ist Boostern in den Wintermonaten besonders sinnvoll, weil wir jetzt hohe Infektionszahlen haben. Im Sommer ist die Notwendigkeit, sich boostern zu lassen, geringer als im Winter.
Welcher Impfstoff ist beim Boostern effektiver: Biontech oder Moderna?
In Studien hat sich gezeigt, dass Moderna stärkere Immunantworten hervorruft – vor allem dann, wenn man vorher einen Vektorimpfstoff bekommen hat. Andererseits hat Moderna etwas mehr Nebenwirkungen, deshalb wird dieses Vakzin für unter 30-Jährige nicht empfohlen. Unterm Strich macht es bei gesunden Menschen allerdings keinen großen Unterschied, ob sie sich mit Moderna oder Biontech boostern lassen. Wenn man die ersten beiden Impfungen nicht so gut vertragen hat, kann man bei der dritten den anderen nehmen.
Die schnelle Entwicklung der Impfstoffe gilt als Erfolgsgeschichte. Bei den Medikamenten ist bislang noch kein entscheidender Durchbruch in Sicht. Warum?
Es ist schwieriger, antivirale Medikamente zu entwickeln. Trotzdem kommen in Kürze zwei Medikamente auf den Markt, die zu Gamechangern werden könnten: zum einen Molnupiravir. Es soll dieses Jahr noch kommen. Wenn man es früh nimmt, reduziert es das Risiko einer Krankenhauseinweisung um 50 Prozent. Zum anderen erwarten wir Paxlovid. Es hat noch bessere Daten geliefert, unter anderem eine fast 90-prozentige Reduktion der schweren Verläufe. Paxlovid soll im Laufe des nächsten Jahres zugelassen werden. Diese beiden Medikamente machen Hoffnung, aber sie haben auch einen Haken. Sie wirken nur, wenn sie in den ersten fünf Tagen nach der Diagnose eingenommen werden.
In Bayern gelten scharfe Sicherheitsstandards. Wer in Fitnessstudios oder ins Theater will, muss geimpft oder genesen sowie getestet sein. Ist 2G plus sinnvoll?
2G plus hat bei sehr hohen Infektionszahlen den Vorteil, dass man bei Ereignissen mit vielen Menschen Ausbrüche besser vermeiden kann. Wenn die Alternative weitreichende Kontaktbeschränkungen sind, dann sollten wir lieber auf 2G plus setzen.
Auch ein Teil-Lockdown für die Gastro wird diskutiert. Müssen wir diese Kröte trotz 2G schlucken?
Es gibt zurzeit keine belastbaren Daten, die eine Schließung von Restaurants rechtfertigen. Man könnte auch mit einem Lufthygiene-Check arbeiten. Dann wäre ein Gastro-Lockdown nicht nötig.
Würden Sie derzeit auch in die Disco gehen, wenn sie geöffnet hätte?
Für die Disco bin ich zu alt. Aber wenn eine Bar ein gutes Sicherheitskonzept hat, würde ich schon hingehen.
Das Interview führte: Andreas Beez