Die Rückkehr der Atomdebatte

von Redaktion

Neue Kernkraftwerke bauen oder aussteigen wie die Bundesrepublik? Ein europäischer Überblick

VON BJÖRN HARTMANN

München – Atomkraft schien in Europa, vor allem in Deutschland, eher ein Randthema zu sein, Wind- und Solarenergieanlagen sowie Wasserkraftwerke galten für die Energiewende als wesentlich. Und jetzt ist die Debatte, die viele für abgeschlossen hielten, wieder da. Der Grund: Atomkraft erzeugt Strom, ohne klimaschädliche Gase auszustoßen. Und auch, wenn kein Wind weht oder die Sonne nicht scheint.

Die EU jedenfalls möchte Atomenergie zumindest übergangsweise als nachhaltig und damit als ökologisch investitionsfähig ansehen. Ähnliches soll für moderne Gaskraftwerke gelten. Die Bundesregierung wird diese Regelung wohl nicht verhindern können. Dafür müsste sie mehr als sieben der 27 EU-Staaten gewinnen, was als unwahrscheinlich gilt. Ein Überblick über Deutschlands Nachbarn.

Frankreich: Besonders die Franzosen setzen auf Atomkraft. Präsident Emmanuel Macron hat sich bereits im vergangenen Jahr dafür stark gemacht. Das Thema spielt im laufenden Präsidentschaftswahlkampf eine Rolle. Vor allem die rechten Kandidaten haben erklärt, überwiegend auf Atomkraft zu setzen. Frankreich ist mit seinen 53 Anlagen nach den USA das Land mit den meisten Atomreaktoren. Sie sollen modernisiert und teils ersetzt werden. Ein wichtiger Faktor: Die Atomindustrie in Frankreich gehört in weiten Teilen dem Staat und beschäftigt direkt und indirekt rund 200 000 Mitarbeiter. Anteil am Strommix: 67,1 Prozent.

Belgien: Die Belgier hingegen wollen aus der Atomkraft aussteigen. Die sechs noch am Netz befindlichen Blöcke sollen bis 2025 abgeschaltet werden, wie das Parlament einen Tag vor Weihnachten 2021 beschloss. Anteil am Strommix: 39,1 Prozent.

Niederlande: Zu den Befürwortern der Atomkraft gehört auch die neue niederländische Regierung. Sie will die Laufzeit des einzigen bestehenden Atomkraftwerks des Landes verlängern und zwei weitere Reaktoren bauen. Regierungschef Mark Rutte führt wie Macron die Klimafreundlichkeit der Atomkraftwerke an. Anteil am Strommix: 3,2 Prozent.

Polen: Die Polen liebäugeln mit Atomkraft. Zuletzt waren vier Anlagen geplant, die voraussichtlich nach 2030 ans Netz gehen sollten. Ob es tatsächlich so weit kommt, ist unklar. Weder ist über die genaue Technologie noch über die Standorte entschieden. Polen denkt seit 2008 über neue Kraftwerke nach. Ein wichtiger Grund: die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Anteil am Strommix: 0 Prozent.

Tschechien: Das Land erzeugt Strom vor allem mit Kohle. Um den Ausstieg zu stemmen, setzen die Tschechen auf mehr Atomkraft, die weitgehend akzeptiert ist. Geplant ist, zusätzlich zu den sechs bestehenden eine weitere Anlage zu bauen. Anteil am Strommix: 37,3 Prozent

Österreich: Bereits 1978 haben sich die Österreicher in einer Volksabstimmung gegen Atomkraft ausgesprochen. Das fertig gebaute Atomkraftwerk wurde nicht ans Netz angeschlossen. Der Strom kommt zu 75 Prozent aus Erneuerbaren Energien.

Schweiz: Die Schweizer haben 2018 in einer Volksabstimmung beschlossen, keine neuen Atomkraftwerke zu bauen. Wann die vier alten Reaktoren stillgelegt werden, steht nicht fest. Die Schweiz will sie laufen lassen, solange sie sicher sind. Die Anlagen der Schweiz sind im Schnitt älter als 45 Jahre. Anteil am Strommix: 35,1 Prozent.

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