München – Die Deutsche Alpenstraße: Sie begeistert Einheimische, Touristen, Rennfahrer. Was macht die Straße so besonders? Simon Kotter, 34, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Freilichtmuseums Glentleiten. Im kürzlich erschienenen Sammelband „Die Deutsche Alpenstraße“ hat er sich ausführlich mit der Ferienroute beschäftigt. Ein Gespräch über Genussfahrer, Nazi-Propaganda und dramatische Unfälle.
Herr Kotter, in dem Buch haben sich 13 Autorinnen und Autoren mit der Deutschen Alpenstraße beschäftigt. Was bitte ist an einer Straße so spannend?
Die Deutsche Alpenstraße ist die älteste Ferienroute Deutschlands. Das Besondere ist, dass sie nicht über die Alpen führt, sondern quer zu ihnen verläuft. Sie ist ja in erster Linie als Prestigeobjekt für Touristen angelegt worden. Das ist ein relativ junges Phänomen. Früher haben Straßen Orte für wirtschaftliche Zwecke miteinander verbunden. Bei der Alpenstraße ist aber der Weg das Ziel.
Der Bau begann während des NS-Regimes. Was war für die Natinalsozialisten an dem Projekt so reizvoll?
Ein Straßenbau in solch spektakulärer Umgebung hat sich hervorragend für ihre Propaganda geeignet. Wie auch beim Autobahnbau wollten die Nationalsozialisten sich, der Bevölkerung und natürlich dem Ausland zeigen, welch große Projekte sie stemmen können. Das Konzept einer Ferienroute ist aber nicht nationalsozialistisch. Das gab es bereits im Ausland. Die Idee einer deutschen Alpenstraße kam in den 1920er-Jahren auf. Das hat Hitler dann dankbar angenommen und später mit großem Aufwand vorangetrieben.
Die Deutsche Alpenstraße hat auch Rennfahrer begeistert. Warum?
Veranstalter suchen Routen, die anspruchsvoll, aber mit dem Auto machbar sind. Also spannende Strecken mit hohen Steigungen und engen Kurven. Rennfahrer sollen die Berge mit dem Auto erleben können. Das sind übrigens dieselben Bedürfnisse, die Touristen haben.
Mittlerweile gibt es nur noch Oldtimer-Fahrten. Warum sind die Bergrennen Vergangenheit?
Da kam einiges zusammen. Zum einen wurde die „Formel 1“ populärer. Zum anderen spielt der Sicherheitsaspekt auch ganz klar eine Rolle. Da sind Autos in Höchstgeschwindigkeit vorbeigefahren, und die Zuschauer sind direkt am Straßenrand ohne Sicherheitsmaßnahmen gesessen. Das führte vermehrt zu tödlichen Unfällen. Nicht nur bei den Fahrern. Auch ein Zuschauer kam ums Leben. Der wirkliche Todesstoß für die Bergrennen kam von der Umweltbewegung, die in den 1980er-Jahren Druck auf die Politiker gemacht hat. Umweltschützer kritisierten, dass es nicht zeitgemäß sei, die Alpen als Rennstrecke zu missbrauchen.
Ist es noch zeitgemäß, die Alpen für Spazierfahrten zu „missbrauchen“?
Das ist eine spannende Frage. Wird es künftig überhaupt noch solche Nutzer geben? Viele aus dem urbanen Raum haben gar kein eigenes Auto mehr. Es gibt Überlegungen mit Carsharing, Bustouren und Elektromobilität eine neue Infrastruktur für die Alpenstraße aufzubauen. Die Grundidee der Straße ist aber, sie individuell mit dem Auto zu erkunden. Ob dieses Konzept überlebt, wird sich die nächsten Jahrzehnte zeigen.
Interview: Verena Möckl