München/Berlin – Kommt sie? Und wenn ja: Für alle, oder erst ab einem bestimmten Alter? Der Bundestag soll bis Ende März über eine allgemeine Corona-Impfpflicht entscheiden. Die sonst üblichen Fraktionszwänge gelten dabei nicht, jeder Abgeordnete stimmt allein für sich selbst ab. Heute stellen sich die Parlamentarier einer ersten Orientierungsdebatte. Dabei geht es im Wesentlichen um drei mögliche Vorschläge.
Impfpflicht für alle ab 18
Sebastian Roloff ist für eine Impfpflicht für alle in Deutschland ab 18 Jahren. Denn die bisher erreichte Impfquote sei einfach nicht hoch genug. „Solange wir nur im Bereich um 75 Prozent bleiben, sind vulnerable Gruppen weiter gefährdet und es reicht nicht, um Herdenimmunität zu entwickeln“, sagt der SPD-Abgeordnete aus München unserer Zeitung. „Ich glaube, dass wir es ohne eine Impfquote von rund 90 Prozent nicht schaffen werden, endlich mit dem Coronavirus leben zu können.“
Damit dürfte Roloff dem Antrag nahestehen, den sieben Abgeordnete der Ampel-Koalition einbringen wollen. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese – einer der Initiatoren – nannte gestern erste Einzelheiten. Die Pflicht solle auf ein bis zwei Jahre befristet sein, für nicht mehr als drei Impfungen gelten und über Bußgelder durchgesetzt werden. Auf ein Impfregister, das für alle Bürger Impfungen erfasst, will Wiese wegen des zu großen Zeitaufwands verzichten und Ausnahmen vom Amtsarzt kontrollieren lassen.
Bei der Umsetzung spricht sich die Gruppe dafür aus, Impfverweigerer mit Bußgeldern zu belangen – das hält auch Roloff für richtig. Wie hoch diese Strafen wären, ist noch offen. Nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten haben Bußgelder eine Höhe von fünf bis 1000 Euro, „wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt“. Sie könnten für die Impfpflicht also auch noch höher festgelegt werden. Der Grünen-Politiker Janosch Dahmen, der wie die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ebenfalls Mitinitiator des Gruppenantrags ist, befürwortete in der „Bild am Sonntag“ einen „mittleren dreistelligen Bereich“. SPD-Mann Roloff betont: „Für eine Ersatzhaft für Nichtzahler bin ich aber nicht.“ Auch die Initiatoren setzen in solchen Fällen stattdessen auf ein Zwangsgeld. Die Obergrenze liegt nach dem Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz bei 25 000 Euro.
Impfpflicht für alle ab 50
Mehrere Abgeordnete von FDP und Grünen schlagen hingegen eine Impfpflicht für Über-50-Jährige vor, wenn eine sanftere Maßnahme keine Wirkung zeigt. „Wir wollen mit einem milderen staatlichen Eingriff eine maximale Wirkung erzielen“, schreiben sie in einem Brief an ihre Bundestagskollegen.
Mit zu dieser Gruppe gehört auch Dieter Janecek. „Nicht alle Ungeimpften sind Querdenker“, sagt der Münchner Grünen-Abgeordnete unserer Zeitung. Deshalb sind Janecek und seine Kollegen auch dafür, zunächst eine verpflichtende Impfaufklärung zu beschließen – also ein Beratungsgespräch für alle volljährigen Ungeimpften in Deutschland, das wahrgenommen werden muss. Im Anschluss besteht die Möglichkeit, sich freiwillig impfen zu lassen.
Erst wenn das bis zum Sommer nicht fruchtet und die Impfquote nicht ausreichend ansteigt, solle es eine Impfpflicht für Über-50-Jährige geben. „Denn medizinisch ist sehr klar, dass mehr als 80 Prozent der Intensivpatienten in diesem Alter sind“, sagt Janecek. Und genauso klar sei: „Es darf nicht noch einmal so einen Herbst und Winter geben.“
Auch der Münchner Bundestagsabgeordnete Stephan Pilsinger (CSU) hält eine Impfpflicht ab 50 Jahren grundsätzlich für eine sinnvolle Lösung. Einem Gruppenantrag werde er sich aber dennoch nicht anschließen, sagt er unserer Zeitung. Denn es sei „sehr schwer, sich inhaltlich zu positionieren, solange es von der Bundesregierung keine konkreten Vorschläge für die Umsetzung und die Abläufe gibt“, sagt Pilsinger. „Die Ampel muss jetzt endlich liefern.“
Impfpflicht für niemanden
Lukas Köhler hat sich noch nicht festgelegt. „Durch die ansteckendere, aber wohl weniger schwere Omikron-Variante ist die Situation noch komplexer geworden“, sagt der Münchner FDP-Abgeordnete unserer Zeitung. Auch die öffentliche Diskussion habe sich verschoben. Er wolle die Orientierungsdebatte deshalb genau dazu nutzen, wofür die gedacht sei – um sich zu orientieren. „Entscheidend ist für mich, ob der jeweilige Grundrechtseingriff wirklich im Verhältnis zum dadurch erreichten Bevölkerungsschutz steht“, sagt Köhler. Wenn es gelinge, ihn davon zu überzeugen, sei es nicht ausgeschlossen, dass er sich am Ende für eine der beiden Impfpflicht-Varianten entscheide. „Wenn nicht, ist es aber auch möglich, dass der Antrag gegen eine Impfpflicht meine Stimme bekommt“, sagt Köhler.
Der Wortführer der Gruppe, die eine Pflicht offen ablehnt, ist Bundestags-Vize Wolfgang Kubicki (FDP). In einer Vorlage von Ende vergangenen Jahres wird unter anderem auf die „noch nicht abschließend geklärten Fragen der Schutzdauer und des Schutzumfangs einer Impfung“ verwiesen. Die Impfpflicht sei ein „tiefer Grundrechtseingriff“, mit dem sich die aktuelle Infektionswelle ohnehin nicht brechen lasse, argumentiert Kubicki.
Zeitplan für eine mögliche Impfpflicht
Sollte tatsächlich im März eine Impfpflicht für alle beschlossen werden, scheint eine Umsetzung erst bis zum Sommer realistisch. Schließlich soll in diesem Fall jeder die Chance bekommen, sich dann noch schnell impfen zu lassen. Unklar ist bislang, wann und in welcher Weise die Länder ins Boot geholt werden. Ihre Unterstützung wird benötigt, weil das Gesetz auch den Bundesrat passieren muss. Um ein langwieriges Vermittlungsverfahren zu vermeiden, müsste der Bundestag noch vor seinem Gesetzesbeschluss eine Einigung mit den Ländern erzielen. Die werden penibel darauf achten, wie eine Impfpflicht umgesetzt werden soll – denn dabei dürften sie eine gewichtige Rolle spielen. mit dpa und afp