„Bairisch redn – das ist wie Barfußgehen“

von Redaktion

Der große Dialekt-Gipfel: Vier Experten erklären, warum die Mundart lebendiger ist, als viele glauben

Schon oft wurde der Untergang von Bairisch herbeigeschrieben. Doch stirbt der Dialekt wirklich aus? Wir trafen vier Experten zum Bairisch-Gipfel, pandemiebedingt per Video: Karl Simon und Benedikt Kronenbitter vom Förderverein Bairische Sprache und Dialekte, Hans Dondl aus Icking ist pensionierter Grundschulrektor und Bairisch-Liebhaber, Andrea Schamberger-Hirt leitet die Redaktion des Bayerischen Wörterbuchs an der Akademie der Wissenschaften in München.

Ihr gehört einer aussterbenden Spezies an – den Bairisch-Sprechern. Könnt Ihr das Klagelied über den Untergang von Bairisch eigentlich noch hören?

Kronenbitter: Nein. Das stimmt so auch nicht. Auf Bairisch stößt man jeden Tag – sogar in der U-Bahn. Jetz schiabts eich hoit nei, sagt der Fahrer, wenn die automatische Ansage nicht reicht. Wir müssen uns einfach selber immer ermuntern, ned Luck lassn! Es gibt tatsächlich so vui Leit, die Bairisch redn kannten, es aber net toa.

Dondl: In Kochel ist Bairisch mit Sicherheit noch stärker verwurzelt als etwa in Icking, wo ich jetzt wohne. Da schauts in de Kindergärten scho schlecht aus. Zwei, drei Kinder reden da Bairisch, mehra ned. Auf dem Gymnasium ist ein Bairisch-Sprecher ein Exot. In Icking bestimmen oft zugezogene Akademiker die Richtung.

Was sagt die Wissenschaft zur Bairisch-Kompetenz der Kinder im Kita-Alter? 2019 kam dazu ja eine Studie über Bairisch-Schwaben heraus.

Schamberger-Hirt: Ja, sie bestätigt leider, dass die Dialekt-Kompetenz fünfjähriger Kinder nicht allzu hoch anzusetzen ist. Gut 18 Prozent sprechen Dialekt, wobei die Erzieherinnen vor allem Kinder beobachtet haben, denen sie eine gewisse Dialekt-Kompetenz zutrauen. Außerdem sind die Übergänge zur nur regional gefärbten Umgangssprache ja fließend. Wahrscheinlich ist der Prozentsatz also noch niedriger.

Wo fand die Untersuchung statt?

Schamberger-Hirt: In Stadt wie Land, in 173 Kindergärten mit 5341 Kindern. Das war großräumig angelegt und repräsentativ. Klar zutage kam auch der Stadt-Land-Unterschied. In Augsburg oder Memmingen, so zeigte sich, wird weniger Dialekt gesprochen als auf dem Land. Wünschenswert wäre natürlich eine bayernweite Studie.

Kronenbitter: Wenn ich da kurz eihakeln derf: Interessant und bedenklich ist, dass das im Niederdeutschen ähnlich ist, wie eine Studie zeigte. Je niedriger der Bildungsstand, desto mehr wird noch Plattdeutsch gepflegt. Ich hoffe ja, dass das nicht stimmt. Ich meine: Mit dem Dialekt verhält es sich wie mit dem Radlfahren. Ich muss es früh lernen. Wenn ich als kleiner Bua die Melodie nicht drin habe und vielleicht etwas Grammatik, dann lerne ich es nicht mehr. Der Spracherwerb findet im Kindergartenalter statt.

Kann man Bairisch auch verlernen?

Schamberger-Hirt: Da würde ich nicht zustimmen. Eine andere Frage ist, ob man es weiter pflegt. Das ist auch in der Forschung eine offene Frage, wie Dialekt sprechende Kinder später als Erwachsene Bairisch pflegen – oder eben nicht.

Simon: Der Grundstock liegt im Elternhaus. Dann kommen viele äußere Umstände dazu: Großstadt oder Land, Schulart und anderes. Als ich Lehrer an einer Berufsschule in München war, hatte ich schon das Gefühl, die 18- bis 30-jährigen Schüler ham scho gred, wia se’s dahoam glernt ham. Die Lehrer mit bairischen Wurzeln sprachen aber im Lehrerzimmer Bairisch, im Unterricht Standarddeutsch.

Ihr vom Förderverein seids ja auch oft an Kindergärten unterwegs, im Rahmen Eures ehrenamtlichen Engagements. Wie könnte man das systematisieren?

Kronenbitter: Ich bin hin- und hergerissen. Bairisch könnte, so lautet eine Forderung, in die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen aufgenommen werden. Da gäbe es Schutz und vielleicht Geld von der EU. Und man hätte Anspruch darauf, dass Schulunterricht zu einem gewissen Quantum in Bairisch stattfindet.

Bairisch als Minderheitensprache – hat man dann nicht schon verloren?

Kronenbitter: Genau. Vom Lechrain bis Wien wird Boarisch gredt – das ist doch nicht Sache einer Minderheit. Mia san doch de mehran.

Wäre eine Bairisch-Pflicht in der Schule sinnvoll?

Dondl: Auf alle Fälle darf kein Kind diskriminiert werden. Und es steht doch auch im Lehrplan, dass Bairisch in der Schule gepflegt werden …

… soll.

Simon: Muss. Muss steht drin, das ist Pflicht.

Das weiß jeder Lehrer?

Simon: Sie oder er sollten es. Die Lehrkräfte sind angehalten, Bairisch zu pflegen.

Schamberger-Hirt: In den Bildungsplänen der Kindergärten, in den Lehrplänen der Schulen ist es enthalten. Entscheidend ist aber, dass es auch in der Ausbildung von Erziehern und Lehrern eine Rolle spielt. Und dass es an den Universitäten gepflegt wird. Und da finde ich es sehr traurig, dass die Uni München keinen Lehrstuhl hat, der sich mit Dialekt befasst. An fast allen anderen Unis gibt es das – entweder als ausgewiesene Schwerpunkte an den Lehrstühlen für deutsche Sprachwissenschaft oder sogar als eigenen Lehrstuhl für Variationslinguistik wie in Augsburg. Nur in München gibt es das nicht.

Woran liegt das?

Schamberger-Hirt: Anscheinend meinen manche Germanisten immer noch, es handele sich hier gewissermaßen um niedere Wissenschaft, was überhaupt nicht stimmt. Wir tun uns an der Akademie sogar schwer, studentische Hilfskräfte zu finden, die sich für das Thema begeistern.

Dondl: Dafür haben wir mehr Gender-Lehrstühle (lacht).

Das Thema umschiffen wir hier mal lieber. Aber: Wäre das nicht eine Aufgabe für den Förderverein, hier als Lobbygruppe zu wirken?

Kronenbitter: Wir sind ehrenamtlich tätig. Wir müssen nach innen für unsere Mitglieder wirken und nach außen auf die Politik, letzteres ist der undankbarere Teil. Für die da droben, die’s angeht, ist der Dialekt wie der Trachtenjanker, den holt man halt raus, wenn die Leut schaun.

Frage an die Wissenschaft: Wie wirkt sie in die Breite?

Schamberger-Hirt: Die tägliche BR-Sendung Host mi meines Vorgängers Anthony Rowley hilft natürlich enorm. Bairische Wörter zu erklären, ist richtig populär. Auch wir erhalten fast täglich Anfragen, erst heute schrieb mir eine Dame aus der Oberpfalz, die ein Kochbuch im Dialekt schreiben will. Unsere Online-Plattform „Bayerns Dialekte“, vor einem halben Jahr gestartet, hat gute Klickzahlen. Das Interesse an der Sprache der Eltern und Großeltern ist da.

„Wo kimmts her?“, die Rubrik des Fördervereins in unserer Zeitung, hat große Resonanz.

Kronenbitter: So ist es. Nur ein Wort zu kennen und nicht zu wissen, woher es kommt, hat uns gefuchst – so kam es zu der Idee. Am 3. Februar feiern wir vierjährigen Geburtstag damit. Über 200 Begriffe bis jetzt. Oft geben uns Leser Hinweise: Bei uns schreibt man das so oder so. Oft ist es ja nur ein Buchstabe, der sich ändert. Pladschari oder Bladschari zum Beispiel.

Ist es denn schwierig, auf Bairisch zu schreiben?

Kronenbitter: Es ist tatsächlich so. Die tz ist ja öfters ganz auf Bairisch erschienen – was eine brutale Arbeit war, wir haben ja geholfen dabei. Bairisch fördert nicht den Lesefluss, das darf man wohl sagen. Für Gstanzl geht es – keine Frage. Bei ganzen Geschichten habe ich Probleme.

Schamberger-Hirt: Bairisch ist eine mündliche Sprache, es gibt gottlob auch keine Schriftnorm dafür. Das würde der Vielfalt des Dialekts nicht gerecht. Wir werten für unseren Sprachatlas Fragebögen aus, die unsere Korrespondenten, ein Mitarbeiter-Netz mit 280 Helfern, in ganz Bayern mit Bairisch-Sprechern ausfüllen. Da bekommen wir alle Varianten mit.

Ein Streit, wie man ein Wort schreibt, ist eigentlich überflüssig?

Schamberger-Hirt: So ist es. Ein Beispiel aus der Oberpfalz: Man kann wej schreiben für „wie“, aber auch wäi oder wöi – alles geht.

Kronenbitter: Eimerkerl ist auch so ein Beispiel für die Schwierigkeit, Bairisch zu verschriftlichen; gemeint ist ein Einmerk-Zettel, die Leute lesen ein Eimer Kerl.

Simon: Es gibt, oft vergessen, auch Literatur auf Bairisch, zum Beispiel die „Baierische Weltgschicht“ von Michl Ehbauer – von vorn bis hint auf Bairisch. Man kann das flüssig lesen – vorausgesetzt, man kennt sich in der Bibel gut aus und versteht zum Beispiel, dass mit dem Salzstangerl die Frau vom Lot gemeint ist, die zur Salzsäule erstarrte.

Dondl: Ich glaub, wir können froh sein über unser Bairisch als gesprochene Sprache. Ich sags mal so: Die Hannoveraner san de ärmsten Hund überhaupt, die müassn redn, wia ma schreibt.

In Bayern aber ist hoffentlich nicht alles verloren?

Dondl: Wir müssen zur Mundart stehen, dann sehe ich nicht schwarz. Der Herbert Schneider hat mal gesagt: Bairisch redn ist wie sprachlich Barfußgehen. Sprache drückt das Innerste der Seele aus, diesen Wert muss man sich bewusst machen.

Zusammengefasst und moderiert von Dirk Walter

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