Hildegard Knef (†76) steht für Berlin. Gern vergessen wird, dass sie in Ulm geboren wurde, viele Jahre auch im Salzkammergut, in München und rund um den Starnberger See lebte – weit über zehn Jahre lang mit ihrem zweiten Ehemann, dem britischen Schauspieler David Cameron (†79), dem sie in Percha das Jawort gab.
Ihre gemeinsame Tochter Christina Antonia, genannt Tinta, kam 1968 in Gräfelfing zur Welt – da war Hilde 42, und es gab große Komplikationen. Nach der Trennung von Cameron trat 1976 Paul Rudolf Freiherr von Schell zu Bauschlott in Knefs Leben – ein amerikanischer Staatsbürger, ungarischer Herkunft, Regieassistent von Robert Aldrich, Synchronsprecher und Übersetzer, später Betreuer US-amerikanischer Studenten in Berlin.
Wir haben den letzten Ehemann der Knef in Norddeutschland ausgemacht, wo der heute 81-Jährige seit über zehn Jahren mit Gabriele Runge (58) lebt – Einkäuferin von AEG, die Hildegard Knefs Malerei gesammelt hat und so mit Paul von Schell in Kontakt kam (siehe Kasten).
Gemeinsam pflegen sie das Andenken an Hilde, die am 1. Februar 2002 an den Folgen eines Lungenemphysems in einer Berliner Klinik starb.
Anruf bei Paul von Schell.
Paul von Schell: Ach, wie schön, eine Stimme aus München zu hören. Als ich 17 war, kam meine Familie nach München, 1958. Die Stadt hat immer einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen.
Es gibt auch alte Fotos, wo Sie mit Hilde in Kays Bistro in München zu sehen sind.
Ach ja, daran erinnere ich mich gerne!
Morgen ist Hildes 20. Todestag – was geht Ihnen da durch den Kopf?
Ich denke eigentlich jeden Tag an Hilde. Aber ich bin nicht mehr so verzweifelt wie damals, noch ein, zwei Jahre nach ihrem Tod – da war ich vollkommen hilflos. Diese Trauerverarbeitung war bei mir sehr schlimm. Aber inzwischen sehe ich das ganz vernünftig und auch realistisch: Sie war ja 15 Jahre älter als ich – ich bin jetzt 81, da wäre die Hilde schon weit über 95. Wir beide wussten, dass sie höchstwahrscheinlich vor mir sterben würde.
Waren Sie in diesem Moment da?
Ich war kurz vorher noch bei ihr – sie lag im Koma. Sie starb um 2 Uhr morgens, ich wurde angerufen und bin sofort hingefahren. Ich habe sie umarmt, ihr Körper war noch warm – das werde ich nie vergessen. Es war ein Schock, furchtbar.
Wie ist es denn, mit einer Diva verheiratet zu sein – 25 Jahre lang?
(lacht ins Telefon) Ich habe schnell die öffentliche Person von der privaten Hilde zu unterscheiden gelernt. Privat war sie ein absolut reizender, fabelhafter Mensch. Auch sonst hatte sie keine großen Allüren oder hat die Diva gespielt – das war nicht ihre Art.
Was mochte Hilde im Alltag besonders gern?
Wir haben sehr oft stundenlang diskutiert. Sie war sehr intelligent und sehr belesen, und man konnte mit Hilde über Gott und die Welt reden – das habe ich sehr genossen.
Mit was konnten Sie ihr eine Freude machen?
Mit meinem Essen! Ich habe immer für sie gekocht – natürlich auch für mich (lacht). Deutsche Küche, italienische und französische, weil sie ja auch lange in Frankreich gearbeitet hat. Sie liebte Tafelspitz, und sie liebte süße Sachen, vor allem Eiscreme.
Viele von Hildegard Knefs Liedern sind Evergreens, die roten Rosen werden auf zahllosen Feierlichkeiten gespielt, zuletzt beim Großen Zapfenstreich der Kanzlerin. Es drückt die ganze Lust aufs Leben aus, auf Selbstverwirklichung.
Ja, Hilde liebte das Leben und ihre Lieder sind heute aktueller denn je. Angela Merkels Musikwunsch hat mich und meine Lebensgefährtin sehr, sehr glücklich gemacht. Wir haben ihr geschrieben, und sie hat uns einen wunderschönen, handgeschriebenen, sehr persönlichen Brief zurückgeschickt.
Wer würde sich denn nicht regnende rote Rosen und sämtliche Wunder fürs Leben wünschen.
Gabriele Runge: Wenn man genau hinhört, ist dieses Lied auch ganz schön frech, verpackt in eine Walzermelodie, was natürlich ein Widerspruch ist, aber das macht es so reizvoll.
Paul von Schell: Das ist ein sehr egoistischer Text: Ich will, ich will, ich will. Das war Hildes Idee. Der Hansi Hammerschmid, der die Melodie dazu komponiert hat, wusste nicht, was er mit diesem Text machen sollte, da sagte Hilde: „Du bist ein Wiener, mach deinen Schmäh, ich möcht’ einen Walzer.“ Ein genialer Einfall.
Ich will, ich will – war das Ihre Natur?
Nein! Sie war überhaupt kein egoistischer Mensch.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
Eine gemeinsame Freundin, die Baronin von Lazar, hatte mich gebeten, Hilde nach ihrer Scheidung von David Cameron bei ihrem Umzug aus der berühmten Alten Mühle von Gmunden nach Berlin zu helfen. Das hab ich getan.
War es Liebe auf den ersten Blick?
Nein. Damals ging es Hilde sehr schlecht, sie hatte andere Sorgen, und ich habe mich sofort in die Arbeit gestürzt. Schließlich hatte sie mich gebeten, sie auch bei der Einrichtung ihrer neuen Wohnung in Berlin zu unterstützen. Als wir mehrere Wochen zusammen waren, sind wir uns langsam nähergekommen.
Und wie hat es dann gefunkt?
Gefunkt – das ist so ein toller Begriff. Wir waren an einem Abend weg und haben getanzt. Da merkte ich, dass sie mich sehr mochte, und wir haben uns verliebt.
Und dann sind Sie Ihr durch ein rastloses Leben gefolgt – mit zahllosen Umzügen, Reisen, Problemen, von der Presse beobachtet.
Oh ja! Die Rastlosigkeit gehörte aber auch zu ihrem Beruf – sie hat sehr viel gearbeitet, es gab viele Tourneen. Ich war sehr oft dabei, doch da war ja auch noch ihre kleine Tochter, so musste ich manchmal auch zu Hause bleiben und aufpassen.
Was haben Sie an Hilde am meisten geschätzt?
Ihre Klugheit, ihren Humor, ihre Wärme, ihre Großzügigkeit, ihre Herzlichkeit.
Vermissen Sie sie noch?
Ich denke jeden Tag an sie, weil sie mir sehr viel bedeutet hat, aber es ist nicht so, dass ich täglich um sie weine – das ist vorbei. Ich habe wieder eine fantastische Frau an meiner Seite, das ist eine große Hilfe. Ich bin nicht einsam, ich bin wieder glücklich.
Und damit spielt Hilde in Ihrer beider Leben eine große Rolle.
Gabriele Runge: Ja, natürlich. Sie ist ja keine Konkurrenz, sie ist eine Bereicherung. In ihrer Art unvergleichlich. Sogar die Fridays-for-Future-Bewegung hat Hilde für sich entdeckt – mit dem Lied „Herren dieser Welt“. Junge Rapper entdecken ihre Texte, die so klug und zeitlos sind.
Neben Marlene Dietrich zählte sie zu den größten internationalen deutschen Stars.
Paul von Schell: Die beiden waren seit der Broadway-Zeit sehr befreundet. Doch Marlene Dietrich war eine Schauspielerin; Hilde hat der Welt viel mehr hinterlassen durch ihre Bücher, Texte, Gedichte, Malerei – sie war eine vielfach kreative Künstlerin, während die Dietrich eher eine Rekreative war.
Deshalb ist sie noch so präsent. Was werden Sie morgen tun?
Wir zünden Hilde eine Kerze an, und sind wie jeden Tag in Gedanken bei ihr.
Das Interview führte Ulrike Schmidt